Ablenkungen
1957 Frl. Moritz mit Marion, Doris, Herma, Gabi, Uschi, Margret. 1956 mit Renate Jäger und meine Realschulklasse.jpg
2011 – 50 Jahre nach meiner Mittleren Reife – war ich am Welttag der Frauen, dem 8. März, zu meiner Tochter geflüchtet. Sie gab mir damals die Möglichkeit, auch am PC Fotos einzuscannen, mir die notwendige Liste meiner ehemaligen Mitschülerinnen zu erstellen.

Mir wurde plötzlich bewusst, dass es im Sommer dieses Jahres 50 Jahre her war, dass wir Mädchen auseinander-, jede in ihr eigenes Leben gegangen waren. Ich fand die Idee, ein „Jubiläums-Klassentreffen zu veranstalten, sehr reizvoll.

Bereits ein Jahr nach der Schulentlassung hatte ich ein erstes Klassentreffen durchgeführt. Die Liste der Mitschülerinnen hatte ich damals an alle verteilt, auch wissen lassen, dass doch ein nächstes Treffen vielleicht fünf Jahre später schön wäre. Doch eine Einladung erfolgte nicht …

Die Jahre vergingen. Das Gros der Mädchen heiratete, gründete eine – ihre eigene – Familie. Aus kleinen Kindern wurden große, auch deren Kinder dürften ihre Eigenheiten gehabt haben, die wohl die Aufmerksamkeit zumeist der Mütter auf sich gezogen haben. Es gab halt Jahre mit Vielem zu tun.

2011 war es nicht mehr einfach, die ehemaligen Mitschülerinnen wiederzufinden. Eine Hilfe wurde mir zuteil durch meine Stiefmutter. Sie war mit der Mutter einer meiner Mitschülerinnen seit ihrer eigenen Schulzeit befreundet und beide lebten noch, nun in ihren späten 80er, fast 90er Lebensjahren. Aber dadurch erhielt ich eine erste Adresse, natürlich nicht mehr unter dem Mädchennamen. Sie wusste den Ehenamen ihrer Schulfreundin, ihre Adresse, die wiederum kannte zwei weitere Adressen und Ehenamen und dann erfuhr ich auch die Anschriften unserer letzten Klassenlehrerin sowie unserer Bio- und Erdkundelehrerin, die beide noch lebten!Foto 17 Schulausflug Berlin 1961 Frau Laue verteilt Weintrauben.jpg

Von einer Mitschülerin, mit der ich ein wenig in der Schulzeit befreundet war, wusste ich, dass eine weitere Mitschülerin in Ostbevern zuhause gewesen war. Ich durchsuchte das Telefonbuch nach ihrem Nachnamen und fand tatsächlich ihren Bruder, der dort noch zuhause war. Wir haben stundenlang geredet und so erfuhr ich auch die Ehenamen der Schwester und des in Nachkriegszeiten bei ihr damals lebenden zweiten aus Böhmen stammenden Flüchtlings-Mädchens.

Ich hätte es mir einfacher – aber teurer – machen können. All die Ehenamen der Mitschülerinnen hätte mir vermutlich wohl das Amt unserer gemeinsamen Heimatstadt nennen können. Doch das hätte pro Namen einige Euros gekostet. Ich aber steckte in der damaligen finanziellen Klemme, hatte Angst, meinem Ex könne es einfallen, mir das Trennungsgeld zu kürzen … Also lieber die kostenlose Flatrate des Telefons nutzen! Auf jeden Fall erforschte ich die Namen und Adressen von 18 Ehemaligen.

Foto 12  1959 nahe Hermanns-Denkmal Mechthild, Marianne, Anne, Irmgard, Herma, Irmgard, Käthe, Uschi, Gabi, Karin, Daggi, Doris, Karin Ruth, Ilma, Elke, Gabi.jpg
Wir waren 22 Schülerinnen, davon fast dreiviertel wiederzufinden, war schon schön! Von den restlichen vier war eine schon verstorben, eine weitere Mitschülerin war nach Vancouver Canada) ausgewandert, eine dritte lebte wegen ihres kranken Mannes fast ganzjährige in Spanien und entdeckte erst im Spätherbst meine Einladung zum herbstlichen Klassentreffen. Die vierte noch fehlende Mitschülerin war wirklich nicht mehr zu finden – als Einzige.

Die eine oder andere Mitschülerin konnte ich tatsächlich auch über Stayfriends finden. Anfangs war es mir die Beitragszahlung in diesem Forum sehr wohl wert. Aber nachdem das Klassentreffen – übrigens ohne unsere Klassenlehrerin, die zwar in Münster lebte, aber den „Kleinen Kiepenkerl“ nicht zu finden vermochte, statt. Die Biolehrerin hatte genau an diesem Datum ein Treffen mit ihren ehemaligen Lehrerkollegen, die noch lebten. Beide waren ja schon um die 90.

Es war seltsam, all die Éhemaligen, die man aus der Jugend kannte, nun als alte Damen wiederzusehen! Das Leben hatte uns alle – natürlich – optisch verändert. Doch an ihren Augen, ihrer Art in die Welt zu blicken, zu reden, konnte ich sie alle wiedererkennen! War schon schön … Und endlich erfuhr ich, warum es seinerzeit für mich so schwer war, mich mit der einen oder anderen in der Schule anzufreunden: zum einen hatte ich in der Parallelklasse (nur Jungs) meinen Stiefbruder (frisch mit seiner Mutter in unsere Familie eingeheiratet), der in seiner Klasse längst herum posaunt hatte, dass er nun in der Mädchen-Parallelklasse eine Stiefschwester hatte. Obendrein wusste die eine oder andere Mitschülerin, dass ich die Tochter DES Friseurs zu jener Zeit in Münster war. Vielleicht sei ich ja hochnäsig und wolle mit ihnen nichts zu tun haben? Dass ich einfach nur schüchtern war, weil ich nach einem Jahr Gymnasium in das zweite Jahr der Realschule dazu kam, nicht wusste, wie man mich dort als Schülerin sah, kam erschwerend hinzu?!

Auch 2011 verteilte ich auf dem Klassentreffen die geänderte Namensliste der Mitschülerinnen, ließ wissen, dass es nun vielleicht eine andere Ehemalige sein könne, die zum nächsten Treffen, vielleicht in fünf Jahren, einladen könne. So sehr sich alle erfreut zeigten, sich tatsächlich mal wiederzusehen – es folgte kein drittes Treffen.

Heute sind wir alle Mitte 70, Vermutlich bin ich nicht die einzige Alterserkrankte, und so wird es wohl dabei bleiben. Vielleicht schaffe ich es ja, meine Tochter dazu zu animieren, aus den Fotos die wir auf dem Klassentreffen 2011 gemacht haben, ein kleines Album zu erstellen. Damals plante ich das schon, aber sie war 2011 mit ihrem ersten Kind schwanger. Es folgten für uns Zwei bis heute einige erlebnisreiche Jahre. Jetzt hat sie seit einem Jahr ihre Diploma zur Legasthenie- und Dyskalkulie-Trainerin, weil unser Junge vielfältig betroffen ist wie sein Papa.

Über das Geschehen damit, das ich in recht leichter Weise auch vor 45 Jahren bei meinem Sohn erleben musste, hat sie nun ein Büchlein geschrieben. Wie es ihr gelungen ist, ihrem Sohn die Freude am Lernen, immer noch Spaß an der Schule zu haben, nicht zurückversetzt zu werden und das dritte Schuljahr mit einem ordentlichen Zeugnis zur Versetzung in die vierte Klasse zu schaffen – darüber erzählt ihr das vergangene Woche erschienene Büchlein. Ich bin ganz stolz, ihr bei dieser Arbeit ein wenig geholfen zu haben. Es hat mich sehr von den Nebenwirkungen meiner Krebserkrankung abgelenkt!!

Es wird ihr eine Freude sein, zukünftig (wie einigen wenigen weiteren Betroffenen schon seit Monaten) betroffenen Kids das Lernen auf die andere notwendige Weise zu erklären …
 

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Kommentare (4)

floravonbistram

Liebe Uschi, auf deinem Foto entdeckte ich ganz links eine Doppelgängerin einer Mitschülerin von mir im Klosterinternat Bielefeld. Sie hieß Brigitte...mir fällt gerade der Nachname nicht ein. Habe sie aber auch auf Bildern...größer als alle anderen und Brille2009-03-16 13-45-20_0127as.jpg
Sicher nur eine entfernte Ähnlichkeit, aber doch...

 

nnamttor44

@floravonbistram  
Liebe Flora, so ähnlich erging es mir mit einem Foto meiner (Grundschul-) dann Hauptschulklasse, die - wie ich mit meiner Realschulklasse - zum Hermanns-Denkmal einen Klassenausflug gemacht hatte, wo die Verwechslungsfotos dann entstanden, und keineswegs am gleichen Tag!

Auf beiden Fotos sah es so aus, als ob ich dort abgebildet sei, auf dem der Volksschule / Hauptschule aber war es eine Mitschülerin, die ich selbst bei näherem Hinsehen glatt mit mir verwechselt hätte! Doch das konnte nicht sein, denn ich war ja nie auf die Hauptschule gegangen! Es war nicht möglich, einer Mitschülerin - nun erwachsen - klar zu machen, dass ich auf ihrem Klassenfoto nicht sein konnte!

So kann's manchmal gehen schmunzelt

Uschi

Rosi65

Liebe Uschi, zu Deinem schönen Klassentreffen:

Eine Freundin hat vor einigen Jahren mal einen enormen Aufwand betrieben, um ein Klassentreffen im eigenen Hausgarten zu veranstalten. Die zahlreichen Gäste waren echt begeistert, denn sie wurden reichlich mit Essen und Trinken verwöhnt. Es wurde ein netter Plaudernachmittag bei sommerlichen Wetter. Viele  versprachen, sich für diese nette Einladung zu revanchieren. Die Freundin schickte noch jedem Gast Abzüge von den Gruppenfotos zu, die sie an diesem Tag geknipst hatte. Und dann? Passierte nichts mehr! 
Wahrscheinlich suchen viele Menschen zwar die Unterhaltung, und lassen sich deshalb auch gerne einladen, werden aber selten, gerade wenn es Zeit- und Kostenintensiv ist, dabei selber aktiv.
Das ist natürlich sehr schade.

Herzliche Grüße
    Rosi65

nnamttor44

@Rosi65 
Liebe Rosi65,
vielleicht gibt es ja Menschen, die ihre Zugehörigkeit suchen. Doch es gibt genauso viele, die sich überhaupt keine Gedanken darüber machen. Sie lassen sich - wie Du schreibst - gern einladen, aber sie machen sich keine Gedanken darüber, welch ein Aufwand dazu oftmals notwendig ist (oder betrieben wird). Ich nenne es Oberflächlichkeit ... Viele kennen den Spruch "eine Hand wäscht die andere" nicht oder wollen sich darauf nicht einlassen.

Für mich bedeutete die Tatsache, als I-Männchen wegen meiner todkranken Mutter zuhause keine Kinder mitbringen zu dürfen, eine Schwierigkeit, Freundschaften zu schließen. Nach dem 4. Schuljahr ins gymnasiale Internat zu kommen, zerschlug mir die dennoch begonnene Freundschaft zu meiner GS-Freundin Renate. Das gehässige Reden ihrer großen Schwester Elisabeth war schuld.

Mit einer Jutta in meiner Sexta war es dann auch vergebliche Liebesmüh, weil die Internatszöglinge die Woche über  keinen "Ausgang" hatten. Nachdem ich nun wieder in meiner Heimatstadt zur Schule ging, mussten Hausaufgaben nachmittags selbstverständlch allein erledigt werden - keine Zeit also, die 12 km mit dem Fahrrad am Nachmittag zum Internat und wieder nach Hause zu schaffen. 

Das Fremdeln in der neuen Schule war ja obendrein erst einmal von beiden Seiten zu überwinden. Ein wenig trug dazu auch die Tatsache bei, dass die Mitschüler meines Stiefbruders - wir waren ja alle etwa 13 Jahre alt - begannen, sich für die gleichaltrigen Mädels zu interessieren und sie knitschten mir ihre leeren Apfelpitschen an die Waden, versuchten, mir Papierkügelchen in den Ausschnitt zu werfen. Das blieb meinen Mitschülerinnen nicht verborgen. Sie hielten sich lieber von mir fern. Und vom Vater bekam ich in diesem Alter bereits die Drohung zu hören: "Komm mir bloß nicht mit 'nem Chrisjöhnken nach Hause!" Es isolierte mich zusätzlich ...

Ich lernte es auch zuhause nicht kennen, dass befreundete Familien sich regelmäßig besuchten. Das lernte ich erst in meiner Ehe kennen und noch natürlicher bei meiner Tochter hier. Heute, wo es auf dem Land doch ein wenig schwieriger ist, etwa gleichaltrige Nachbarskinder zum Spielen zu finden, ist man als Eltern darauf angewiesen, die eigenen Kids zu den Freunden aus der Schule zu fahren, die oft in einem kilometerweit entfernten Ortsteil leben, oder die Freunde herzuholen, damit ihnen "so ein Schicksal" erspart bleibt.

So oder eben auch anders spielt das Leben ... weiß inzwischen

Uschi mit herzlichem Dank für Dein Lesen und Kommentieren.


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