Begegnung auf der Friedhofsbank


Begegnung auf der Friedhofsbank

Wie das den meisten Siebzigjährigen so geht, muss ich von Zeit zu Zeit zum Friedhof zum Grab meines Mannes. So auch vor Pfingsten. Bei schwül-warmen Wetter kam ich mit einem Pfingstrosenstrauß  von der Straßenbahn und steuerte das Grab an der Friedhofsmauer an. Zuerst wollte ich nach den Topfpflanzen sehen, die sicher schon verblüht waren und auf Nachschub warteten. Dann erst wollte ich die Vase für die Schnittblumen an der Zapfstelle für Gießwasser füllen und gleichzeitig die verblühten Topfpflanzen im Abfallcontainer entsorgen.

Nachdem ich mich einige Male gebückt hatte, dies und das weggezupft, war mir etwas schwindelig und ich freute mich auf eine kleine Rast auf der Bank, die in Sichtweite des Grabes steht. Dort saß ein mir unbekannter Herr. Er hatte die Viererbank voll belegt mit Zeitungen, er selbst saß in der Mitte. Das hielt ich für nicht problematisch, weil ja noch drei Sitzplätze frei waren, rein theoretisch gesehen natürlich. In der Praxis sah es anders aus.

Ich bat den Herrn, ein Zeitungsblatt wegzunehmen, damit ich am Ende der Bank kurz Platz nehmen konnte, bevor ich zum Gärtner gehe, um frische Geranien zu besorgen.
Der Bankbenutzer und Zeitungsleser rückte keinen Millimeter, da er doch für seine Schwester reserviert habe. Das war mir nun wirklich neu, dass man inzwischen auch Sitzplätze auf Friedhöfen reservieren muss oder kann. Meinen Einwand, dass sie doch noch nicht da sei und ich mich doch so lange setzen könne, bis sie kommt, ließ er nicht gelten. Sie kann jeden Moment kommen. 

Jetzt reichte es mir und ich gab zu bedenken, dass er ja immerhin noch zwei Plätze mit seinen Zeitungen besetzt hielt. Die Schwester könne sich ja dann auf diese Plätze setzen, wobei ich natürlich dachte, dass er den Lesestoff  ja auch für mich hätte wegnehmen können. Der ältere Herr war unerbittlich und zwang mich, eine Zeitung selbst auf die Seite zu schieben, damit ich Platz nehmen kann. 

Während ich da saß, hielt ich rundherum Ausschau nach der fernen Schwester, es war niemand in weitem Umkreis zu sehen. Also war für mich die Welt wieder in Ordnung. Der alte Mann aber, der auch in über siebzig Jahren nicht gelernt hatte, zu teilen, war nun wirklich ärgerlich, raffte seine Zeitungen und entfernte sich schimpfend.

Nach einer Weile ging ich zum Gärtner, kam etwa eine halbe Stunde später zurück mit den frischen Geranien und steuerte wieder auf das Grab meines Mannes zu. Die Bank war leer, keine Schwester, kein Zeitungsleser. Noch bevor ich fertig war, hörte ich Schritte auf dem Kies. Den langen Weg entlang kam wer? Der Zeitungsleser, der wieder zu seiner Lieblingsbank wollte. Als er mich sah, stellte er sich vor Schreck vor ein verwildertes Grab, das sichtbar schon lange aufgegeben war und auf dessen Grabstein schon eine Ermahnung der Friedhofsverwaltung klebte, dass der Grabstein nicht mehr sicher verankert sei.

Ich musste ohnehin zur Straßenbahn und entfernte mich eilig, denn auf eine neue Bankdiskussion wollte ich mich nicht einlassen. Ein bisschen betrübt war ich aber doch, dass ich in meinem Alter in eine so lächerliche Situation geraten war. Könnten sich ältere Menschen nicht einfach gegenseitig die Situation erleichtern, dachte ich. Es hat doch jeder seine Einschränkungen und braucht ab und zu eine Rast.

In der Straßenbahn merkte ich, dass ich die Pfingstrosen in der Eile nicht ins Wasser gestellt und wieder mitgenommen hatte. Auch gut, mir gefielen sie auch zu Hause in einer Vase.


Foto: pixabay.com
 


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Kommentare (2)

ella

@manfred 36
Danke für den netten Kommentar. Aber auf die Idee wäre ich nie gekommen, dass der Zeitungsleser möglicherweise ein "Date" hatte auf der Friedhofsbank. Das hätte ihn aber aus meiner Sicht auch nicht entschuldigt für seine Unhöflichkeit und für seinen Egoismus, die Bank alleine für seine Zwecke benutzen zu wollen. Solche Bänke auf dem Friedhof sind ja in erster Linie  zur Erholung der Friedhofsbesucher aufgestellt. Sie können aber sicher auch für andere Zwecke genutzt werden, jedoch nicht vorrangig.
Ich hoffe, dass dieser Vorfall nicht zu einer Fortsetzungsgeschichte Anlass geben wird.

Manfred36


Ich bin früher regelmäßig auf den Friedhof gekommen und habe auch schon einmal einen Blog mit einem Teil der schönen Grabfiguren eingestellt. Unser Familiengab war voll in Granit gefasst und trug eine große Messingschale für Blumen und einen Lichtbehälter. Die Umlieger lernte ich dabei persönlich kennen und es kam öfter zu „Bankgesprächen“. Einer nach dem Andern kam dann aber, nachdem das Grab auch seinen Namen bekommen hatte, nicht mehr und ich stellte nach einiger Zeit auch das stellvertretende Putzen bei ihm ein. Auch ich räumte das Familiengrab nach dem Tod meiner Frau ab und gehe nicht mehr hin. Das Grab meiner Frau wird an einem anderen Ort von meiner Enkelin liebevoll gepflegt. Der Friedhof war ein gern genutzter Begegnungsort. Es kamen auch welche hin, denen die Unruhe in Parks ungelegen war, die nur ihre Ruhe haben wollten oder sogar Dates dort hatten (der Treffpunkt war ja exakt bezeichenbar).
Es liest sich fast, wie wenn Letzteres für den Mann auf deiner Parkbank zutreffen sollte, zumal dieser ja offenbar kein „eigenes“ Grab dort hatte. Deine bloße Anwesenheit hätte dann sein Einvernehmen mit der Erwarteten sicher gestört. Nur ein Gedanke.
Gruß  Manfred


 


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