Berliner Mirakel


Berliner Mirakel
Nachdem der Oberarzt des Lazaretts die jüngsten weiblichen Hilfskräfte, wegen der sich nähernden Russen, nach Hause beurlaubt hatte, war Hilde, in dem umkämpften Berlin, auf dem Weg zu ihrer Tante, die in Tegel wohnte. Da sie die Tante selten besuchte, die Bahnen nicht mehr fuhren, sie Straßensperren umgehenmusste, hatte sie allmählich die Richtung verloren und irrte umher, bis ihr eine Panzersperre den Weg verlegte. Ein paar Soldaten, untermischt mit Leuten vom Volkssturm, darunter halbe Kinder, rieten ihr vom Weitergehen ab, da liefe sie den Russen in die Fänge. Hinten ihnen wären zwar Straßenteile in russischen Händen, aber es würde wenigstens nicht mehr geschossen. Sie solle sich nicht in den Luftschutzkellern der Häuser, sondern in den Ruinen ein Versteck zu suchen, da wären die Chancen größer, den russischen Suchtrupps nicht in die Hände zu fallen. Sie wiesen nach hinten, wo eine Reihe frei stehender Einfamilienhäuser zu Ruinen zerbombt- sichtbar waren. Einer der Jüngeren drückte ihr ein Päckchen in die Hand: »Schmalzstullen», sagte er und dann verlegen grinsend, » Ich habe keine Verwendung mehr dafür. Hier schlagen in Kürze die Granaten der Muschiks ein und weiß Gott, was dann geschieht.» Ehe sie Dank sagen konnte, hatte er sich weggedreht, um seinen Platz an der Panzersperre einzunehmen. Hilde rannte geduckt davon, umging Krater, schlängelte sich durch Trümmer, stolperte über einen Eisenträger und schlug der Länge lang hin. Sich erhebend gewahrte sie einen alten Mann, der ein paar Meter vor ihr, wie aus dem Nichts auftauchend, ihr winkte, zu ihm zu kommen. Sie ging auf ihn zu, hörte weit entfernt, wahrscheinlich von  der Panzersperre, das tak-tak  eines Maschinengewehrs. »Komm, Mädchen!» sagte der Mann, sie bei der Hand fassend, »hier die Stufen hinunter, da bist du für den Augenblick sicher.» Es ging ein paar Stufen hinab. Es roch muffig, an der Ziegelwand hatte sich Moos abgesetzt. Hilde erkannte; das war kein Luftschutzkeller, das war der Eingang zu einem Waschhaus, wie es viele Häuser hatten.
Der Mann öffnete die nicht sehr stabil wirkende Tür, Hilde trat nach ihm in den Raum. Im Halbdunkel, etwas Licht kam aus einem winzigen Kellerfenster, erkannte sie schemenhaft vier Frauen. Eine hielt ein Baby im Arm. Von Hilde nahm keine der Frauen richtig Notiz. Ein kurzes Aufblicken, dann sanken sie wieder in sich zusammen, die Köpfe in die Hände stützend, zu Boden schauend. »Im Kessel ist Wasser!», sagte der alte Mann. Der im Herd eingelassenen Wasserkessel war bis zum Rand gefüllt. Hilde trank gierig eine Schöpfkelle voll. Ihr fällt die Geschichte über einen russischen General ein. Der soll einen so riesigen Bauch gehabt haben soll, dass er ihn auf einer untergeschnallten Trommel vor sich hertragen musste. Wieso denke ich jetzt, wo in wenigen Augenblicken die Russen hier sein können, solchen Dreck, ärgerte sie sich. Noch ist draußen, vom entfernten Geschützdonner abgesehen, ruhig, aber alle wissen; es gibt keine Hoffnung mehr. In ein paar Minuten können sie kommen, die Tür mit Gewalt aufbrechen und über die Frauen wie die Tiere herfallen. Alle wissen es, haben davon gehört. Nicht aus dem Radio –- der Göppelsschnauze" nein Flüchtlinge berichteten die schauderhaftesten Dinge. Die wenigen Männer, meist Kriegsversehrte, die in Heimat verblieben waren, mussten tatenlos zuschauen, wie man ihren Frauen- egal ob alt oder jung, die Kleider vom Leibe riss, sie mehrmals vergewaltigte und dann liegen ließ in ihrer Ohnmacht und Blöße. Manche bekamen nach Beendigung der Prozedur, den Fangschuss. Nicht selten kam vor,, dass Kinder mit ansehen mussten, wie ihrer Mutter oder großen Schwester geschah. Das alles war bekannt und jede Frau im Raume wusste, dass ihr das gleiche Schicksal bevorstehen konnte. Alle hatten furchtbare Angst, beteten, weinten und es war ein Heulen und Zähneklappern wie in der finstersten Hölle. Die Frau hielt ihr Kind, wie ein Schutzschild, fest an sich gedrückt.
Stunde um Stunde verging. Hoffnung verschont zu bleiben kam auf. Dann jedoch Schläge an der zugesperrten Tür, die fast augenblicklich aus den Angeln fiel. Wieviel dann in den Raum stürmten, grinsend über das Gesicht, als sie die Frauen erblickten, nahm Hilde wie in einem Albtraum wahr. Sie hörte eine Salve, sah den alten Luftschutzwart in sich zusammensacken. Dann wurde Ihr schwarz vor Augen. Sie kam erst wieder zu Bewusstsein, als Hände an ihr nestelten, das Kleid hochschlugen und ihr Schlüpfer in Fetzen gerissen wurde. Ein schwerer Körper legte sich auf sie, spreizte gewaltsam mit den Knien ihre Beine... Das Letzte was Hilde mitbekam war ein ohrenbetäubender Krach und noch unter geschlossenen Augenlidern einen grellweißen Blitz. Dann wurde sie wie alle im Raum vom Luftdruck und von den Splittern einer verirrten Pak- oder Panzergranate in Stücke zerfetzt.
Stunden später, als auch der Waffenlärm in den entfernt liegenden Gebieten erstummt war, durchsuchte eine russische Streife Häuser, Ruinen und Kellergewölbe nach überlebenden deutschen Soldaten. »Kommt her!», rief einer der Soldaten, »Genosse Starschina, hier hat es Unsrige erwischt!» Der angerufene Feldwebel stieg mit drei anderen Soldaten zum Keller hinab und gab dann Befehl die Leichen der eigenen Leute aus dem Haufen Menschenleiber nach draußen zu bringen. Er trat im Raum etwas beiseite, um die Träger vorbei zu lassen. Der letzte Getötete war abtransportiert, der Feldwebel wollte gerade den Raum verlassen, als er ein Weinen aus dem verbliebenen Leichenhaufen hörte. Nachsehend, fand er unter einer Frauenleiche ein Baby, dass vom Mutterleib geschützt, das Inferno lebend überstanden hatte. Er zog das kleine Wesen behutsam hervor. Dessen Augen öffneten sich; es hatte mit Weinen aufgehört und lächelte seinen Retter an. Der lächelte ebenfalls, strich dem Kind zärtlich über den Schopf und ging das Kind im Arm aus dem Keller ins Freie.
Er gab einem seiner Begleiter eine Anweisung. Der salutierte, lief schnellen Schrittes davon. Minuten später kam ein Jeep vorgefahren. Eine uniformierte Frau im Hauptmannsrang stieg aus. Nachdem Sie ein paar Worte mit dem Feldwebel gewechselt hatte, nahm sie das Kind aus seinen Armen entgegen und stieg in den Jeep. Der Trupp draußen hatte Haltung angenommen, aber die Frau im Jeep sah, ganz mit dem Baby beschäftigt, nicht auf. Der Fahrer gab Gas und der Jeep fuhr davon ...

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Kommentare (3)

Manfred36

Warum beschreibst du uns diese schrecklichen Szenen? Fast Jedem, der die Kriegshandlungen vor und während der Besatzung miterlebt hat, bleiben sie eingebrannt. Und die Andern konnten sie an Berichten über die IS nachvollziehen. Die "bessere" Rolle von Frauen war immer und ist noch begrenzt. Ich denke nur an Schillers "Glocke": Da werden Frauen zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz ...

Willy

Manfred was du über Frauen schreibst - hat mit der KG von mir nicht das Geringste zu tun.
Ansonsten Dank an Maslina und da erklärt sich auch, warum ich diese KG
schrieb.
W.

Maslina

Manfred, mir gefällt die Geschichte, zeigt sie nicht nur die Brutalität des Krieges, sondern auch das menschliche Mitgefühl.
Maslina


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