Alte Eulen


WIE ES BEI ALTEN EULEN ZUGEHT
 
 
Eine ältere, schon leicht angegraute, nur noch hin und wieder nachtaktive Schleiereulin saß mit knurrendem Magen auf dem kahlen Ast nahe des Schlupflochs zu ihrer Bruthöhle und äugte mit ihren großen Augen schon geraume Zeit in die anbrechende Dämmerung des Sommermorgens. Ihr Alter war nach alter Gewohnheit bereits im Dunkel gegen Ende der Nacht zum Beutefang ausgeflogen, sie konnte es kaum erwarten, dass ihr Schleiereulerich mit nahrhafter Atzung von Frischfleisch zurückkäme. Würde ihm womöglich eine junge zarte Schnepfe  oder eine leckere süße Feldmaus in die Fänge geraten sein, die er als köstliche Beute in die heimische Nisthöhle bringen würde? Die Leckereien wären es wert, eine gute Flasche alten Rieslings aus dem Keller zu holen. Der sich im vorgerückten Alter befindlichen Schleiereulin lief bei ihren Gedanken an die Leckerbissen das Wasser im Schnabel zusammen.
 
Die in die Jahre gekommene Schleiereulin äugte und äugte. Schon machte die heraufgezogene Dämmerung einer sanften Morgenröte Platz. Vergebens. Am weiten Horizont war nicht die leiseste Spur vom eleganten Flügelschlag ihres vom Beutegang herbeieilenden Schleiereulerichs zu sehen. Als ein breiter Silberstreif  am Himmel das Tageslicht ankündigte war ihr der Appetit vergangen, und die Sorge füllte sie zunehmend, ihrem Altersgefährten könnte etwas Schlimmes zugestoßen sein, sodass sie ihren Lebensabend alleine als alte Jungfer in ihrer Nisthöhle fristen müsste.
 
Da tauchte der Schleiereulerich auf.
 
Aber in welch erbärmlichem, völlig abgewrackten Zustand sich ihr alter Lebenspartner näherte. Mit matten, lahmen Flügelschlägen torkelte er saft- und kraftlos herbei, offenbar völlig entkräftet erreichte er mit hängender Zunge den kahlen Ast vor der Nisthöhle. Seine Beine zitterten und trugen ihn nur noch mit Mühe, kaum dass er sich mit seinen sonst so starken Krallen an ihm festklammern konnte. Sein Federkleid war völlig zerzaust. Seine Augenlider, und überhaupt alles an ihm hingen ihm ermattet herunter. Der Kerl war am Ende seiner Kräfte, völlig fertig war der alte Junge.
 
Der rasch aufkeimende Argwohn der Schleiereulin, ihrem alten Herrn sei ein außerhalb seiner alten Jagdreviere stattgefundenes Ereignis mit einer der ehelichen Treue widersprechenden Art  widerfahren, das seinem früheren, jugendlichen Beuteverhalten entsprach, steigerte sich zur festen Gewissheit, je länger sie den erbarmungswürdig derangierten Zustand ihres alten Partners analysierte. Nein, das war nicht seine normale altersgemäße Alterserscheinung mit der er von der Jagd zurückkehrte, die sich ihrem scharfsichtigen Auge offenbarte; da musste mehr im Spiel gewesen sein. Ihr Alter musste außer Haus draußen auf den Fluren einer Altersschwäche erlegen sein, die seinen völligen Kräfteverschleiß bewirkte. So schnarrte es spontan mit dem scharf schneidenden Ton ihrer tiefen Altstimme aus ihrem gekrümmten Schnabel hervor: „He Alter, gibs zu, statt die gewohnte Beute zu schlagen hast du mit einer jungen Schleiereulin gevögelt! Und mich lässt du hier verhungern!“
 
Der alte Schleiereulerich leckte sich – dazu hatte er noch die Kraft - infolge einer Freudschen Fehlleistung eine kurze Weile lang die Lippen und ließ seine Augen mit den letzten Resten seiner Energie nachgenießend leuchten: „Wie kommst du auf diesen Gedanken?“
 
Der ältlichen Schleiereulin sträubte sich das Gefieder. Wie kann so ein alter Mistkerl nur an dem alten Glauben festhalten, seine Alte käme ihm nicht auf die Schliche? „Stell dich nicht so blöd an, du alter Knacker“, giftete sie ihn an, „ich bin doch nicht alterssichtig, mit meinem scharfen Blick auf den Zustand deines alten, nur ganz marginal wahrnehmbaren Adamkennzeichens erkenne ich auf den ersten Blick, was bei dir von der späten Nacht bis zum frühen Morgen los war. Ich habe das typische Bild deines Zustands, das du abgegeben hast, nicht vergessen, wie du aussahst wenn wir uns – auch wenn das schon eine Weile her ist – zusammen vergessen haben. Dein zerfleddertes Outfit, deine geschwächt zitternden Beine, die matt erlahmten Flügel, und überhaupt alles hing damals nach vollbrachter Tat schlaff an dir herunter. Du kannst mir nichts vormachen. Und komm mir ja nicht mit dümmlichen Ausreden.“
 
Der alte Schleiereulerich schluckte zwar dreimal kurz, behielt aber seine Fassung. „Nun gehab dich mal nicht so altbacken, alte Eule. Wenn ich an deine Mutter oder meinen Vater zurückdenke habe ich doch nur ganz altmodisch nach altüberliefertem Brauchtum und Sitte gehandelt, alten Verhaltensmustern Folge geleistet, wonach die Evolution die Natur als freie Wildbahn ausgestaltet hat.“
 
Die in die Jahre gekommene Schleiereulin war sichtlich alteriert. „Ich habe den Schnabel voll, mir läuft der Kropf über bei deinem altväterlich erhabenen Gesülze. Deine billige Ausrede ist doch ein alter Hut von euch Männchen. Ich stelle dich vor die Alternative: entweder verhältst du dich ab sofort altersgemäß und schneidest die alten Zöpfe ab, wie wir emanzipierten Weibchen das von emanzipierten Männlein fordern, du lässt alles – es ist ja nicht mehr sehr viel -, was du noch kannst, in der Nisthöhle deiner Alten, oder wir beziehen unsere Altenteile in getrennten Altersheimen. Die gute alte Zeit, wie ihr Männer sie interpretiert, ist unwiderruflich vorbei, sonst wirst du ab sofort meine Nisthöhle nicht mehr benutzen.“
 
Nach diesem emotionalen Gefühlsausbruch der ältlichen Schleiereulin, wie man ihn seit alters her von altjüngferlichen Weibchen gewöhnt ist, musste der in die Jahre gekommene Schleiereulerich nicht nur dreimal kurz, sondern über eine längere Weile hinweg heftig schlucken. Doch dann gewann er seine altgewohnte Fassung  wieder. „Du jammerst so zimperlich wie eine alte Jungfer,  die keinen mehr bekommt. Ich habe mich völlig meinem Alter gemäß verhalten, da ich mich an einem Frischprodukt des ältesten Gewerbes der Welt erfreute. Was so altbewährt ist, kann man doch nicht einfach über Bord werfen. Auch mit grauen Schläfen verlässt man gelegentlich die alteingesessenen Weidegründe und dringt, da man in den besten Jahren ist, in fremde Reviere ein, um frisches Futter zu finden. Auch im fortgeschrittenen Alter gehört ein Schleiereulerich noch längst nicht zum alten Eisen, das emanzipiert fortschrittlich sein muss. Lass dir deshalb keine grauen Haare wachsen.
 
Der in das Alter gekommene Schleiereulin verschlug es fast die Sprache, was bei weiblichen Wesen ein extrem seltener Zustand ist. Aber ein bisschen Luft zum empört gackernden Meckern blieb ihr doch, was bei weiblichen Wesen der Normalzustand ist. „Typisch dieser Altersstarrsinn“, plärrte sie in die frische Luft des jungen Morgens, „stur am alten Brauchtum festhalten, die übliche Alterskrankheit. Wie die Alten sungen, so vögeln die Jungen. Dumm geboren und nichts dazugelernt. Schleiereulerich, du bist aus dem alten Holze geschnitzt. Schon dein Alter konnte seine Finger nicht von fremden Federn lassen.“
Jetzt wurde der alte Schleiereulerich seinerseits echt echauffiert und insistierte hartnäckig: „es waren nicht nur die Federn, mit denen sich die Finger meines Alten beschäftigten.“
„Nun habe ich aber endgültig von dir den Schnabel voll“, fauchte die Schleiereulin, so wie nur alt gewordene Schwiegertöchter fauchen können, „raus aus unserer bisher gemeinsamen Nisthöhle!“
 
Stur am Althergebrachten festzuhalten ist nicht immer die beste Strategie und kann zu einem traurigen Ende führen. Jedenfalls bei Schleiereulen.
 
 


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