Ausstieg

   Ich stand an der Stirnseite des holzgetäferten Saales, dem Clublokal des örtlichen Rotary-Clubs. Vor mir war ein Notenständer als provisorisches Rednerpult aufgebaut. Ein Teil aus dem kurzfristig organisierten Equipment für Vortragsredner. Ich bediente mich eines Notebooks mit externen Lautsprechern, dessen Regler mein Freund und Coach, Robert, bediente. Mein Vortrag begann mit einem Lied von Wolfgang Ambros. Viele Augenpaare starrten mich an. Sie erwarteten etwas Besonderes. Auf der Ankündigung stand der Titel meines Vortrages: „Vom obdachlosen Alkoholiker zum gefeierten Unternehmer.“ Starker Tobak für die gut situierten Honoratioren.

   Ob Wolfgang Ambros’ Song: „Die Kinettn wo i schlof“, die Kriterien erfüllte, war nicht erkennbar. Vereinzelt konnte ich ein Schlucken beobachten. Ansonsten war es mucksmäuschenstill. Ich hatte dreißig Minuten zur Verfügung, um in freier Rede über meine Leben zu erzählen. Es sollte wie eine narrative Berieselung wirken, aber auch schonungslos die Höhen und Tiefen im Leben eines hoffnungslosen Säufers aufzeigen. Ich erzählte den Leuten aus meinem Leben als junger Mensch. Als ich mehr Hiebe als Liebe abbekam und irgendwann meine steirische Heimat verließ, um in Salzburg das Glück zu finden.
 
   Mein Glück hieß Melitta, sie schenkte mir Martin.
 
   Hier stockte mein Vortrag. Das Erzählen von meiner Lebensgefährtin fiel mir schwer. Sie hatte Suizid begangen und mich mit unserem fünfzehn Monate alten Sohn zurückgelassen. Die Polizei verdächtigte mich, mit ihrem Tod etwas zu tun zu haben. Das Kind wurde von Amts wegen zur Adoption freigegeben. Mein Lebenstraum von Familie, ein Haus zu bauen und eine Firma zu gründen, war mit einem Schlag zerstört. Ich zerfiel im Alkoholismus und landete als Obdachloser auf der Straße.
 
   Ich erzählte von Jahren des Suffs, vom Leben auf der Straße, dem Rotlichtviertel, dem Gefängnis und wie ich mir in der Gosse eine Lungentuberkulose einfing.
Nach Jahren elender Selbstzerstörung war es ein simpler Anruf, bei einer Institution namens Telefonseelsorge, der dem Elend ein Ende setzte. Die Tür in ein würdiges Leben war plötzlich geöffnet worden. Ein Engel hatte mir die Hand gereicht.
 
   Still, aber nicht heimlich, ließ ich mein Luderleben hinter mir und schwang mich auf in ein neues Abenteuer. Dazugehören – war das Zauberwort. Ich fing zu lernen an, holte den Hauptschulabschluss und die Gesellenprüfung nach, absolvierte zum zweiten Mal den Führerschein und heiratete eine Familie. Die Krönung meiner Bemühungen war die bestandene Meisterprüfung. Meine Firma avancierte im Lauf der Jahre, zu einem führenden Unternehmern meiner Wahlheimat Salzburg.
 
   Zum Ende des Vortrags gab es ehrlichen Applaus, aber keine Gage. Das war okay. Stattdessen regte mich der Präsident des Rotary-Clubs an, aus dieser Geschichte ein Buch zu machen. Der hat leicht reden, dachte ich, aber es war ein Ansporn.
 
©Ferdinand F. Planegger
 


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Kommentare (7)

ehemaliges Mitglied

Und?
Hast Du mit dem Buch schon angefangen?

Lebensgeschichten, die eine Wandlung beinhalten, werden von vielen Menschen gelesen. Sie können die eigene kleine Flamme der Wandlungsbereitschaft anfeuern und damit eigenes Leid verbrennen, damit aus der zurückbleibenden Asche Phönix neu erstehen kann.

Als ich mich einmal ganz tief unten fühlte, lief mir Saliya Kahawattes Buch "Ein Rendezvous mit dem Leben" über den Weg. Als ich von seinem starken Willen las, sein Handicap überwinden zu wollen, kam mir mein eigenes Problem ganz lächerlich vor und es ging wieder bergauf.

In diesem Sinne ...

liebe Grüße,
Puzzlerike

P.S.
Sehe gerade in den Kommentaren,
dass es das Buch schon gibt.
Glückwunsch!! 👏


 

Eisenwein

Vielen Dank für Eure Kommentare! 😄

Syrdal


Ehrlich erzählt… Ein trefflicher Beweis für das uralte Wort „Jeder ist seines Glückes Schmied!“, das bereits der römische Politiker Appius Claudius Caecus im dritten Jahrhundert v.Chr. verwendet haben soll. Es gilt, wie man an dieser aktuellen Geschichte sieht, noch immer.

Mit klarer Bewunderung für die Willensstärke grüßt
Syrdal

Tulpenbluete13

Lieber Ferdinand,

"es" liest sich wie ein Roman...und wenn man nicht wüsste, daß Du das alles erlebt und erlitten hast möchte man es nicht glauben.

Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, daß das Leben die meisten Rimane schreibt.

Meine Hochachtung daß Du den Mut hattest Deinen "Roman" zu schildern und zu schreben.

Angelika

Muscari

Lieber Ferdinand,

Lange habe ich auf dieses Buch gehofft und gewartet und es soeben bei Amazon bestellt.
Wahrscheinlich kommen mir einige der darin beschriebenen Situationen bekannt vor, weil in Form von Kurzgeschichten gelesen. Aber als Ganzes in einem Buch bedeuteten sie wirklich etwas besonderes.
Ich bin gespannt und danke Dir schon mal im voraus.
Mit liebem Gruß von
Andrea
👍🎵

Tannenmuetterchen

Herzlichen Glückwunsch! Zu einem Buch, das ich mir gern besorgen werde, aber auch zu dem Thread hier, der mich sehr (wirklich sehr!) beeindruckt hat.
 

Rosi65

Lieber Ferdinand,

herzlichen Glückwunsch zu Deinem Buch "Hin und weg." Ich freue mich wirklich sehr für Dich und wünsche Dir mit Deinem Werk ganz großen Erfolg!!!

Tulpenstrauß.png
Herzliche Grüße
   Rosi65

NS. Werde ich mir bestellen.


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