Berührungen

Ich erinnere mich noch gut an die langen Tage und Nächte im Klinikum meiner Stadt. Ich war noch keine zwölf Jahre alt, als der Unfall geschah. Siedend heißes Wasser hatte ein Drittel meiner Haut verbrüht. Ich lag hilflos in einem Wasserbett, dass die Schmerzen lindern sollte, es aber nicht wirklich schaffte.
 
„Du hast Verbrennungen aller Grade“, sagte eine Madonna zu mir, „es hat dich böse erwischt.“
 Sie ist wahrhaftig ein Engel, dachte ich. Unter der Haube der weißen Schwesterntracht lächelt ein wunderschönes Gesicht.
 
„Ich bin Schwester Gemma“, sagte die Frau im weißen Kleid, „ich bin da, um dir zu helfen, Ferdinand.“
 Ich war unsicher geworden und sagte zu ihr: „Bis jetzt haben mir alle nur weh getan. Bitte seien Sie vorsichtig.“
 
Sie schaute in meine ängstlichen Augen und beruhigt mich: „Vertraue mir, Ferdinand, ich helfe dir und deiner Haut. Wir machen gemeinsam eine Massage auf deiner gesunden Haut. Die verbrühten Stellen cremen wir miteinander mit einer dünnen Schicht der kühlenden Salbe ein. Bist du einverstanden?“
Ich weiß bis heute nicht was passierte, plötzlich hatte ich keine Angst mehr. „Okay, Schwester ...? Ich hab´ vergessen ...“ Sie schenkte mir ein Lächeln und wiederholte ihren Namen. „Ich bin Schwester Gemma.“
 
Es gab Stellen an meinem Körper, die nicht verbrannt waren und trotzdem höllisch schmerzten. Ich bat sie, mich dort nur sanft zu berühren. Schwester Gemma hatte vorgewärmtes Massageöl dabei. Ich glaube, es war Sandelholz-Öl. Es duftete orientalisch oder besser gesagt: himmlisch, denn Schwester Gemma war eine Nonne. Sie massierte mich nicht, sie streichelte. Ich war mir ganz sicher: Niemand sonst darf an meine Haut, nur sie darf mich berühren. Sie ist meine Madonna. Die mit den Zauberhänden.
 
„Mach die Augen zu, vergiss deine Wunden“, sagte sie ganz leise, „du wirst nichts im Leben verpassen, Ferdinand.“
 Die Schmerzen wichen irgendwann – ihren Platz füllten die Gedanken an die Zukunft. Als ob sie wüsste, was mir im Kopf umging, sagte Schwester Gemma zu mir: „Die Schönheit des Brandmals relativiert irgendwann den Wert der Perfektion.“
 Das habe ich damals nicht verstanden. Narben sind geblieben, aber das Wesen der Narbe ist die Abwesenheit des Schmerzes.
 
© by Ferdinand 
@photo: conscious-design-tOOtLKRC8GY-unsplash


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Kommentare (4)

nnamttor44

Wirklich richtig verbrannnt hab ich mich noch nie. Doch einmal wäre es fast geschehen. Ich hatte ein Huhn im Schnellkochtopf gekocht. Zum Schluss muss man so einen Topf eine ganze Weile abkühlen lassen, um ihn überhaupt öffnen zu können. Das hatte ich auch gemacht.

Ob meine Ungeduld mich dann doch verführt hatte, ein wenig nachzuhelfen, sei dahin gestellt. Als ich glaubte, den Deckel öffnen zu dürfen, quoll die noch sprudelnd kochende fettige Hühnersuppe explosionsartig heraus und ergoss sich über meine Kleidung.

Es brannte wie Feuer! Ich riss mir die Kleidung vom Leib, rannte ins Badezimmer, stieg in die Wanne und spühlte mich mit kaltem Wasser so lange ab, bis ich zitternd und frierend in der Wanne saß. Ob ich zitterte, weil das kalte Wasser mich auskühlte oder ob es der Schock war, dass mir die kochendheiße Fettbrühe über den Körper floss - ich weiß es nicht.

Zum Glück bildeten sich keine Brandblasen, aber es schmerzte einige Tage heftig. Ich kann mir vorstellen, welche Schmerzen mein einjähriger Cousin überstehen musste, als seine Neugier ihn dazu verleitete, in die Schüssel mit kochendheißer Seifenlauge hineinzulugen - oder Dir, lieber Ferdinand, als Du die oben geschilderte Geschichte erleben musstest!

💖lichen Gruß

Uschi

Syrdal


Weitab von den Segnungen der traditionellen und auch der modernen Medizin gibt es heilende Kräfte, die mit Worten und Begriffen nicht beschrieben, aber bis tief in die Seele auf feinste Weise erfahren werden können.

Grüße von
Syrdal

Roxanna

Ja, manchmal lieber Ferdinand begegnen einem Engel. Gut gefällt mir der Schlußsatz ...."aber das Wesen der Narbe ist die Abwesenheit des Schmerzes". Man muss nur gut aufpassen, dass sie nicht wieder aufbrechen, vor allem die seelischen Narben. Sanft und zärtlich berührt zu werden, das fühlt sich vielleicht schon manchmal an wie ein bisschen Himmel.


Herzlichen Gruß
Brigitte

Roxanna

@Roxanna  

Da fehlt das Wörtchen "wir". Wir begegnen manchmal einem Engel, leider viel zu selten.


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