Allerheiligen

Eine kleine, dunkelgekleidete alte Frau kommt auf den Flughafen in Split an, wo sie von einem Mann im mittleren Alter abgeholt wird.
Wie war dein Flug, Tante Anka, fragt der Mann, soll ich dich wirklich zu deinem Haus fahren? Du weißt, Du bist bei uns immer gern gesehen.
Anka will und so fährt der Neffe los.

Unterwegs halten sie bei einem Blumenladen an, um das bestellte Blumengesteck abzuholen.
Schließlich kommen sie in ein fast menschenleeres Dorf an. Anka öffnet eine Haustüre. Das Haus ist kalt und menschenleer. Der Neffe entfacht ein Feuer im Ofen, stellt eine Plastiktüte mit einigen Lebensmittel auf den Tisch, verabschiedet sich.
Dann bis Morgen, Tante Anka. Anka nickt, legt Holz nach, packt ihre wenigen Sachen aus.
Dann geht sie ein paar Häuser weiter, wo eine alte Verwandte lebt.
Die Frauen umarmen sich und beginnen zu erzählen.

Am nächsten Tag ist Allerheiligen. Die ehemaligen Bewohner aus der Nachbarschaft kommen mit ihren Autos aus der Stadt, beleben für einen Tag das verlassene Dorf. Man begrüßt sich, spricht über die lieben Verstorbenen, tauscht Neuigkeiten aus.
Dann fährt man zum Friedhof. Die Gräber werden mit Blumen geschmückt, Grablichter angezündet. Der Friedhof gleicht einem Blumenmeer, Lichter flackern in der Dämmerung. Die Kirche ist bald überfüllt. Alte Lieder werden gesungen.
Nach der Messe für die Verstorbenen geht der Priester durch die Grabreihen, besprengt die Gräber mit Weihwasser.

Allmählich zerstreuen sich die Angehörigen.

Anka steht noch am Grab ihres verstorbenen Mannes, wischt sich eine Träne aus den Augen, spricht leise vor sich hin : "Bis zum nächsten Jahr, vielleicht auch schon früher."



Foto d. Gemäldes "Friedhof Zezevica": Privat E.K.
 


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Kommentare (3)

Maslina


Hallo Maslina,

danke für den eindrucksvollen Bericht und für das Foto, das sehr gut die besondere Stimmung eines Friedhofs in den Bergen zeigt, auch die Stimmung, die an den kommenden Gedenktagen da und dort auftauchen wird.

Für viele Menschen sind Bräuche sehr hilfreich und nützlich. Der Besuch der Gräber der verstorbenen Angehörigen gehört dazu, das meint

Ella

Manfred36


Du schreibst aus echten Erfahrungen, das merkt man schon dem pragmatischen Stil an.
Ich fühle mich insgeheim innerlich gedemütigt, komme aber gegen meine formale Vergessenskultur nicht an. Ein Gedenken zu inszenieren, bringe ich nicht über mein Herz, auch nicht an Allerheiligen, früher in der Familie immer ein obligater Termin. Aber bei Anka kommt natürlich noch die alte Heimat hinzu. Hier wird im freien Ruheforst ein großer Gottesdienst abgehalten, der versucht, unsere Vergänglichkeit in einen besonderen Rahmen zu stellen.
 

Maslina

Jeder hat seine eigene Art zu trauern und ich erinnere mich wie oft Du deine Christine erwähnt hast.
Gruß Maslina


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