Avatar - ziemlich extended



Neulich hat mich mein Sohn mit ins Kino genommen. Im Vorraum haben wir eine schicke 3D-Brille gekauft. Der Zuschauerraum war gerammelt voll, alles junge Leute (aber inzwischen sind die ja sowieso fast alle jünger als ich), nur rechts von mir war noch ein Platz frei. „Glück gehabt“, dachte ich und belegte den Platz mit meiner Jacke.
Da ging es auch schon los. Ein Vorprogramm, das die 3D-Effekte so richtig ausreizte. Erst schoss ein Jet so niedrig über uns hinweg, dass sich alle in den Sesseln verkrochen, dann landete einer direkt vor mir, so dass die nadelfeine Spitze gerade noch einige Zentimeter vor meiner Brust stehen blieb. Sicherheitshalber zog ich meine Jacke wieder zu mir rüber und hielt sie vor mich.
Gerade noch rechtzeitig, denn plötzlich schob sich ein tätowierter haarloser Schrank vor mich und ich sah nur noch ein riesiges T-Shirt, auf dem ein Storch abgebildet war und der Spruch zu lesen war: „ …. und der Führer hat doch 2 (zwei!) Eier!“
Etwas irritiert wartete ich, bis die Sicht auf die Leinwand wieder frei wurde, wo in einer lieblichen Waldlandschaft einige wunderschöne Vögel miteinander turtelten, ab und zu schwebte ein Blatt schaukelnd dem blumigen Waldboden entgegen, vibrafonisch untermalt von esoterischen Klängen. Plötzlich rechts von mir ein krachendes Mampfen und Grunzen, der Schrank schaufelte doch aus einer riesigen Tüte händeweise Popkorn in sich hinein. Gott sei Dank brach urplötzlich ein Dinosaurier (tyrannus saurus rex - oder etwa doch der weniger häufig anzutreffende tyrannotitan chubutensis?) durch Bäume, die links und rechts von mir hernieder stürzten. Selbst der Schrank kam aus dem Takt, kippte seine Bierflasche um und da war der Vorfilm auch schon zu Ende.
Licht ging an, fachmännisches Kommentieren der Filmeffekte ringsum, als Qualitätsmaßstab wurden Sequenzen aus irgendwelchen mir nicht geläufigen Computerspie-len herangezogen, ich lauschte wissbegierig und hörte im Hintergrund jemand „Popkorn“ rufen. Ich winkte planlos in die Gegend und da baute sich auch schon eine dralle Schönheit in einem durch und durch rot-weiß gestreiften Outfit vor mir auf und drückte mir für den Preis eines Kleinwagens einen Eimer (!) Popkorn an die Brust. Ich sah meinen Nachbarn zur Rechten triumphierend an, aber der popelte gerade gedankenverloren in den Zähnen.

Aber jetzt ging es wirklich los: AVATAR – Aufbruch nach Pandora – extended!
Zuerst begann es ziemlich martialisch, Militär, Krankenstation, kriegsgeschädigte Rollstuhlfahrer, Särge mit Glasdach, wo tiefgefrorene Leute auf ihre Wiederauferstehung warteten, schräge Wissenschaftler und Aquarien mit blauhäutigen Typen usw., eben alle diese Zutaten, die man für eine dieser ausgeleierten, völlig sinnfreien Feierabendserien im Fernsehen braucht.
Aber dann wurde es erheblich besser: Wunderschöne fremdartige Landschaften, eigenartige leuchtende Pflanzen oder Mischwesen, die mit einander reagierten, sanft zwischen den farnartigen Gewächsen hindurchsegelten. Natürlich alles sehr plastisch (eben in 3D), eine sehr friedvolle, mit Sphärenklängen unterlegte, die Seele streichelnde Umgebung. Man hätte sich hineinfallen lassen können – für immer und ewig. So stelle ich mir das Paradies vor, wenn nicht dieser tätowierte Schrank neben mir unruhig herumrutschte und dann ein Geräusch produzierte, für das ich in meiner Jugend eine Woche Knast in der Besenkammer riskiert hätte. Da jedoch die Klimaanlage der Luftveränderung ohne weiteres gewachsen war, habe ich mich mit meiner Kritik zurückgehalten. So ein Unglücksfall kann ja jedem mal passieren.
Ich lehnte mich entspannt zurück, um diese blauen 3D-Typen zu bewundern, die so mühelos von Baum zu Baum hüpften. Selbst in meiner Jugend hätte ich das wohl nicht gebracht, schon gar nicht so ohne Anlauf. Allerdings hatten die es auch leichter, weil sie einen langen Schwanz haben und so beim Springen das Gleichgewicht besser halten können. Überhaupt: Etwas fremdartig waren sie schon, aber trotzdem sympathisch! Beispielsweise: Wenn sich zwei vermehren wollten, dann legten sie einfach ihre Schwänze aneinander und die Haare der Quasten fädelten sich ineinander, etwa so wie Tintenfischarme. Dabei schauten sich die zukünftigen Jungeltern verzückt in die blauen Augen. Ist ja alles ganz nett und sehr praktisch und hygienisch, aber unsere Methode gefällt mir wohl besser. Und diese Flora: Blumen und Blüten in jeder erdenklichen Farbe und Form: Eine überwältigende Farbsymphonie! Nur dieser sich in Wellen ausbreitende Geruch passte so gar nicht zum Film! Sollte mein Nachbar etwa schon wieder ….? Es war nicht zu übersehen: Weil er zu dick war für den Sessel, musste er dazu immer eine Backe anheben, zum Glück nicht die auf meiner Seite. Irgendwie fühlte ich mich hilflos. Hoffentlich kann ich mich auf die Leistungsfähigkeit der Klimaanlage verlassen.
Um meinen Frust zu kompensieren, begann ich, Popkorn aus meinem Eimer in mich hineinzustopfen, nicht schlecht, das Zeug, schön süß, hab ich schon ewig nicht mehr gegessen. Eigentlich mag ich das nicht besonders und man kriegt klebrige Finger, von denen man nicht weiß, wo man sie hinwischen soll, unterm Stuhl ging es nicht, da klebten schon all die Kaugummis. Aber Popkorn gehört irgendwie zu einem Kinobesuch dazu. Es passte gut, dass die Musik das Gekrame in meinem Eimer übertönte, während der befreiende Rülpser danach leider gerade in eine spannungsgeladene Stille fiel. „Echt geil, Opa“, dröhnte der Schrank neben mir!
Ich hatte das Gefühl, dass wir jetzt quitt waren, obwohl ich ihm wegen des Opas und der Furzerei ganz gerne eine reingehauen hätte – natürlich nur verbal, weil er mir zu groß war. Zum Schluss, als dann alle aufstanden, sah ich, wie mühsam er sich aus dem Sessel befreite. Da hab ich ihm aus Mitleid meinen Eimer mit dem restlichen Popkorn geschenkt – irgendwie waren wir doch schon fast Kumpel!
Ach ja, was soll ich sagen, der Film war wirklich genial, obwohl als krönender Abschluss das heutzutage schon übliche Gemetzel erfolgte – aber schlussendlich haben zu meiner Befriedigung diese blauen 3D-Typen gewonnen. –
Bravo, Jungs, nur weiter so!

castellanos



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Kommentare (2)

castellanos Danke für Deinen Kommentar.
Ich freue mich immer über eine Rückmeldung.
Da hat man nicht so das Gefühl, dass man am Interesse der Leser vorbeischreibt.
Gruss
castellanos
Traute wenn das nicht zum Lachen reizt dann weiß ich nicht!
Einzigartig zum Schieflachen die Überspitzte Realität.
Das ist einfach, gekonnt!
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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