Ich fahre seit über einem Jahr täglich von Eberswalde nach Berlin zur Arbeit.

Der Bahnhof Gesundbrunnen spielt eine besondere Rolle weil ich dort immer längere Wartezeiten überbrücke.

Es gibt dort sehr viele Obdachlose ,die mehr oder weniger aufdringlich die wartenden Reisenden anbetteln.

Im Sommer des letzten Jahres saß ich auf einem dieser Metallstühle mit Gitteroptik, die mindestens so bequem sind wie sie aussehen,und wartete auf den Regionalzug. Ich hatte mir beim türkischen Obststand unter anderem Orangen gekauft.Eine davon began ich genüßlich zu verspeisen.

Einer der Obdachlosen näherte sich ,er war mir schon öfters aufgefallen weil er ein Bein nachzog und nur sehe langsam gehen konnte. Er setzte sich direkt neben mich sagte nichts und sog nur den Duft meiner Orange ein.er schaute so begierlich darauf, das ich ihm ein Stück abgab.Er aß so genüßlich das ich gleich noch eine schälte die er auch verspeiste.Er sah fast glücklich aus.Das ganze lief ohne Worte ab außer das er Danke sagte.

Von da an traf ich ihn fast täglich es schien als würde er warten und wünschte mir immer einen schönen Tag,ich gab ihm auch jedes mal Geld für einen Becher Kaffee.Wir kamen ins Gespräch und er erzählte viel über sich.Er war stets höflich und nie aufdringlich.

Im Spätsommer lief er immer schlechter und einmal saß er auf der Treppe das Hosenbein hochgekrempelt und ich konnte einen Blick auf sein Bein werfen.Es sah schrecklich aus und ich riet ihm sofort zum Arzt zu gehen.Er lehnte das ab.Er wollte keine Hilfe.

Es wurde Herbst und schließlich Winter.Da er kaum noch laufen konnte vermutete ich das er irgendwo am Bahnhof schlief.Auch das Schlafen in einer Obdachlosenunterkunft lehnte er ab,meinte dort würde man nur beklaut.Ich hatte eine Krücke für ihn von meiner Arbeitsstelle mitgebracht,die nur Achtlos im Keller lag.Damit konnte er sich besser bewegen.

Irgendwie gehörte er für mich zu einem festen Bestandteil des Bahnhofs.Er begrüßte mich immer mit den Worten ah die Frau mit der roten Jacke.Ich brachte immer schon Kaffee für ihn vom Kiosk mit klingt total verrückt ich weiß.

Warum ich das alles erzähle? nun seit ein paar Tagen habe ich ihn nicht mehr gesehen wunderte mich da er sonst immer da war und schon wartete.Gestern abend nun ich war später als sonst in Berlin unterwegs und mußte am Gesundbrunnen auch ewig warten.Es kamen zwei Obdachlose auf mich zu, muß gestehen hatte etwas Angst weil nur die beiden und ich auf dem Bahnsteig waren.Als sie ziemlich dicht ran waren sagte der eine ob ich die Frau mit der roten Jacke sei. Sie teilten mir mit das ein gewisser Paul ..... gestorben sei und er sie immer wieder gebeten habe mir zu sagen das es ihm schlecht geht.Jetzt wo er tot sei wollten sie es mir sagen.

Nun irgendwie bin ich traurig,ich wußte bis gestern nicht mal den Namen und ich frage mich wie viele Menschen eigentlich sterben ohne das sie vermisst werden und ohne das ihnen irgend jemand zugehört hat.Zu erzählen hat jeder was nur es gibt wohl nicht genügend Menschen die zuhören.

Ich wünsche einen achtsamen Tag

liebe Grüsse

Lessalina

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Kommentare (4)

Traute Das ist das Leben und je nach dem, wie man sich daran beteiligt, mit seinen 5 Sinnen, lernt man die Abgründe des Daseins kennen.
Du hast es so weit zu gelassen, das Du weiter hinein blicken konntest als andere Menschen.
Du warst ein Lichtblick für einen Außenseiter.
Etwas was eine kleine Regel in sein Leben ließ, die er akzeptierte.
Im Grunde wollen diese Menschen aus den Klammern der Regelmäßigkeit heraus.
So kann es kommen und so muss man es verarbeiten.Wer das nicht kann, lässt eine solche Nähe nicht zu.
Ich habe auch einen Horror vor Alkoholikern, wenn sie meinem Leben zu nahe kommen, aus böser Erfahrung.
Darum wird mir eine solche Begegnung mit der Nähe nicht passieren, aus Angst, nicht aus Härte.
Danke für den sehr nahe gehenden Erlebnis--Bericht.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute
ladybird Deine Begegnung kann man wirklich mit fühlen,
und ich konnte mich in Dir gar selber entdecken.
Dieses Erlebnis wird Dir immer nahe sein und es sollte Dich glücklich machen: du hast diesem Menschen etwas von seinem
Menschsein wieder gezeigt, Du hast ihm Achtung+Beachtung geschenkt, vielleicht auch Hoffnung.Jedenfalls FREUDE durfte er wieder erleben.Ihr habt Euch gegenseitig "beschenkt", alle Deine "Gaben" hat er mitgenommen.Du warst sicher der Engel für ihn.
Deine Trauer um diesen Unbekannten kann ich auch gut verstehen, er war ein Mensch und Du hast ihn so behandelt
Ich glaube daran, daß diese Begnung einen Sinn hatte, auch wenn du ihn nicht direkt erkennst, es wird sich noch zeigen, das wünscht Dir
Ladybird, mit Dank für Deine ergreifende Erfahrung
omasigi unter die Haut Deine Geschichte.
Sie zeigt uns, dass wir staendig mit offenen Augen unseren
Weg gehen sollen. Dann entdecken wir erst wo wir eventuell helfend eingreifen koennen.
Bei Deiner Geschichte bewundere ich mit wieviel Fingerspitzen
Gefuehl Du den Kontakt zu diesem Menschen aufgebaut hast.
Vorbildlich und ich wuensche mir, dass auch ich eine solche
Not erkennen darf, wenn sie mir gegenueber steht.
Ich finde es wunderbar, dass Du dieses Erlebnis hier beschrieben hast.
gruessle
omasigi
indeed hoffentlich lesen deine Geschichte hier viele Mitglieder. Sie geht absolut unter die Haut und mein ganz spontaner Gedanke war: Toll, wie du das gemacht hast! Ich denke, dass du ein absoluter Lichtblick für ihn warst. Du hast Menschlichkeit gezeigt. Wie heisst es so schön im sehr alten Buch? "Was du dem Geringsten tust, das hast du mir getan." Es gibt viele Obdachlose, die aus ihrer Lebensbahn heraus geworfen wurden und nur schwer den Einstieg in ein bürgerliches Leben wiederfinden. Das geht durch alle "Klassen".
Danke dir, dass du so gehandelt hast und danke für deinen Bericht hier.
Liebe Grüße von
indeed

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