Achtzig Jahre ist es her


Immer wieder sah ich in einem Album, das mein Vater meiner Mutter 1933 zum Nikolaustag geschenkt hatte, Bilder von Bellinchen (heute "Bielinek").
Sie zeigen Fotos von dem Ort in der Neumark am heutigen Grenzfluss Oder. Meine Mutter wusch dort meine Windeln im Oderwasser.

Bellinchen: ein Ort direkt am rechten Ufer der Oder. Es wäre doch toll, jetzt einmal dahin zu fahren. Kartenstudium und auch Suche in einem Buch über die heutige (einstige) Neumark, das ich mir kürzlich von einer Ausflugsfahrt nach Lagow, eben auch in der Neumark gelegen, mitgebracht hatte.
Bellinchen kam da nur so am Rande erwähnt vor. Bellinchen ist und war bzw. hatte keine Bahnstation – wie sind sie also mit mir dahin gekommen? Vielleicht mit einem Bus. Nur, warum gerade da hin?!

Bellinchen lag und liegt im Nationalpark „Unteres Odertal“ einem der ältesten Nationalparks überhaupt. Und es mag sein, dass Vater bei seinen Paddeltouren rund um Berlin da mal hin wollte, und nun mit Mutter – aber eben nicht mehr mit dem Paddelboot – die Tour dorthin machte.

Spatz und ich gedachten, jetzt einmal mit dem Auto dorthin zu fahren. Also wurde erst einmal die Karte „Märkisch-Oderland – Lebuser Land“ studiert. Dann kam „Google Maps“ dazu, um das Ganze mal vom Satelliten aus zu betrachten. Ich machte für die Tour ein paar Ausdrucke, wo und was uns da in Polen erwarten würde.

Das ist Abstimmung ohne Worte: mein Spatz hatte sich auch vorbereitet. Nur die Zlotys von früheren Touren nach Polen hatte sie prompt vergessen. Ganz klar: sie hatte einen Fahrradständer für’s Auto gekauft und montieren lassen – und den galt es doch mit unseren Rädern zu belasten, diese Verbesserung unserer Ausflugsmöglichkeiten zu erproben.

Spatz kam also schon mit dem Rad von ihrem Zuhause an, um mich mit meinem Rad abzuholen. Bloß: wo sind verdammt meine Fahrradschlüssel geblieben? – ich hatte vor kurzer Zeit meine Schlüssel umstrukturieren müssen, weil die Schlüsseltasche repariert werden musste. Endlich nach langem Suchen konnte ich die Fahrräder frei bekommen (Spatz hat ja hier auch noch ein Rad, das sie sich aus Bayern mitgebracht hatte, hätte also ohne ihr leichtes und einfaches Rad hier anreisen können). Mein Rad wurde dazu geladen und ab ging „die Post“.

Nach einer Weile Fahrt durch den Nordosten von Berlin erreichten wir die B158. Eine tolle Straße! Bergauf, bergab und auch einige Kurven, sonst eingerahmt von alten, ehrwürdigen Chaussee-Bäumen. So ging es nach Bad Freienwalde. Den Ort hatten wir schon einmal mit der Bahn angefahren, hier aber neue Blicke von der „Rennstrecke“ aus.

Wir kamen zur „Alten Oder“, neben der Straße floss die „Stille Oder“. Hinter Altglietzen erreichten wir Hohenwutzen. Da geht eine Brücke über die Oder – stromauf und stromab ist es sehr weit, bis es einmal wieder einen Übergang nach Polen gibt. Im ersten polnischen Ort wechselten wir einige Euro in Zloty um, so für alle Fälle, denn je weiter man von der Grenze weg ist, kann man oft mit den Euros nichts anfangen.

Wir folgten nun der Staatsstraße 124 bis nach Zehden (Cedynia), von dort weiter auf der Staatsstraße 125 gen Norden. Hinter Lübbichow (Lubiechow) ging es durch einen Wald mit mächtigem Buchenbestand im „Landschaftsschutspark Zehden“.

Und dann kam das erste Schild „Bielinek“. Ich nahm die ausgedruckte Luftaufnahme zur Hand. Sie zeigt Bielinek und etwas, was es zu enträtseln gab. Von der Staatsstraße geht gemäß Bild ein Weg oder eine Straße nach links ab und führt direkt auf die Oder zu. Und flussabwärts, so sah es aus, musste es ein große Wasserfläche geben und da am Ufer etwas, das wie eine Ton- oder Kreidegrube aussah.

Aber nun landeten wir neben einem Gehöft am Oderdeich. Beim Abladen der Räder musste ich feststellen, dass mein Hinterrad schon wieder reichlich Luft verloren hatte. Na, Mahlzeit! Reifenpanne und kein Flickzeug. Schade, zu gerne wären wir auf dem Deich entlang gefahren. Bloß, wenn jeder überfahrene Stein sich bei der Felge hart meldete … also Ende mit der Radlerei.

Wir suchten einen Platz im Gras und sahen uns recht aufmerksam um. Ruhe, himmlische Ruhe stromauf und stromab. Die Fotos hielten die gewonnenen Eindrücke fest. Auf deutscher Seite tuckerte ein Trecker vorbei – dazwischen das trennende Oderwasser. Ja einmal flitzte ein motorisiertes Schlauchboot flussabwärts. Sonst nichts, aber auch gar nichts, was auf einen so wichtigen und eigentlich lebendigen Fluss hindeutete.

Ach ja: ein Geschwader Wildgänse flog so in mittlerer Flughöhe stromaufwärts. Am Fluge konnte man sehen, dass es durch vom Winde erzeugte Luftlöcher durchflog. Sie verschwanden in Richtung Sonne (die man heute aber gar nicht sehen konnte, es herrschte leichter Dunst – wir waren glücklich, dass sich die Metrolügen für hier geirrt hatten: kein Regen!).

Spatz machte im Alleingang auf dem Rade eine Runde durch den Ort, während ich mit der Kamera die Kirche umkreiste. Schließlich brachen wir auf, verluden die Räder, zurrten sie wieder gut fest. Zurück ging es erst einmal dahin, wo diese Grube liegen könnte. Ein superbreiter Muldenkipper kam uns entgehen. Wir fuhren weit nach rechts raus, damit er uns passieren konnte. Wir kamen zu einer Kiesgrube, einer Anlage, die der Oder das Baumaterial entriss – das waren also die komischen Striche in der Luftaufnahme: die Förderbänder zu den einzelnen Sieben und die Berge fertigen Kieses.

Dann kehrten wir um in Richtung Hohenwutzen. Wieder ging es durch den hohen Buchenwald. Dieses Mal wartete der zurückkehrende Muldenkipper auf uns an einer Ausweichstelle. Wir näherten uns der Überfahrt. Vorher wollten wir noch billig in Polen tanken. Und schließlich hatte uns Deutschland – nein die Mark Brandenburg – wieder.

Noch rechtzeitig konnten wir meinen defekten Drahtesel im Fahrradladen zur Reparatur abgeben. Da haben wir uns gleich zwei Helme gekauft – wurde höchste Zeit! Nun kann meine älteste Tochter das Mahnen einstellen.

Ja, da war ich mit Spatz einfach dahin gefahren, wo mir als Hosenmatz mal die Windeln gewechselt und in der Oder gewaschen wurden. So ein Erlebnis können kleine Kinder von heute gar nicht nachempfinden, gibt es für sie doch eben die Pampers.

ortwin

Anzeige

Kommentare (0)


Anzeige