Aus dem Arbeitsleben: „Gab der Hüttenbesitzer ein paar Ohrfeigen“


Eine Radeberger Milieuschilderung aus der Zeit vor 140 Jahren

Für heutige Betriebsabläufe praktisch undenkbar, jedoch zum Beginn des industriellen Arbeitszeitalters durchaus keine Eintagsfliege, ist die Schilderung einer Gerichtsverhandlung vor dem Radeberger Schöffengericht im Juli 1880.

Der Gerichtsbericht hatte folgenden Wortlaut:
Der sechzehnjährige Friedrich Emil Lehmann befand sich in der Glasfabrik der Herren Berthold und Hirsch als Einträger. Am Vormittag des 18. März kam derselbe mit einem seiner Kollegen in Streit, welchen der Glasmacher Zuchold dadurch zu beenden suchte, dass er Ruhe gebot. Da darauf Lehmann nicht hörte, gab er diesem ein paar „Schellen“. Emil Lehmann klagte das seinem älteren Bruder Robert, welcher nebst den Gebrüdern Schöne auf einem Neubau der Herren Berthold und Hirsch beschäftigt waren.

Zur Vesperzeit kam nun Robert Lehmann und Moritz Schöne in die Glasfabrik und stellten den Glasmacher Wittmann, in der Meinung dieser habe den jüngeren Lehmann geschlagen, zur Rede. Dieser entgegnete logischerweise, dass er mit dem letzteren nichts zu tun gehabt habe, und forderte die Interpellanten (heute nur noch gebraucht als Begriff für eine Person, die im Parlament eine Anfrage einbringt) auf, seine Werkstelle und die Hütte (volkstümlicher Begriff für Glasfabrik) zu verlassen. Da aber die Genannten keine Anstalt trafen, so schleuderte Wittmann mit den Füßen Glasbrocken nach denselben und Zuchold sprang hinzu, um die Beiden hinaus zu stecken. Hierbei kam es zum Skandal und Handgemenge, zu welchem der Hüttenbesitzer Hirsch hinzukam. Dieser forderte Schöne und Lehmann wiederholt auf, die Hütte zu verlassen, und da dieselben dieser Aufforderung nicht Folge gaben, gab Hirsch einem der Beiden ein paar Ohrfeigen, fasste einen derselben, um ihn mit Gewalt hinaus zu stecken, und da dieser sich stemmte, nahm er ein Stück Brett, um damit zuzuschlagen. Vereinten Anstrengungen gelang es endlich, Lehmann und Schöne vor die Tür zu befördern.

Mittlerweile war der jüngere Lehmann zu dem noch in der Arbeitsbude beim Vesper sitzenden älteren Schöne gesprungen und hatte diesem gesagt: „Du, in der Hütte schlagen sie deinen Bruder!“, worauf dieser sogar herzu sprang und eine vor der Tür liegende hölzerne Glasform ergriff, mit beiden Händen hoch hob, um damit zuzuschlagen. Auf Intervention Dritter ließ er dieselbe aber wieder fallen. Herr Hirsch kündigte darauf den Ruhestörern sofort die Arbeit, worauf sich dieselben schimpfend zurück zogen. Auf diesen Vorfall hin, stellte der Hüttenbesitzer, Herr Hirsch, Strafantrag und wurden Moritz Schöne und Robert Lehmann wegen Hausfriedensbruch, ein jeder zu 10 Tagen Gefängnis, jedoch wegen ruhestörenden Lärmens bzw. groben Unfugs ein jeder mit 4 Tagen Haft bestraft. Traugott Schöne wegen groben Unfugs und Bedrohung mit 2 Wochen Haft bestraft, der jüngere Lehmann hingegen frei gesprochen.

Die Angeklagten sind übrigens schon sämtlich mit den Gesetzen in Kollision gekommen, vorzüglich der 34 Jahre alte Traugott Schöne, der jedenfalls nicht der beste Bruder ist, denn aus dem Verlesen seines Sündenregisters ging hervor, dass derselbe wegen Betrugs, Diebstahl, Mietzinsprellerei, Brandstiftung und Lärmens schon zwölf Vorstrafen erlitten, und ziemlich den vierten Teil seines Lebens im Gefängnis, Arbeits – und Zuchthaus zugebracht hat. Auch gegenwärtig verbüßt er eine Zuchthausstrafe, weshalb er aus Waldheim geholt worden war, und aus der Haft vorgeführt wurde. Moritz Lehmann ist einmal wegen ruhestörenden Lärmens mit 3 Tagen Haft bestraft, und Robert Lehmann wegen Gefangenenbefreiung und Diebstahl in Untersuchungshaft gewesen, behauptet aber vor Gericht, beide Male freigesprochen worden zu sein.

haweger

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