1974: Mit dem Bus "westwärts" quer durch die USA - Ein Tagebuchbericht


Im Sommer 1974 war ich zur Hochzeit meiner Freunde Todd P. und Linda G. nach Sunderland/Mass. eingeladen. Nach abwechslungsreichen Tagen in diesem kleinen Ort in der Nähe der Universitätsstadt Amherst vereinbarten wir – die Neuvermählten und ich – uns in Kalifornien bei gemeinsamen Bekannten wiederzutreffen. Ich wollte dorthin per Bus quer durch „die Staaten“ fahren, Todd und Linda mit dem Auto ihre „Hochzeitsreise“ über eine andere Route ebenfalls nach Kalifornien lenken.

24. Juni 1974: Philadelphia, Busbahnhof - Von hier aus starte ich. - Washington DC - An der Treppe, die zum Capitol führt. Linker Hand dürfte der Watergate-Bau sein. Es wird viel gebaut. (Frage: Wo werde ich heute Nacht unterkommen?). Im Astoria-Hotel, 14. st. für 10 Dollar. Ich sitze gegenüber dem „National Theatre“. Die weiße und schwarze middle-class gibt sich ein Stelldichein. Die Schwarzen sind unterrepräsentiert (das ist später fraglich geworden). Gespielt wird „Godspell“ („Washington’s longestunning Musical Hit returns“).. - 25. Juni - Washington - Vor 10 Minuten habe ich bei „Mc Donald“ gefrühstückt, nachdem ich lange herumgelaufen bin, um ein Lebensmittelgeschäft zu finden - es gibt keines hier oder ich sehe es nicht. Mein Gepäck habe ich im Bahnhof untergebracht und Reiseschecks in 100 Dollar Bargeld eingetauscht. Der Himmel ist bedeckt, aber es ist warm. -

Zeuge eine Festnahme

Im Schatten des Washington Denkmals: Von 11 bis ½ 2 wanderte ich durch die Wohnquartiere, die entlang und in den Seitenstraßen der 14. Straße liegen. Vor einer Spielhalle („Playroom“) an der 14. Straße NW 1604, die ein Mr. Robert Rippy führt, wurde ich Zeuge einer Festnahme, die ich mit meiner Rolleicord fotografierte. Zwei schwarze Polizisten kamen mit Mopeds, und ein schlanker, etwa 35jähriger Mann in Jeans-Anzug, graues, modern geschnittenes Haar, ging auf einen gutaussehenden schwarzen Burschen von vielleicht 20 Jahren zu. Erst dachte ich, die beiden hätten eine Auseinandersetzung, bis ich bemerkte, daß der Grauhaarige mit dem Babyface mit Handschellen hantierte und der Schwarze sich wehrte. Nach einem Gerangel war der Bursche gefesselt. Nach 10 Minuten kam ein Polizeiauto und holte ihn ab. 5, 6 Schwarze standen herum und schimpften, diskutierten mit dem Zivil-Polizisten. Die schwarzen Quartiere machen - von Ausnahmen abgesehen - einen tristen Eindruck, so als hätten die Leute keine Beziehung zu ihrer Umgebung. Die ganze äußerlich sichtbare Atmosphäre deutet auf Gleichgültigkeit hin. - Busbahnhof, 18.10 - Nachdem ich doch noch Proviant gefunden habe, sitze ich nun im Bus. - 26. Juni: Pittsburgh, Busbahnhof, 0.15 - Nach einer angenehmen Fahrt sitze ich in der Wartehalle, um nach St. Louis zu fahren. 5.15: Busstop irgendwo in Ohio: Fast eine Stunde geschlafen. Es regnet. 6.15 Der Bus stoppt in Columbus/Ohio. Der Tag ist angebrochen. 11.10 (10.10) Indianapolis - Busstop. Passagiere steigen aus, andere ein. Ursprünglich wollte ich hier einen Stop machen, aber was sollte ich hier wollen? 13.00 Stop in Terre Haute. Immer noch flaches Land, mit Bäumen und Büschen, Äcker, Brachland, Wiesen, kleinen Farmen, Wohn-Trailer. Wir sind jetzt in Illinois. Was ist das hier geologisch? Eine riesige Platte. Seit Washington reist mit mir ein seltsamer Passagier; er ist mit einer Kamera bewaffnet, Objektiv: große Brennweite, mit einem abgenutzten Photokoffer und einem Reiseköfferchen. Er liest in „Photography“, kümmert sich um niemanden und will nach St. Louis.

St. Louis, abends ½ 6. The Gateway Arch: 630 feet, rostfreier Stahl, soll die Rolle von St. Louis als Tor zum Westen symbolisieren. Grundsteinlegung 23. 6. 1959, am 12. 2. 63 wurde das erste Stahlteil gelegt, Stahlplatten ¼ inch dick außen, 3/8 inch innen. Der Bogen widersteht Wind bis 150 mph. Entwurf: Eero Saarinen. Fertig am 28. 10. 65. Unter dem Bogen soll ein Museum für die westliche Ausbreitung entstehen. - Ein Hotel habe ich gefunden, nicht verkommener als das in Washington, aber billiger (4,75 Dollar). Wohl für die ärmsten Besucher St. Louis’. Einen vertrauenserweckenden Eindruck macht es wirklich nicht, und daß ich mein Gepäck, eine rote Leinentasche, dort gelassen habe, ist mir nicht ganz geheuer.

27. Juni: 14. 50 St. Louis Busbahnhof - Nach Einkauf von Wurst, Käse und Bier sitze ich wieder im Bus, nach Denver über Kansas City. Schon bald nach St. Louis begann die Landschaft sich zu ändern. Statt spärlich bewaldeter Flächen nun Hügel mit Laubbäumen. Der Untergrund ist weißes, geschichtetes Sedimentgestein (ein Tonschiefer?). Nach Rolla 79 Meilen. Zahlreiche Eichenbäume. 16.45: Wir fahren jetzt „über Land“, also nicht über einen Interstate Highway. Die Gegend, ca. 170 Meilen östl. von Kansas City, macht einen dünnbesiedelten Eindruck. Leicht hügelig, Laubgehölz, gelegentlich Vieh auf der Weide, tonige Erde (Tümpel mit weißem, trüben Wasser). Das Land ist nur teilweise eingezäunt. Maisfeld (Ortsname Drake). Straße Nr. 50. Ich staune über den Waldreichtum. Die Laubbäume sind nicht allzu hoch, aber sie bedecken das Land fast vollständig. Eindruck von Landflucht. Zerfallende Scheunen, Trailerhäuser, kleine Häuser ohne Scheunen, doch es gibt gemähte Wiesen, aber auch viel Brachland und immer wieder Eichenwälder. Ortschaften: Linn, Chamois. Ein Friedhof: neben der Straße auf einer Wiese, nur Grabsteine, keine eingefriedeten Gräber, typisch für alle Friedhöfe, die ich bisher sah. 17.35: Wir überqueren den Osage River. - 17.40 Aufenthalt in Jefferson City, Hauptstadt von Missouri. Es gibt hier ein Kapitol. Auf den Straßen keine Menschen. Nach J. C. ändert sich der Charakter der Landschaft etwas. Es wird flacher und etwas baumärmer. Wir passieren California City. - In Tripton verläßt eine eigenartige Gestalt den Bus: So mögen die bäuerlichen Pioniere des 19. Jh. ausgesehen haben. Klein, stämmig, blaue Leinenhosen, schwarze Weste, schwarzer, breitrandiger Filzhut. Das Bemerkenswerteste: der Bart, lang, dünn - wie von Solschenizyn. Kräftige Hände. Gerade haben wir eine riesige Truthahnfarm passiert. Vorgestern las ich in der Washington Post, daß die Farmer die angebrüteten Truthahneier zerstören, um den Preis für Truthahnfleisch zu halten, sie machen angeblich keinen Profit mehr. - Mich langweilt - wie vorausgesagt - die Fahrt überhaupt nicht. Die alten Damen in der ersten Reihe genießen die Fahrt ganz offensichtlich auch. 22.15 Kansas City, Busbahnhof - Hier erfuhr ich, daß ich in Wichita nach Denver umsteigen muß und daß die Zeit dann sehr knapp ist. Endziel dieses Busses ist Dallas. - 28. Juni: Wichita (Kansas) - Hier muß ich umsteigen. - 6.15: Irgendwo in Kansas: Flaches Land, Ackerbau. Das ist wohl der Präriegürtel. Ich habe seit der Abfahrt in Wichita um 3 Uhr fast ständig geschlafen. Jetzt ist es hell, die Sonne jedoch noch nicht aufgegangen. Wir sind wieder auf der Nr. 50. - 57 Meilen vor Garden City: Mitten in der Landschaft ein Schienenstrang, eine Düngemittelfabrik (Fertilizer Plant). - 9 h: Garden City. Wir haben einen Stop für Frühstück. Um 9.15 Start G. C. Wieder ein total flaches Land, staubig, windig: die Prärie. Entlang der Straße ein riesiges Maisfeld, Wassertürme, Cafes am Straßenrand, Stahlbehälter aus Wellblech, wohl für landwirtschaftliche Nutzung. Eine Linkskurve der geraden Straße geht in eine andere Gerade über. Kreuzung 50/25 (9.50 Lakin). Die Landschaft wird etwas welliger. Auf trockenen Wiesen weiden Rinder. Geologisch: Sand und Lehm, soweit ich das an Erosionen erkennen kann. Abgeerntete Getreidefelder. Bodenerosionen an vielen Stellen, ausgetrocknete Bachläufe. Die Straße, die wir fahren, gehörte zum „Santa Fe Trail“. 10.45: Wir überqueren die Grenze Kansas - Colorado. „Timesaving“: 1 Stunde, also 9.45 Ortszeit. Ich lese „The Wichita Eagle“, 10 Cent, 34 Seiten. Um etwa 11.30 Stop in Lamar. - 12.30 La Junta. Draußen ist es glühend heiß, bestimmt über 30 Grad C. Nach Fowler kommen die Rocky Mountains in Sicht. Wir befinden uns noch in der glühenden Ebene östlich von Pueblo. - Pueblo: 109 Grad F! In der Halle des Busbahnhofs sitzen Indianer herum. Jetzt geht es nordwärts über die Interstate 25. Das Land ist wüstenhaft, grau. Wir verlassen Colorado Springs um 15.20. Noch zwei Stunden soll es so weiter gehen. Allmählich vergeht mir die Lust. 17.30: Denver. Unterwegs seit St. Louis: 27 ½ St.

Denver – „The one-mile-high-town“

29. Juni: Denver - Nach einem etwa 2stündigen Marsch vom YMCA-Hotel, in dem ich gestern ein Einzelzimmer ohne Bad (5,50 Dollar) gefunden habe, bin ich hier in einem kleinen Park Ecke Federal Blvd/32rd Av. W angekommen. Ich ging die 16. Straße entlang, überquerte das Viadukt über dem Bahnhof „Union Station“ und kam dann in ein Viertel, das der einigermaßen situierte Amerikaner nicht unter die Kategorie „good neighberhood“ einordnen würde. Allmählich verstehe ich, weshalb auf diese „gute Nachbarschaft“ so großer Wert gelegt wird, während ich mich darüber gerne lustig machen wollte. Das arme Amerika, das sind die Familien der Minoritäten, der Neger, Mexikaner und Indianer (ich kann nicht so exakt differenzieren), versteht es, in einem unglaublichen Schmutz zu leben. Die Gehsteige, Hinterhöfe und die Durchgänge zwischen den Häusern sind übersät von Unrat, Getränkebüchsen, Autoteilen, alten Autos. Die Armut läßt sich für diese Indolenz, die Apathie gegenüber dem Schmutz und die unansehnliche Umgebung - wozu auch die Häuser und das entsprechende Mobiliar gehören - nicht allein verantwortlich machen. Nun könnte einer vielleicht einwenden: ich lege hier die Maßstäbe meiner „Ästhetik“, meiner Vorstellung von „Ordnung“ und „Sauberkeit“ an, während diese Menschen eben Vorstellungen über ihr „environment“ entwickelt haben, zu denen eben nicht unbedingt der saubere Hinterhof oder die saubere Straße gehört. Dennoch meine ich: dieser Schmutz und die Indolenz ihm gegenüber ist ein Symptom, für eine „Krankheit“, die nur schwer zu beschreiben ist. Sie hat etwas zu tun mit dem, was man vielleicht „Entwurzelungssyndrom“ unklar umschreiben könnte. Ich glaube der „Slum“ ist immer etwas, von dem ich weg will - und schlimmer wird diese Fluchtabsicht noch dadurch, daß ich von der Hoffnungslosigkeit weiß, ihm zu entfliehen (weil ich Neger bin oder sonst einer verachteten Minorität angehöre, oder weil ich keine Aussicht habe zu dem wichtigsten der amerikanischen Gesellschaft zu kommen: zu Geld). Denver nennt sich „One-mile-high town“. Ich merke diese Höhe schon wieder etwas.

Am Ufer des „Sloan Lake“. Über diesen wohl künstlich angelegten See sehe ich die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains. Auf dem See Wasserschiefahrer. Wie alles hier wird auch dieser „Sport“ sehr ernst genommen, jedenfalls kann der Beobachter das den Gesten, Handreichungen und Gesprächen der Sportler entnehmen. Schlanke, gut gebaute junge Männer und die dazu gehörenden Damen tun sehr geschäftig. Die Luft ist strohtrocken. 2.00 - Ecke Lawrence St./15th St. - Noch ein „Block“ weiter und der Zirkel meines Rundganges wäre geschlossen. Vom Sloan Lake aus ging ich vorbei an einer Kirche („Spanischer Barock“) und einer benachbarten Synagoge an der Lawrence St. Das Land darum herum gehört dem Staat Colorado, ist unbebaut. Hier könnten einmal Wohnquartiere gestanden haben. Man sieht immer wieder deutsche Namen (z. B. Kirchhof). Ein warmer, ziemlich heftiger Wind. - Das war ein Trip von 6 Stunden.- Unter einer Horde Negerjungen ein Albino: negroide Züge, Kraushaar, aber helle Haut, hellblondes Haar. Zahlen (aus dem Christian Science Monitor): Californien hat z. Z. 20,8 Mill. Einwohner, Arbeitslosigkeit: 7,6 %.

Das Straßenbild von Denver ist, mehr als in den Städten bisher, exotisch. Die „weiße Rasse“ erscheint in dieser Mixtur von Menschen fast als Minderheit. Sehr viele Neger, einzeln, in großen Gruppen, Indianer, undefinierbare Mischungen mit dunklen Haaren und Augen. Also von „Schmelztiegel“ zu sprechen, was sich bei einem solchen Bild wohl aufdrängt, dürfte an der Realität vorbeigehen. Die Angehörigen der einzelnen „Rassen“ treten fein getrennt voneinander auf, wenn sie in Gruppen erscheinen. Schwarz-weiße Paare sind so selten, daß sie sofort ins Auge fallen. Die biologische „Verschmelzung“ ist sicher eine Ausnahme, und am „reinsten“ wird sich der „weiße Mann“ erhalten, denn selbst der hellhäutigste Negroide bleibt dem Neger zugeordnet, hier gibt es eine Palette von Mischungen. Ein „Neger“ kann kein „Weißer“ werden, und stammt auch der größte Teil seines Erbgutes von weißen „Vorfahren“. Der „Neger“ ist dem „Weißen“ an Schönheit und natürlicher Eleganz der Bewegungen überlegen (solange er nicht fett wird), und insbesondere die Negerfrau ist häufig von einer Schönheit, die das Überlegenheitsgefühl der Weißen absurd erscheinen läßt.

20.00: Während ich seit 7 Uhr in den „Rocky Mountains News“ lese, hat sich um mich herum einiges ereignet: Ein betrunkener, heruntergekommener drop-out bettelt mich um einen „Quarter“ an - auf einer Bank versucht ein weißes Mädchen ihren indianischen Freund loszuwerden, sie gehen weg, er legt den Arm um sie, sie wehrt ab - links von mir diskutieren 2 Polizisten mit einem langhaarigen Typen - ein Indianer, lange Haare, vielleicht 30 Jahre alt, setzt sich neben mich, raucht, dann bettelt er mich an - eine heruntergekommene Gestalt kommt auf mich zu und fragt nach einem Messer, er hat eine Dose und kriegt sie nicht auf. - Warum reise ich eigentlich? Je älter ich werde, um so uninteressanter wird es für mich, Menschen kennenzulernen. Ich würde mich nicht als menschenscheu bezeichnen, eher der Leute müde, denen man immer wieder das gleiche erzählen muß und von denen man immer wieder das gleiche hört. Ausnahmen seien nicht vergessen. Zu diese Ausnahmen muß ich Mr. Hubbard zählen, den Auktionator von Sunderland. Obgleich er nicht viel redete, erfuhr ich durch ihn mehr als durch andere Menschen auf dieser Reise. Eine erwähnenswerte Begegnung war ohne Zweifel Mr. Maneatty, der Maler von Old-Deerfield, der mich während der Hochzeitsgratulation als sein „Neffe“ vorstellte. Eine Unterhaltung und eine Begegnung wird für mich nur dann bemerkenswert und weiterer Aufmerksamkeit wert, wenn ich durch sie etwas erfahre, dem ich - aus welchen Gründen auch immer - irgendeine Bedeutung beimessen kann. Ich reise aber nicht, um gezielt solche Begegnungen zu suchen, schätze es aber, wenn ich doch eine habe. Also weiter! - Mich machen „Phänomene“ der äußeren Welt an, aus denen ich auf ihren „inneren“ Zustand schließen kann - siehe die Attraktion der Geologie auf mich. Ich reise nicht, um mich zu „bilden“, ich reise aber, um in mir ein „Abbild“ der Welt, in der ich nur so kurze Zeit existiere, zu reproduzieren, das meine Schau- und Erfahrungslust befriedigt.

Ein gebildeter Trunkenbold

30. Juni: Denver. Ich kam ins Gespräch mit einem etwas schmuddeligen, fetten, weißhaarigen Mann in blauem Hemd. Erst sprach er über Kameras, dann von Schopenhauer, Hegel, Goethe, Freud, Adler, Jung, Bleuler - ein Sergeant der US-Army. Ein gebildeter Mensch, aber wohl ein Trunkenbold. - Im Bus nach Salt Lake City: Wir sind jetzt 10000 Fuß hoch. Alpine Atmosphäre. Die Rocky M. ändern ihr Gesicht, die Geologie wird anders, statt des Granits jetzt Sediment, geschichtet, grau (vor Glennwood Springs). Jetzt Sandstein rot. Eagle 15.20 - Ein weites Tal, das seitlich von Geröllhalden begrenzt wird. Die Fahrt durch die Rocky M. war optisch grandios. Man sollte sie mit dem Auto oder Motorrad machen. 18.45: Grande Junktion. Wieder einmal Buswechsel mit Aufenthalt bis ¼ vor 9. 23.25 Stop in Greenriver/Utah. Ich habe ein Bier getrunken. in Colorado gab es am Sonntag kein Bier, hier wird es nicht mitgegeben, wenn man es im Bus trinken will. Neben mir ein 20jähriger aus Ohio, der Aussicht auf einen Job in Sacramento hat. Er spricht ein fürchterliches Englisch.

Bei den Mormonen

1. Juli: Ankunft in Salt Lake City 4 Uhr morgens, nach 16 ½ Stunden seit Denver. Montagmorgen kurz nach 6 Uhr in dieser seltsamen Stadt in der Wüste. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber es ist schon hell, die Wolken über den Bergen in fahlem Licht bis tiefrot. Gerade habe ich den „Tempelplatz“ passiert, ein paar Sinnsprüche über die Stellung der Mormonen zu Staat und Gesetz gelesen, und jetzt überlege ich, wie der Tag gestaltet werden soll. Die Nacht wurde schlaflos verbracht, und so dürfte meine „Genußfähigkeit“ und Unternehmensfreude etwas eingeschränkt sein. Ich habe schon die Zeitung „The Salt Lake Tribune“ angelesen. - 8.30: Ich kletterte die Anhöhe in der verlängerten Achse der State Street hinauf und überschaue jetzt von hier aus die gesamte Stadt. Halblinks hinter mir - also im Osten - steht die Sonne, noch leicht bedeckt von Wolken. Vor mir der Ausläufer des Bergrückens, auf dem ich mich befinde, steil darunter auf einer Art Terrasse vor der Stadt das Kapitol. Rechts davon, von den wenigen Wolkenkratzern fast erdrückt, der „Tempel“ und ein wenig weiter rechts hinter dem Tempel ein rundes Gebäude, das an einen riesigen Ölbehälter erinnert. Dann breitet sich die Ebene meilenweit nach Süden (?) oder Norden (?) aus, bis sie an allen Seiten in hohe Berge übergeht. Die sich rechts von mir ausbreitende Ebene verliert sich in den Salzseen, die aus der Ferne herüberglänzen. Hinter mir Berge, stark erodiert, aber von Vegetation bedeckt. Später in der Stadt: Die Berge, die ich erkletterte, bestehen aus Flußschotter. - Im Mormonen-Museum: „Pioneers camped here June 3, 1847, marching 15 Miles today. All well Brigham Young“. Die Mormonen kamen von Iowa City nach S. L. C. Fast 3000 Leute machten den 1300 Meilen Treck. Die durchschnittlichen Kosten für eine Person von Europa nach S. L. C. zu kommen betrugen 50 Dollar. Der Treck ging von Iowa durch Nebraska entlang dem Platte River und North Platte River, Wyoming vorbei an Fort Laramie, Casper, Fort Bridger und dann in das Salt Lake Tal. Ausstellungsstück: Ein hölzerner „Roadmeter“. Es wurden damit die Radumdrehung gezählt und so die zurückgelegten Meilen gemessen. Der 2. „Präsident“ der Kirche wurde nach dem Tod des Gründers Joseph Smith Brigham Young, eingesetzt am 27. Dez. 1847. Er wohnte im Lion’s House, das heute noch existiert (auf einer Bronzeplatte im Kapitol: Founder and first Governor of Utah, born June 1, 1801, at Withingham, Vermont, joines the Church of Jesus Christ of latter-day Saints in 1832 and became its President on the Death of the Prophet Joseph Smith. Led the Mormon people from Navuoo, Illinois, to the Salt Lake Valley, arriving July 24, 1847 and declared „This is the place“. Brought some 100000 people to Utah, established 300 communities, built canals, railroads, temples, and the Salt Lake Tabernacle; foundes banks, stores, industries, institutions. Governor of Utah 1850 - 1858. Died Aug. 29, 1877, beloved by his people). - Ich habe mich entschlossen, noch einen Tag zu bleiben. Gegen 12 ging ich in das Hotel Little an der Main Street. Dort zahle ich 5 Dollar pro Nacht - ein schönes Zimmer mit Bad und sehr sauber. - Wenn ich mich nicht täusche, wird hier ein etwas eigenartiger Dialekt (oder Akzente) gesprochen. -

Führung durch die Tempelanlage. Nach Angaben des Führers: 3,5 Mill. Mitglieder in der ganzen Welt. Etwa 70 % der Einwohner Utahs gehören der Mormonen-Kirche an. 15 Missionare, alles junge Männer, sie verbringen 2 Jahre auf Reisen. - Abends: Durch die Straße der Stadt weht ein heftiger böiger Wind. Stadtabwärts (müßte Süden sein) erscheinen die Berge eingehüllt in einen nebeligen Schleier. Ich nehme an, daß es Staub ist. Auch die hohen Häuser des Zentrums und die Sonne zeigen dieses eigenartige Phänomen. - 2. Juli (Dienstag): Morgens um 8 Uhr geht ein Gewitterregen über die Stadt nieder. Regen in der Wüste, nach Auskunft des Hotelportiers seit mehr als einen Monat der erste Regen. - Hier trocknet man in kurzer Zeit völlig aus. Ich habe eine Art „Hitzewallung“, wenn ich mich in die Vertikale erhebe, bin müde und abgeschlagen, obwohl ich lange genug geschlafen habe. Von einer weiteren Bronzeplatte im Kapitol: „This was then (1847) Mexican territory, by the treaty of Guadalupe Hidalgo, February 2, 1848, the area was ceded to the United States. As the first organized government in the Rocky Mountains region, the provisional state of desert was created March 5, 1849, to function under its constitution „until the Congress of the United States shall otherwise provide. The territory of Utah was established Sept. 9, 1850“.

Ausflug (per Bus): 1. Bingham Copper Mine: 2 ½ M. breit, ½ M. tief; 1400 acres; 20 % des US-Kupfers, 5 % der „freien Welt“; 13 Pfund Kupfer pro Tonne Erz. 2. Salzsee. - Das war die Tour, die ich mitmachen wollte. Die Salzfläche, die mich eigentlich interessierte, bekamen wir allerdings nicht zu sehen. - 3. Juli: 6.20 Busbahnhof. - Der Schlaf war zweimal unterbrochen, gegen Morgen spielte mein Zimmernachbar wieder verrückt; während er gestern jeweils drei laute Schreie ausstieß, äußerte er sich heute durch eine Art von Lachanfällen. Es ist kühl, der Himmel wolkenlos. Abfahrt 7.05 in Richtung Reno. Wir fahren jetzt 1 Stunde ohne Stop, ohne eine Ansiedlung gesehen zu haben. Jetzt richtige Sandwüste, eine riesige Fläche, die von drei Dämmen durchschnitten wird, die beiden Straßendämme und ein Eisenbahndamm. Nach Reno noch 435 Meilen. Bei Wendover haben wir das Ende des Tales erreicht. - Grenze Utah/Nevada, Uhr 1 Stunde zurückstellen: Wir kommen in bergige Landschaft, fahren dann wieder durch ein weites Tal mit grüner Vegetation. Beim Stop in Elko: stürzen sich die Leute gleich auf die Spielautomaten (slot-machines). – Nach zwei weiteren Stops fahren wir wieder. An Bord, neben mir, ist eine vielleicht 50jährige Frau (reisende Witwe?), die in Winnemucca vor meinen Augen gefallen ist, als sie, ohne auf die Bordsteinkante zu achten, auf einen Spielsalon zulief. Jetzt hat sie einen Bluterguß im Bereich des linken Mittelfusses. Zur Landschaft: Immer noch Wüste, ein Teil zwischen stumpfen Bergen, braun, mit Wüstenvegetation. Irgendwo in der Wüste steigt ein alter Mann aus, mit Sack und Pack, er arbeitet für 7 Dollar pro Tag als Gelegenheitsarbeiter (wenn ich ihn richtig verstanden habe). - Was die Wurst - Bologna - enthält, die ich jetzt gegessen habe: Beef and Pork, Water, Non fat Dry Milk, Salt, Corn Syrup, Dextrose, Flavorings, Sodium Erythrobate, Sodium Nitrite and Sodium Nitrate. - Ankunft in Reno 16.40 (= Fahrzeit 10 ¾ St.). Abgestiegen im Hotel Windsor (8,95 Dollar).- 4. Juli: Reno - Die Nacht sehr angenehm verbracht, praktisch durchgeschlafen, obgleich ich am Abend fürchtete, die Pfeife der Lokomotive würde mich stören. Es ist sehr kühl. -Überall stehen die „Slot-Machines“, es muß für viele Amerikaner etwas Erregendes sein, hier spielen zu dürfen. Abfahrt Reno 8.05, bei herrlichstem Sommerwetter. - Wir überqueren den Truckee-River und fahren in einem mit Nadelbäumen bewachsenen Tal. - Jetzt geht es den Donner-Paß hinauf. Rosevilla - 13 h: Oakland - San Francisco City Limit: 13.08, d. h. von Washington hierher 82 Stunden unterwegs auf dem Bus.

Kalifornien

Nach einer Stunde Busfahrt Ankunft um 17.45 in San Jose. Nachdem ich etwa 15 Minuten in San Jose vor dem verlassenen Haus der Brumunds gesessen hatte, kamen Marie und ihre Mutter Betty, um irgendetwas zu holen, und so „fanden“ sie mich zufällig, denn meine Karte aus Denver war noch nicht angekommen. Abends mit Marie nach Aptos in die Cabin der Familie Brumund (Nachkommen eines Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Oldenburger Land eingewanderten Zimmermanns).

5. Juli: Aptos bei Santa Cruz. Um ½ 8 aufgestanden und einen Gang durch die Redwoods gemacht. Es ist ziemlich nebelig, kühl und feucht. Gespannt bin ich, ob Todd auftaucht. - 9. Juli: Mountain View, Gretel Lane. Hierher, in das Haus von Todds Freund Robert, kam ich gestern von S. Jose per Bus. Robert ist bei einer Firma als Instrukteur der Verkäufer tätig, seine Frau Kathrin ist Mitglied er „Christian Science“-Sekte und verwandt mit Martin Niemöller, ihr Großvater sei ein Cousin Niemöllers gewesen. Sie ist nicht berufstätig und hat zwei Kinder von 4 oder 5 und 14 Monaten zu versorgen. Die typische amerikanische Familie? Statistik: Etwa 68 % aller amerikanischen Frauen wohl im erwerbsfähigen Alter sollen nach dem Bericht einer Zeitung arbeiten. - Gestern Abend mit Todd und Linda zuerst in einer Wirtschaft in Palo Alto, dann in Mountain View. - 10. Juli: Mountain View. Gestern Abend waren wir zusammen „aus“, zunächst in einer Bar mit Rock-Musik, an deren Eingang ein Pförtner unser Alter per I. D. kontrollierte. Dann fuhren wir nach San Jose in eine Bar mit „Folk-Musik“, sehr schwach. Auf der Fahrt Unfall gesehen: Ein VW war gegen einen Hydranten geprallt, und nun schwoll in einer riesigen Fontäne das Wasser aus dem Boden und überschwemmte die Straße.

Mill Valley

11. Juli: Mill Valley bei San Francisco, Erica Av. Bei Todds Vetter Paul - beider Großväter väterlicherseits waren Brüder - zu Gast. Die Begrüßung war sehr unverbindlich, auch die der Frau Marianne, aber der Abend wurde sehr lebhaft. Zum Abendessen gab es Kartoffeln in Stanniolpapier, Roastbeef und Artischocken. Dazu kalifornischen Wein („Charles Krug“, Napa Valley-Burgundy 1970). Pauls Frau: Er lebte mit ihr 9 Jahre zusammen, d. h. sie war während dieser Zeit sein „date“. Schließlich wollte sie geheiratet werden, er weigerte sich wohl, und sie zog nach L. A., wo sie in ihrem Beruf, Betreuung von Stewardessen oder etwas ähnliches, befördert wurde. Nach einiger Zeit gab er auf und heiratete sie doch. Zu ihrer Arbeit auf den San Francisco-Airport wird sie mit einem Hubschrauber abgeholt. Es kostet sie 7 Dollar pro Tag, ein Sonderpreis für sie als Mitarbeiterin einer Fluggesellschaft. Der Landeplatz ist ein paar Minuten von hier. Pauls jetziger Job: Er und ein Partner, ein Architekt, der mit einer Frau aus der angeblich sechstreichsten Familie des Landes verheiratet ist, kaufen ganze Häuser, die abgerissen werden sollen, weil an deren Stelle ein neues Gebäude entstehen soll. Sie transportieren es an eine andere Stelle, wo sie es verkaufen. Die Häuser bekommen sie praktisch umsonst, möbeln sie dann an ihrem neuen Standort auf. Bei ihrem ersten Coup haben sie angeblich einen Profit von über 9000 Dollar gemacht. Ihr Hauptproblem sind die Nachbarn. Sie müssen alle Nachbarn dazu bringen, per Unterschrift zuzustimmen, daß das „neue“ Haus in ihrer Gegen stehen darf, d. h. dorthin paßt. Die erste Transaktion dauerte etwa 3 Wochen. Für den Transport hatten sie 1700 Dollar zu zahlen, diese Summe ist deswegen so niedrig, weil sich hier eine gut ausgerüstete Branche mit solchen „movings“ beschäftigt. Zum Profit: 1. Die eingesetzten Kosten für die Installation des Hauses können von der Steuer abgesetzt werden, 2. Wird der Gewinn aus Immobiliengeschäften innerhalb eines Jahres „reinvestiert“, braucht darauf keine Steuer gezahlt werden.

Wir haben eine herrliche Tour mit Pauls Motorboot durch die Bay von S. F. hinter uns. Abends waren Gäste. da: ein Ehepaar, er 31 und bei einer Fruchtcompany mit Aussicht auf einen Posten in Mittelamerika, sie 27 und schwanger, dann zwei ledige weibliche Personen so um die 27 bis 30. Es gab Lachs, bereitet aus einem 9 Pfund schweren Fisch, den wir nachmittags nach unserem Bootsausflug für 10 Dollar aus einem Kühlhaus direkt am Wasser gekauft haben. Dazu gab es Mais, Spargel, Reis. Und wieder vorzüglichen kalifornischen Wein. Die Schwangere erzählte, daß von den 26 männlichen Angestellten in dem Reisebüro, wo sie arbeitet, nur zwei nicht homosexuell seien.

12. Juli: Los Angeles/Hollywood, Sunset Blv. Gerade hier angekommen nach herrlicher Fahrt von Mill Valley aus auf der Nr. 1. - 13. Juli: Los Angeles. Gestern Abend haben wir einen Bummel über den Hollywood Boulevard gemacht. Viel Volk, schöne, riesige Buchhandlungen, Bars, Transvestiten. Ich kam mir irgendwie unscheinbar, ja zuweilen deplaziert vor auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Zurück über den Sunset Blv., der als Verkehrsstraße dient, nicht aber dem Vergnügen, zu sehen und gesehen zu werden. Danach zusammen im Hotel 6 große Büchsen „Bush“-Bier getrunken und uns Schulgeschichten erzählt.

14. Juli: San Diego/Penasquitos im Haus von David G., Lindas Bruder, ein Marinepilot. Trotz Smog und allgegenwärtigem Benzingestank genoß ich L. A. gestern. Zuerst nahmen wir an einer Führung durch die „Universal Studios“ in Hollywood teil (4,75 Dollar): Wir gingen durch die Studios, wo z. B. das Interior für „Ironside“ („Der Chef“) aufgebaut war, man erklärte uns die Technik wie Filmszenen entstehen, deren Hintergrund irgendein ferner Schauplatz ist. Dann ging es in die Außenstudios, die aus Fassaden für verschiedene Filme bestehen: so für „The Stint“, „Spartakus“ etc. Dann fuhren wir ins „Disneyland“ (6 Dollar). Abgesehen von der Frage, ob so etwas notwendig ist, bietet dieser Jahrmarkt auf Amerikanisch eine Fülle interessanter Szenen. - Gerade habe ich einen Nachtflug nach Boston gebucht für die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag (156 Dollar).

15. Juli: Vormittags mit Todd und Linda im Zoo. Abends mit Dave, seiner Frau Maxine, Linda und Todd mexikanisch Essen, auf meine Anregung hin für unsere Gastgeber. Zuerst in „El Torito“ zwischen Flugplatz und Hafen, dann in „Borm’s Restaurant“ neben dem Flugplatz. - 16. Juli: Dave erzählt, daß ein Flug mit seinem Militärjet etwa 2 - 2 ½ Stunden dauert, dabei werden 10000 Pfund, etwa 700 Gallonen, Sprit verbraucht. Sie fotografieren, z. B. Disneyland, um den Unterschied zw. toten und lebenden Bäumen zu demonstrieren. - 17. Juli: David bereitet an Hand einer Karte für morgen einen Navigationsflug nach Phönix vor. - Linda telefoniert mit Nancy R. wegen meines bereits in Sunderland vereinbarten „Besuchs“ bei ihr in Boston. Die Angelegenheit bereitet mir Unbehagen. Was soll ich dort? Ich sollte meinen Boston-Aufenthalt selbst „gestalten“. - 23.10 San Diego Intern. Airport - Ein bißchen wehmütige Abschiedsstimmung. Wir waren in dem Film „Chinatown“ mit Jack Nicolson, Faye Dunaway. Mittags auf dem Navy-Flugplatz Miramar den Flugbetrieb beobachtet, im Tower und im Radarraum.

18. Juli: Abflug 1.10 mit einer Boeing 707. Ankunft in Dallas Ortszeit 5.35. Das soll einmal der größte Flugplatz der Welt werden. Abflug 7.04. Je näher Boston kommt, um so unbehaglicher wird mir bei dem Gedanken, daß ich mich auf ein meeting mit dieser Nancy verabredet habe. Dieses Unbehagen erwächst aus der Vorstellung, daß ich dort eigentlich nichts verloren habe. Auch in der Welt „menschlicher Beziehungen“ - hier vor allem - folge ich lieber meinem Prinzip der optimalen Ökonomie (hoher Einsatz nur dort, wo ein Gewinn wahrscheinlich ist). Landung in Chikago 8.50.- 9.48: Noch immer Airport Chikago. Die Maschine hätte schon starten müssen, ein Fehler im hydraulischen System des rechten Flügels hat das bisher verhindert. 10.20: Vom Cockpit her wird gesagt, daß in 7 bis 8 Minuten der Schaden behoben sein soll. Start: 10.53.

Boston

Landung Boston 13.35, seit San Diego 9 Stunden, 25 Minuten. Auf dem Flugplatz wartete tatsächlich Nancy. Sie hatte 7 Dollar Strafe zahlen müssen, weil sie ihr Auto falsch parkte. - Abends mit N. in einem Fischrestaurant („No-name-Restaurant“), eine Fischplatte gegessen, u. a. „scallop“. Sie wohnt im 1. und 2. Stock eines Hauses in „guter“ Gegend Bostons zusammen mit zwei gleichaltrigen jüdischen Mädchen, die beide im Bankfach sind. Die eine, ein schlankes, gut aussehendes Mädchen, ist im „Commoditiy“.-Geschäft, angeblich eine von 5 Frauen in den ganzen USA.

19. Juli: Gestern Abend musste ich unter N's. Aufsicht „Cookies“ backen. Dann ging ich - so gegen ½ 1 - ins Bett, stand aber wieder auf, weil sie sich unterhalten wollte. Sie besitzt ein gutes Urteilsvermögen Menschen gegenüber, überhaupt einen klaren Verstand, der es ihr aber offenbar nicht ermöglicht, andere Pläne und Vorstellungen zu entwickeln als solche im Zusammenhang mit der Gründung einer Familie. Sie gibt zu, daß sie dieser Gedanke, insbesondere an Kinder, stark beschäftigt. Und das nimmt ihr die Energie für anderes. Nachher lud ich sie ein, sich noch ein bißchen zu mir zu setzen, und es gab noch einen kleinen „touch“, der mir sehr gut tat.

Nancys Anamnese: Autounfall etwa 1966. Bei einem Rotkreuz-Kurs 1967 bemerkte sie, daß ihre rechte Arteria femoralis viel leichter zu tasten war als die linke. 6 Monate später bei einem Gynäkologen, der ihr riet wegen dieses Phänomens zu einem Chirurgen zu gehen. Der erkannte, daß es sich um ein Aneurysma handelt. 1. Operation des traumatischen Aneurysmas der A. iliaca. Nach einer Drogen-Party spürte sie, daß mit ihrem Bein etwas nicht in Ordnung sein müsse. Eine Untersuchung ergab, daß das re. Bein nur eine Durchblutungsrate von 20 % hat. Die Gefäß-Prothese war mit einen Thrombus verstopft. 2. Operation. Danach nach Deutschland. Hier Schmerzen. In Eppendorf Angiografie mit allergischer Reaktion auf das Kontrastmittel. Man stellte keine Zirkulationsstörung fest. Später jedoch wieder die gleiche Erscheinung. Die Pulse des rechten Beines kaum vorhanden. Gefahr habe zwar nicht bestanden, aber sie sei überhaupt nicht leistungsfähig gewesen. Anruf nach Hause. Ihr Hausarzt schrieb an Dr. DeBakey nach Houston, der sich bereit erklärte, sie zu operieren. Er hat eine neue Methode entwickelt und ihr eine neue Prothese aus Dacron eingesetzt, deren Verlauf nicht mit der natürlichen Lage der Gefäße übereinstimmte. Diese 3. Operation 1970. Nachuntersuchung 1971. Seither beschwerdefrei. - Nancy liebt es zu befehlen, zu beherrschen, will z. B. stärker sein als ich. Sie hat eine Art, den anderen zu entmündigen. Sie gibt sich auch prätentiös, so gegenüber der „popular music“, die sie nur akzeptiert, wenn in ihr „etwas ausgesagt wird“.

King’s Chapel Burial Ground, ein Friedhof mit Gräbern, die ins 17. Jahrhundert zurückreichen. - Boston ist anders. Ist es wirklich so anders? Hier sieht man Weiß und Schwarz zusammenstehen und -gehen. Die Häuser, auch in den Suburbs, die ich sah, sind nicht in jenem Stadium des Verfalls, das etwa Philadelphia, New York und Washington kennzeichnet. Die Menschen auf den Straßen sehen gesund aus, keine Hobos im Zentrum, kein Dreck. Es ist das Gesicht einer Stadt wohlhabender Bürger, die zu ihrer Umwelt eine positive Beziehung haben. Ich sitze am Rande eines backsteingepflasterten Platzes, der vom blanken, aber gegliederten Betonklotz der Boston City Hall beherrscht wird. Es ist Mittagspause, die Angestellten der umliegenden Büros essen hier ihre Sandwiches, lesen Zeitung, stehen oder gehen in Gruppen zusammen, viele anziehende junge Damen. In der Stadt auf Schritt und Tritt Hinweise auf die Kolonial- und Revolutionsgeschichte des Landes. Boston erscheint wohlorganisiert und „organisch“. - In ein düsteres, verkommenes Viertel geraten auf der Suche nach der „Beaver II“, dem „Tea Party“-Schiff. Dieses schließlich gefunden. Mit Bus zurück zu Newton Corner (304), dann wieder zu Fuß in die Lovell Av.

Nach einem 150-km-drive in Woods Hole, Cape Cod, abends 9.30 - Nancy sucht einen Typen, den Besitzer eines Segelbootes, mit dem sie sich hier verabredet hat, Motto: outside activity! Wir sind hier an der „Wurzel“ der Halbinsel Cape Cod, die sich in weitem Bogen nach Osten in den Ozean hinausspannt. Es ist kühl und feucht. Hier gibt es ein Ozeanografisches Institut.

Eine Segelpartie mit Hindernissen

20. Juli: Woods Hole. Die geplante Segelpartie mit Warren S. aus Sandwich findet wohl nicht statt, und wenn, dann erst mit schweren Geburtswehen. Aber ich fühle mich wohl hier. Ich sitze auf einem Anlegepfahl mit Blick auf den Ausgang der Bucht, wo scharenweise kleine Ein-Mann-Segelboote vor einer scharfen Brise kreuzen. Es ist sonnig, klar und Wolken nur in der Ferne. Am Ende der Piers entlädt ein kleiner Fischkutter seine Fracht: Schollen. Sie werden von einem Lkw übernommen. Meinem Geschmack kommt diese Landschaft doch näher als Kalifornien. Nancy und Warren suchen jemanden. Die Situation ist konfus, weil 1. nicht genügend Boote zur Verfügung stehen und 2. von den Anwesenden nur wenige Segelerfahrung haben.

Kurzer Bericht über Freitag,19.7. bis Sonntag, 21.7: Freitagabend um 7 Uhr in Richtung Südosten, überquerten wir nach etwa 60 Meilen den Kanal, der Cape Cod vom Festland trennt und erreichten bald Woods Hole. Zuerst Suche nach Warren S., den Nancy schließlich in seinem Büro - er ist Programmierer - fand. Zu uns gesellte sich ein kleiner, bärtiger Typ von etwa 25 Jahren namens Dennis, der ebenfalls als Programmierer arbeitet und bei Warren „moonlightning“ macht. Er berichtete mir von einer Reise nach Indien und Polynesien mit einem Frachtschiff, gab sich als Physiker aus aber mit Interesse an „anthropology“ (Ethnologie). Gegen ½ 12 brachen wir nach Sandwich auf, Dennis verschwand, tauchte in Sandwich aber mit fünf oder sechs Leuten, darunter 2 Mädchen, auf, mit denen wir in einem Waldteich baden gingen. Das ganze Abenteuer dauerte bis gegen 2 Uhr morgens . Nancy, Warren und ich übernachteten in der Cabin. Am Samstagmorgen nach unserer Ankunft in Woods Hole großes Durcheinander wegen der Segelparty. Schließlich einigte man sich, daß wir drei zu einem Mann namens Carl fahren, und die Segelpartie fand doch noch statt, Skipper und wohl der Besitzer des Bootes war jener Carl.

21. Juli: Duxbury, Plymouth County, 0.15: Wir sitzen hier auf der Polizeistation, weil Nancys Auto, ein älterer Saab, auf der Autobahn während der Rückfahrt nach Boston den Geist aufgegeben hat. - Newtonville, 1.50: Glücklicherweise hat N. ihre Wohngenossin Ellen W. erreicht, die mit ihrem Freund Jack kam und uns holte. Ein abenteuerliches Wochenende. Ehe wir Cape Cod verlassen haben, hat uns Warren in ein Lokal in Hyannis geschleppt.

21. Juli: Newtonville. Abschied. Im Flugzeug: Start 20.32. - 23. Juli: 1.10: Die Sonne kommt aus den Wolken hervor. Die Sonne ist da. - 7.40 MEZ: Turbulenzen, die Maschine wird geschüttelt. Wir müßten eigentlich schon über dem Festland sein. Dichte Wolkendecke. - 7.51: Die Ohren kündigen den Tiefflug an. - 7.54: Wir tauschen in die Wolkendecke ein. Der Druck auf die Ohren wird stärker. Land! - 7.55: Europa! Die Mosel? Die Eifel? Der Rhein? Sehr wahrscheinlich. Gleich überfliegen wir den Rhein. Der Taunus mit dem Feldberg. Ankunft Frankfurt: 8.25. Gießen an 11.20. Bahnhof Gießen: Ein Gefühl, in die Heimat zu kommen. Noch Gedanken an Boston, aber schon zu Hause. Ankunft am Bahnhof Wetzlar kurz vor 12.

Siegfried Träger



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Kommentare (1)

tilli Lieber Siegfried !
Ich weiß nicht wie viele Geschichten und Reiseberichte du noch am Lager hast, aber ich freue mich darüber wenn es noch viele sind.
Du bist so viel in der Welt gewesen,das man neidisch werden könnte. Aber, das bin ich nicht weil ich glücklich bin , wenn Menschen was schönes erleben und das Talent dazu haben es anderen zu übermitteln.

Ich grüsse dich Tilli.

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