Am alten Dorfplatz im Wonnemonat Mai


Am alten Dorfplatz im Wonnemonat Mai
Der Milchladen, ein Ort der Kommunikation
Trotz der unerfreulichen Begleiterscheinungen des Milchholens in meiner Kindheit (ca. 1948)  sind mir bis heute andere Beobachtungen um das Milchlädchen herum weit mehr im Gedächtnis geblieben alsverschüttete Milch.
Milchkanne, 300 Px, Attachment-1.jpg
(Milchkanne von damals, bevor sie Beulen und Dellen bekam)
   
Das Milchlädchen war am Dorfplatz angesiedelt, wo auch der Dorfbrunnen mit seinem breiten Steinmäuerchen stand, und sinnigerweise war dort auch die Viehwaage sowie der Farrenstall. Damals wusste ich noch nicht, wozu alle diese Vorrichtungen gut sein sollten.
Da man vor dem Milchlädchen „anstehen“ musste und manchmal recht lange warten, hatte ich Zeit, meine neugierigen Blicke umherwandern zu lassen in der Dämmerung, denn Milch gab es erst gegen Abend. Um den Dorfbrunnen versammelten sich um diese Zeit die jungen Burschen des Dorfes, lungerten dort sozusagen absichtslos herum, wie das ja heute auch noch an manchen Plätzen im Dorf und in den Städten üblich ist.

Der Dorfplatz, eine alte Form der „Dating-Agentur“
Damals war es nicht üblich, dass junge Mädchen abends ohne Anlass alleine draußen auf der Straße waren. Das Milchholen war deshalb ein sehr willkommener Grund für heranwachsende junge Mädchen, sich abends noch einmal hinauszuwagen. Meist kamen die größeren Kinder oder jungen Mädchen der Familie in Zweiergruppen. Die Blicke wanderten rege zwischen den Wartenden vor dem Milchlädchen und den Burschen am Dorfbrunnen hin und her. Der Dorfplatz war einer der wenigen Plätze, der noch einigermaßen gut beleuchtet war. Die jungen Mädchen hatten sich meist mehr als für eine Erledigung notwendig herausgeputzt, denn man konnte ja nie wissen, ob nicht etwa der heimlich Angebetete dort sein würde. Der Rest ergab sich von selbst. Manche junge Burschen wussten sich so in Szene zu setzen, dass man sie nicht übersehen konnte, die Mädchen setzten ihre Vorzüge etwas dezenter ein, aber auch ihre Botschaften kamen an.
So mancher Bursche bot seine Dienste als Beschützer auf dem Heimweg an. Die Schüchternen und Wohlerzogenen weiblichen Wesen lehnten dieses Angebot wenigstens ein oder zwei Mal ab. Die Keckeren unter ihnen nahmen es begeistert an. So schieden sich schon durch diese harmlosen Annäherungsversuche die Charaktere und es fanden sich die passenden Paare nach und nach zusammen.
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Der Dorftratsch ersetzte die Lokalzeitung
Manche fanden auch außerhalb der „Milchlädchen-Pfade“ noch Wege, sich zu treffen. Das war damals aber nicht anzuraten, denn letzten Endes wollte jeder Mann eine unbescholtene, eher zurückhaltende Partnerin fürs Leben haben. Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit waren weder erlaubt noch üblich, da wachten die Eltern, die Pfarrer, die Lehrer und nicht zuletzt die Nachbarn hinter den Gardinen streng darüber. Die Gerüchteküche brodelte heftig in der „Schlange“ am Milchlädchen. Noch ehe die jungen Leute es sich versahen, hatten sie einen schlechten Ruf weg.
Und bei denen, die heimliche Wege für ihre Liebe gefunden hatten, war die frühe Heirat oft nicht zu verschieben, was damals eine sehr peinliche Situation war, die die Dorfgemeinschaft intensiv erörterte, breittrat, ausschmückte, aufbauschte.
Und wo tat sie das? In der Warteschlange vor dem Milchlädchen natürlich!
Was ist an die Stelle des Milchlädchens getreten? Die vielen Stadtteilzeitungen können trotz ihrer großen Anzahl das Kommunikationszentrum  Milchlädchen nicht ersetzen. Gibt es jetzt weniger soziale Kontrolle und auch weniger Tratsch?


Fotos: Milchkanne, E.Z. Privat

Fotos:  Dorfbrunnen und  Brunnen im Winter: Peter Schmelzle
 

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Kommentare (2)

Manfred36


Ich weiß nicht, liebe Eleonore,
welche Zeit und Gegend deine schöne Erzählung beleuchtet. Am Nordrand des Pfälzer Waldes war es ganz ähnlich. Das Milchlädchen und zwischen der Dorfstraßen-Gabelung gegenüber erhöht die Dorflinde, mit einem Dorfbrunnen dahinter . Wir hatten Milch direkt vom Bauern nebenan und Ziegenmilch aus eigener Zucht, aber manchmal holte ich auch mit der Blechkanne von den beiden alten Mädchen des Milchladens. Auch der Ziegenbock war nur 3 Häuser weiter oben. Was da herumwartete und -lungerte, ist mir damals noch nicht so eingegangen. Es waren auch noch 4 weitere Brunnen im Ort, auch als Viehtränke. Vor allem als die Wasserleitung den Bomben zum Opfer fiel, waren das schon gewisse Zentren. Den Dorftratsch bekamen wir allerdings in Haus geliefert, weil meine Mutter für den gesamten Ort mit der Maschine strickte, zum Teil selbstgesponnene Schafwolle.
Manfred
 

ella

@manfred36
Danke für den informativen Kommentar. Ja, es gab früher verschiedene Wege, Nachrichten zu verbreiten. Eine der schönsten war vermutlich so ein Dorfbrunnen, aber beim Schneider, Bäcker oder an einer Strickmaschine in einem Privathaus klappte es sicher auch.
Ziegenmilch gab es für mich nach dem Krieg auch, denn es gab keine Kuhmilch in meinem Umfeld.
Seither trinke ich Ziegenmild ach lieber und mag Ziegenbutter sehr gerne. 
Die Brunnenfotos sind aus dem Kraichgau. Ich habe sie von einem Fotografen aus Bad Wimpfen, dem ich danke für die kostenlose Nutzung.


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