Biographische Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 1


Meine Polaks aus Westerstede


Von Hans Meiners

Vergessen, was gewesen,
heisst soviel
wie sich bestehlen mit den eigenen Händen.
Ist die Erinnerung
erst aus dem Spiel,
sind bald Gefühle
und Vernunft geblendet.

Erinnerung duldet
weder Lug noch Trick,
lässt uns, was wir verschuldet, nicht vergessen.
Was wäre dumpfer, leerer
als der Blick,
worin des Gestern Fäden
sind gerissen?!

Vorwort:

Zieht sich interessanterweise nicht oft so etwas wie ein roter Faden durchs Leben? (eine Lebenslienie geradezu). Hier verfolge ich einen solchen. Mir ist es dringlich. Keiner meiner Altersgenossen wird so leicht etwas dieser Art aufweisen können – leider! Im November soll eine Wiederholung von Holocaust gesendet werden.... Der ursprünglich für einen Freundeskreis von 5 Leuten bestimmte Bericht, den ich "Meine Polaks aus Westerstede“ nenne, verdient in Anbetracht neuer Auseinandersetzungen über Holocaust einem breiteren Kreis zugänglich gemacht zu werden. (Mein Hausanwalt und Jurist rät davon ab). Die wenigen ersten Leser meinen das. Ich kann degegen keine Einwände aufrecht erhalten. Zu viele Indiskretionen? Aber vieles an Gutem und Hochlöblichem auf Seiten manchen alten Freundes und Bekannten bliebe ungenannt.

Teil I: Oldenburger Begegnungen von den Polaks bis zu Peter de Mendelssohn

Meine Kindheit


Die ersten 10 Jahre meiner Kindheit lebte ich auf Ahndeich, dem einsam gelegenen Marschenhof unweit der Deiche des Jadebusens. Alle unter N.N. (Normal Null) gelegenen niederen Wiesenflächen, die sog. "Leegden“ waren in Sturm- und Regenzeiten unter Wasser. Diesem Phänomen war mein kindlich-jungenhafter Sinn sehr zugetan Das etwa 1 Meter höher gelegene Land, die alten und neuen Groden, einfach "Groo’n“ genannt (von englisch grown = gewachsen) war die beste Ackererde der Welt. Geologisch liegt da eine alluviale Sedimentation in der Zone des Zusammentreffens vom Salzwasser der Nordsee und Süsswaser der Weser und Jade vor. In der Form von Grasnutzung stellte dieser Boden die berühmten "Fettweiden“ für das Vieh dar. Die Rinder aus der Weidemast, die Ochsen, bekam bei uns immer der Kölner Viehkaufmann Körbchen. Einmal im Jahr, zum Herbst, kam er angereist. Eine Menge Waggons mit Fettvieh gingen dann ab ins Rheinland zu den grossen Schlachtviehmärkten. Körbchen zahlte bar. Es war die grösste Jahreseinnahme für alle Grossbauern des Landes, die, wie mein Vater, ziemliche viele und die besten Ochsen hatten. Welchen Respekt hatte man als Junge, der ich beim Zusammentreiben der Tiere helfen musste, vor Hernn Körbchen, über den wohl mal die Bemerkung fiel, dass er Jude sei.

Juden? Davon wusste man doch aus dem Religionsunterricht, der so ungefähr das Hauptfach an unserer Dorfschule war. Und wie wir da das Alte Testament durchnahmen! Es ging uns 9 – 10jährigen sicherlich zu einem Ohr hinein und zum anderen Ohr wieder heraus. Nicht aber, dass die Juden durch das Rote Meer gezogen waren und vor allem, bei mir nicht, dass sie aus dem Lande Gosen gekommen waren. Die Landkarte an der Wand, mit Palästina und dem nördlichen Ägypten hatten wir ständig vor Augen. Ein grosser dunkelgrüner Fleck an der Nil-Mündung ähnelte dem grünen Streifen, den die Weser- und Jademarsch auf der geographischen Karte von Nord-Westdeutschland darstellen sollte. Die Juden waren also aus dem Lande Gosen, oben an der Nil-Mündung, wovon ich so leicht und schnell ein feste Vorstellung hatte, vertrieben worden. Und dann das grosse Wunder. Sie waren mit ihren Herden durchs Rote Meer gegangen, wie wir übers Watt gehen, wenn die Flut abgelaufen ist, und dann war den Juden von ihren Führern das gelobte Land verheissen worden.

Näher bekannt war uns der im Lande auch wohl mal als Viehjude bezeichnete Edmund Rosenberg aus Dedesdorf. Er kam oft und kaufte die alten Kühe, fette Queenen1 und kranke Tiere, die übers Jahr als einzelne Stücke ausgesondert wurden. Unvergesslich ist mir das Bild, das der dicke Rosenberg auf der kleinen ulkigen Zündapp-Maschine bot, mit der er angetuckert kam. Unvergesslich auch sein immer freundliches Vollmondgesicht. Je nach Tageszeit blieb er zu Mittag, zu Vesper oder Abendbrot. Das war sowieso Sitte auf den Einzelhöfen mit grosser Küche für das zahlreiche Hofgesinde. Es galt, bei uns wenigstens, auch für Herrn Rosenberg, dass er eingeladen war, natürlich da, wie das früher war, wo die Herrschaften aßen, meine Eltern, die Eleven, männliche und weibliche und wir Kinder. Die Gespräche meines Vaters mit Herrn Rosenberg waren irgendwie ganz gross. Ich konnte wohl schon sehr früh gut zuhören, sogar, als ich noch kein Wort davon verstand. Bei uns war es nicht üblich, dass die Kinder hinausgeschickt wurden, wenn Besuch, wer auch immer, kam. Dafür bin ich meinem Vater heute noch dankbar und meine Kinder mir.
( 1) Färsen, vergleiche queene- altenglisch und schottisch (bei Rob. Burnes) für junges Mädchen, daher natürlich auch die „Queen“.)


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Kommentare (2)

george Liebe Tilli,
vielen Dank fuer Deinen Kommentar.
Es ist nicht mein Leben sonder dasjenige meines Erzeugers / meines Vaters.
Seine Erzaehlung liegt tatsaechlich als Buechlein vor (1/2 DIN A4 und 55 Seiten), das er im Selbstverlag (so nennt man das glaube ich) in begrenzter Auflage fuer Verwandte und Bekannte hat binden lassen. Ich habe ein Exemplar davon hier in Saigon und habe das im Jahr 2005 abgeschrieben / digitalisiert. Seitdem schmort das auf meinem Laptop.
Jetzt habe ich die Erzaehlung mit Karls Einverstaendnis und Hilfe hier eingestellt und einem groesseren Kreis ermoeglicht, daran teil zu haben.
Lieben Gruss
George




tilli Lieber George !
Das du dein Leben aufgezeichnet hast, ist so wunderbar, einfach Klasse. Weißt du, selten werden solche Biografien geschrieben und wenn schon, da von Menschen aus der Politik usw.
Schade,das man es nicht drucken darf.Ich würde mir so Büchlein davon machen.
Heute werde ich deine Fotos bewundern.
Vielen, Dank.
Tilli

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