1875 Zwei kulinarische Neuheiten


1875: Zwei kulinarische Neuheiten vor dem Weihnachtsfest
Ein überliefertes Radeberger Rezept aus dem Jahre 1884 besagt hinsichtlich des Kaninchenbratens:
„Das Kaninchen waschen, mit Salz einreiben, mit Fett bestreichen, Keulen und Läufe auf Speckscheiben in die Rostbratpfanne legen und weiter mit Speckscheiben bedecken; mit etwas Senf bestreichen. Sobald der Bratensatz bräunt, etwas heißes Wasser dazu gießen. Den Rücken 15 Min. später dazu legen, da er am zartesten ist und leicht trocken wird. Zehn Minuten vor Beendigung der Bratzeit das Kaninchen mit Buttermilch übergießen. Aus dem Bratensatz, der erforderlichen Wassermenge und der angerührten Speisestärke in einem Topf auf der Herdplatte die Soße zubereiten. Die Garzeit bei jüngeren Tieren liegt bei etwa einer Stunde, die für ältere Tiere über neunzig Minuten.“ So in einem Ratgeber, der in einem Hauskalender veröffentlicht wurde.
Das Kaninchenessen war zu dieser Zeit noch keine zehn Jahre in Radeberg und Umgebung bekannt, wobei aus den Dörfern bisher nur Nachrichten aus Lotzdorf und Liegau gefunden wurden. Obwohl historisch gesehen die Haltung und Züchtung von Hauskaninchen schon in den Klöstern bekannt war, junge Kaninchen galten als vorzügliche Fastenspeise, gab es in der mitteleuropäischen Viehhaltung keine entsprechende Haltung. Man jagte die Wildkaninchen, weil sie wegen des Anlegens ihrer Baue, größere Schäden in der Landwirtschaft bewirkten. Erst der Deutsch – Französische Krieg von 1870/71 führte zur Wiederaufnahme der Kaninchenzucht. Sächsische Soldaten hatten in Frankreich die Kaninchenställe gesehen, die hier bis dahin völlig unbekannt waren. Sollte es zu einer Kaninchenhaltung im Einzelfall gekommen sein, so hielt man sie in einem größeren Gehege.
Schurigs Bierstuben luden 1875 in der Adventszeit zum ersten großen Kaninchenessen. Dies wurde zunächst mit großer Skepsis aufgenommen. Doch einzelne Radeberger Gastwirte hielten das begonnene lukullische Angebot aufrecht, sodass das Kaninchenessen immer mehr als ein Gegenstück zu den üblichen Schlachtfesten vor Weihnachten etwas besonders bot. Curt Hauswald, dem legendären Gastwirt des Radeberger „Rosses“, war es vorbehalten sich als Pionier der Kaninchenzucht in Radeberg einen Namen zu machen. Im Dezember 1904 bot er an zwei Adventwochenenden kostenlos Kaninchenbraten an. Das führte zu einer breiten Akzeptanz und von nun ab gehörte das Kaninchen zum Advents- und Weihnachtsangebot. Zumal Curt Hauswald auch sofort Vorsitzender des sich etablierenden Kaninchenzüchtervereins in Radeberg wurde. Radeberg gehörte vor dem ersten Weltkrieg dann zu den profiliertesten Vereinen in Sachsen mit fast 200 Mitgliederrn. Die Enge der Wohnbebauung in der Stadt führte zur verbreiteten Aufnahme der Kaninchenhaltung, denn für einen „Karnickelstall“, wie die Unterkunft im Volksmund hieß, war fast überall Platz. Und im Ersten Weltkrieg war es dann auch das nachlassende Lebensmittelangebot, das zur Verbreitung der Kaninchenhaltung beitrug.
In Schurigs Bierhalle gab es in jenen Tagen der Vorweihnachtszeit 1875 ein zweites Spektakel im gastronomischen Angebot. Dem Kaninchenbraten folgte das Gemsbockessen, seit der jüngsten Rechtschreibreform schreibt man heute Gämse. Der Bürgerklub „Die Lumige“ lud zu diesem Spektakel ein. Bis etwa 1885 hielt sich dieser Adventsbrauch in Radeberg. Da Gämsen im Hochgebirge gejagt werden müssen, war deren Beschaffen zu aufwändig und so verlor sich diese kurze Tradition. Das Kaninchenessen ist bis heute geblieben, wenn auch das individuelle Halten samt dem Vereinswesen sehr stark zurück gegangen ist.
haweger

Anzeige

Kommentare (0)


Anzeige