Begegnung in Bad Ischl


Begegnung in Bad Ischl

Im Oktober verlieren die Bäume ihre bunten Blätter - und Outdoor-Künstler ihre Kunden. Porträtmalen ist Saisongeschäft. Outdoor-Künstler sind von der Saison so abhängig wie Betreiber von Gastgärten an der Esplanade. Bad Ischl kann zu dieser Zeit wie der Süden sein, aber wehe, das Wetter schlägt um, dann wird es unsympathisch nördlich, mit tiefen Wolken und kaltem Wind. So wie heute.

Das hölzerne Knacken der von einer Windbö zu Boden geworfenen Bilderwand und der zornige Fluch des Porträtzeichners im Kurpark zu Bad Ischl fallen in die gleiche Sekunde. Hastig springt der Künstler von seinem Klappstuhl auf, um die, auf der Bilderwand zur Schau gestellten Zeichnungen und Aquarelle, zu retten.

Bei meinen täglichen Spaziergängen war mir der Porträtmaler, der die Konterfeis seiner Kunden mit „Schorsch” signierte, schon aufgefallen. Für einen Moment hatte ich mich auf den Place du Tertre am Montmartre in Paris versetzt gefühlt. Es packte mich die Lust, dem Maler Modell zu sitzen, doch ich ließ die Idee rasch wieder fallen. Ich wollte kein buntes Aquarell, so wie Schorsch es den vorwiegend weiblichen Kunden anbot.
Einmal darüber schlafen, dachte ich, dann wird der Spuk vorbei sein. Aber der lang gehegte Wunsch, meine Literatur mit Bleistift- respektive Federzeichnungen zu illustrieren, nahm über Nacht konkrete Formen an. Ich dachte an Schorsch, den Porträtmaler. Er könnte doch – statt der aufwändigen Farbe – nur eine ausführliche Skizze mit Bleistift-, Röthelstift oder Kohle herstellen.

Mit dieser Vorstellung im Kopf näherte ich mich jetzt dem Künstler. Der Zeitpunkt schien günstig, die übliche Laufkundschaft blieb heute ohnehin aus, Touristen waren kaum zu sehen.
Mit einem freundlichen „Hallo Meister“, begrüßte ich Schorsch und half ihm, seine umgefallene Stellwand, die zugleich als Sichtschutz für die zu porträtierenden Kunden diente, wieder aufzustellen. Die Gelegenheit war günstig, also unterbreitete ich ihm mein Anliegen in Sachen grafischer Untermalung meiner Literatur. Es kam so, wie ich vermutet hatte: Ein Porträtmaler, der Geld verdienen muss, ist meist verhandlungsbereit.
Er weiß, so sagte Schorsch, wo die verehrte Kundschaft der Schuh druckt. Er sei froh, dass ich keine so ausgefallenen Wünsche hege, wie die seiner, meist weiblichen Klientel: das Doppelkinn und die Krähenfüße um die Augen retuschieren, Lider straffen und überhaupt mehr Esprit in den Blick … ginge das?
Manchmal ließe er sich breitschlagen – manchmal nicht. Da würde er am liebsten die Staffelei zusammenklappen, sich seinem Lieblingsgetränk, dem Zirbengeist zuwenden. Dann schnauze er schon mal sein Modell an und sage, dass er mit Farbe male und nicht mit Schminke. Seine Augen seien unbestechlich und er könne ohnehin nur malen, was er sehe. Manchmal geht danach ein Riss durch die Mimik der Frau, weil Zufriedenheit in diesem Fall an Zauberei grenzt.
So – und jetzt nimm Platz, mein Freund, und mach ein freundliches Gesicht. Voila!

© Ferdinand F. Planegger, im November 2021


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Kommentare (4)

Rosi65


Ach, der arme Schorsch! Da muss "man" sich als Künstler tatsächlich noch mit der weiblichen Eitelkeit konfrontieren lassen.😞 Uff!

Was für eine schöne Idee, lieber Ferdinand, das eigene schriftliche Werk mit einem handgemalten Bild zu schmücken, um es dann anschließend in seinem Entstehungs-Erlebnis in diese nette Geschichte einzubetten.

Herzliche Grüße
    Rosi65

Eisenwein

@Rosi65  
Danke für deine Worte, liebe Rosi. 
Ich war lange zeit auf Reha in Ischl und hatte viel Zeit zum nachdenken. 😊

nnamttor44

Bei Deiner so wahren Erzählung, lieber Ferdinand, musste ich direkt grinsen! Die Fotografen in der Türkei seinerzeit hatten auch nichts Besseres zu tun, als zu fragen, was die ältere Dame (ich) denn gern retuschiert hätte. Die durch die Lichtverhältnisse überbetonten tiefen Falten könne er ja etwas mildern. Meine Antwort war, ich sähe ja nun mal so aus ... Pech gehabt, eben ein paar Lira weniger.

Genau das passierte mir Jahre zuvor, als ein Bekannter für seinen Chef  zum 70. Geburtstag ein Schwarz-Weiß-Portrait wünschte. Das Leben hatte diesen Senior halt auch "gezeichnet" und ich - keineswegs studierte Künstlerin - hatte die eingegrabenen Falten "sichtgetreu" wiedergegeben. Gelungen war das Portrait, aber ich musste es noch einmal zeichnen - weicher, damit der Jubilar das Bild nicht in die nächste Ecke pfeffern würde! Es hing fortan im Büro seiner Firma.

Da waren Kinderportraits von hübschen Fotos ohne Faltenbildung wesentlich einfacher herzustellen!

Danke für diese Erinnerung für mich ...

Uschi

Eisenwein

@nnamttor44  
Danke, liebe Uschi, für deine Einschätzung. 
Ich sag's ja immer: Diese verdammte Eitelkeit macht noch mehr Falten .😅


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