Biographische Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Einleitung



Einleitung


Mein Vater wurde im Oktober 1909 geboren und er starb 92-jährig im November 2001, Vormittags um 11:00 Uhr während einer Unterhaltung mit meiner Mutter. Augen zu und tot, was der anwesende Pfleger Minuten später bestätigte.
Seine Kindheit verbrachte er auf dem elterlichen Erbhof im Mündungsgebiet von Weser und Jade. Seine Geschwister waren 2 Brüder, der eine zwei Jahre älter und der andere 11 Jahre jünger. Nach der Volksschule besuchte er die Oberrealschule in Oldenburg und wurde dafür, wie damals üblich, in einer „Pension“ einquartiert. Das Abitur machte er 1929 am Gymnasium in Nordenham, in der Nähe des Elternhofes. Zum Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ging er nach Paris an die Sorbonne. Dort fasste er seine Diplomarbeit über den damaligen russischen 5 Jahres Plan (Wirtschaftsplan) in französischer Sprache ab. Als die Nazis den Auslandstransfer seiner Schecks von zu Hause unterbanden, wechselte er von der Sorbonne an das Weltwirtschaftsinstitut in Kiel. Etwa um 1935 schrieb er für die regionale Zeitung eine Zusammenstellung: „Beitrag der Juden an der Deutschen Kultur“, was von den Nazi-Redakteuren vehement und drohend abgelehnt wurde zu veröffentlichen. Diesen Beitrag hat er dann Anfang der 50-ziger Jahre nochmal überarbeitet, aktualisiert und der selben Zeitung, jetzt entnazifiziert, angeboten. Ich selbst kann mich noch erinnern als der Herausgeber der Zeitung und sein Chefredakteur bei uns zu Hause auftauchten und meinen Vater inständig baten, den Beitrag zurückzunehmen, weil die Zeit dafür noch nicht „reif“ sei. Im Krieg wurde er als einfacher Hitler-Soldat eingezogen, kam nach Russland und nach seiner Heirat nach Nordafrika. Über Russland gibt es eine separate Niederschrift, die ich aber erst noch in seinem Nachlass suchen muss. In Nordafrika hatte er ein Schlüsselerlebnis, das ihn wohl auch fürs spätere Leben mit geprägt hat. Dort war seine Einheit verlegt worden, dabei hatte er sein Aphorismen-Heftchen, das er sonst immer bei sich trug in der vorigen Stellung liegen lassen. Er fuhr deswegen mit dem letzten LKW dieser Verlegung zurück, um dieses Heftchen zu holen, er fand es auch und als er mit dem LKW zur neuen Stellung zurückkam, war die gesamte Einheit nach einem zwischenzeitlichen Angriff ausgelöscht. Die einzig Überlebenden waren er und der LKW-Fahrer. Das Aphorismen Heftchen gab er bis zu seinem Tod nicht mehr aus der Hand. Mein Vater kam dann von Nordafrika aus als POW in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Dort hatte er zu Beginn einen schweren Stand gegen die Nazi-Offiziere. Das merkten die Amis recht bald und auch, dass sie sich auf seine Kenntnisse der englischen Sprache verlassen konnten. Er dolmetschte und gab auch eine Lagerzeitung heraus. Später verlegten ihn die Amis nach Staten Island zum Studium an der dortigen Universität.
Dort sammelten sie die dtsch. Gefangenen, denen sie vertrauten und den Aufbau einer neuen dtsch. Administration zutrauten. Mein Vater war dann auf einem der ersten Rücktransporte, „seilte“ sich nach Ankunft in Bremen ab und ging die 80 Kilometer zum Elternhof wohl überwiegend zu Fuß. Später bekam er noch vom neu geschaffenen Bundespräsidialamt eine schrifltliche Auforderung, sich am Aufbau dieses Amtes zu beteiligen, er lehnte ab, begründete das und damit war dann Ruhe aus dieser Richtung. Mein Vater verzichtete auf die Übernahme des Erbhofes zu Gunsten der 4 Waisenkinder seines älteren Bruders und bekam dafür einen anderen Hof, wo mein Bruder und ich geboren wurden, den er bis 1970 bewirtschaftete und auf dem mein Bruder eine Umweltstation eingerichtet hat. Nach 1970 zogen meine Eltern nach Oldenburg aufs „Altenteil“, nach Umbau, in das Stadthaus meines Grossvaters.
In Oldenburg wurde mein Vater bald von einem traditionellen Altherrenclub aufgnommen, der sich „Die Silberhasen“ (die Weiss- Silberhaarigen) nennt, dem man eine Art gesellschaftlicher Bedeutung nicht absprechen kann und bei dem bereits mein Grossvater Mitglied war.
Mein Vater hat gewohnheitsmäßig über alle Begegnungen und Gespräche nicht Tagebuch geführt aber doch eine Unzahl von Zetteln angelegt. Mit PC wäre das nicht passiert und ich hätte das heute auch leichter. Bei den „Silberhasen“ war er zu Beginn der Jüngste und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das damals übliche braunlastige Gerede meinen Vater innerlich so in Rage gebracht hat, dass er seine Zettelsammlung genommen hat und daraus diese nachstehenden, seine Erinnerungen hat entstehen lassen. Der fast zeitgleiche Besuch der jüdischen Jugendfreunde, hat ihn sicher weiter dazu angereizt.
Ich denke diese, ja man kann schon fast sagen, kleine Kurz-Biographie hilft dann schon beim sich Einlesen und Weiterlesen der hier nun folgenden persönlichen Erinnerungen meines Vaters.

(Der folgende Text wurde von meinem Vater in drei Teile aufgeteilt ( I – III ), die er um 1981 zeitversetzt niederschrieb.
Damit das hier im Blog nicht zu lang wird, habe ich den Text nochmal in Kapitel unterteilt ( 1 – 16 ). Einige Kapiteltitel scheinen mir etwas hölzern gelungen, wer also nach dem Lesen eine bessere Idee für Kapiteltitel hat, kann mir gern einen Vorschlag im Kommentar oder per PN machen, ist ehrlich willkommen )


Zu den Kapiteln: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Anzeige

Kommentare (0)


Anzeige