Biographische Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 3


Mein Mitschüler Karl Polak


Vetter Karl, der 3 Jahre ältere, hat Jura studiert. Er ging mit Anbruch der Nazi-Jahre nach Kopenhagen und Stockholm, von dort, erneut auf der Flucht, landete er in Moskau. Im Jahre 1945 kam er wieder nach Deutschland und wurde Professor für Staatsrecht an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Anfang der 60er Jahre, aus Anlass eines Besuches der
1. Internationalen Buchausstellung in West-Berlin, liess ich es mir nicht entgehen, Karl Polak im Haus des Schriftstellerverbandes, wo er, als mittlerweile Rechtsberater der Regierung Pieck/Grotewohl, sein Arbeitszimmer hatte, aufzusuchen. Die erste Begegnung war nicht gut. Karl war konsterniert, stützte seine Stirn auf beide Hände, verdeckte förmlich sein Gesicht und sagte: Oldenburg, ach Oldenburg! Wir kamen mit der Unterhaltung nur stockend voran, aber ich konnte das Gespräch auf unseren alten Direx Otto Müller bringen, und dann ging’s.-.

Als gemeinsame Erinnerung stellte sich auch noch der Professor Dr. Burghardt heraus. Bei dem war er in Pension gewesen, und ich hatte in Französisch und Erdkunde. Mein Professor vor mir sprach nur gut von ihm, der doch allgemein "Schinder Burghardt“ genannt wurde, worüber ich natürlich hier stille schwieg, wohl merkend, wie der Wind weht. War doch ein schönes Oldenburg. Ganz nahe am Ende der Jahnstrasse sei ein riesiger Teich gewesen und dahinter der Landtag und das Ministerium. Burghardts hatten keine Kinder. Er hätte in dem Arbeitszimmer von Herrn Professor seine Schulaufgaben machen dürfen und auch aus den vielen Regalen ganz nach belieben Bücher nehmen können. Zum Sonntag seien sie gern mal mit nach Westerstede gefahren. (Bei Polaks mit ihrer Landwirtschaft neben dem Viehgeschäft gab es natürlich alles, was 1917/18 in den Läden nicht zu haben war, denke ich gleich und sage es natürlich nicht). Denn mir war Burghardt als ein Satan in Erinnerung, ein Giftzwerg, der von zu kleiner Statur gar nicht Soldat sein konnte und den Direktor der Schule vertrat. Der alte tat schon Dienst in Belgien, das ja annektiert werden sollte. Nachher sei er (Karl Polak) zu einer orthodoxen Familie, einem Rechtsanwalt in Pension gekommen, damit er vielleicht mal Rabbi oder als echter Stubenhocker ein Rechtsgelehrter werden könne, sei ihm mehr oder weniger spassig gesagt worden. Prof. Burghardt, sagte ich jetzt vorsichtig, sei nach dem verlorenen Krieg wohl recht unleidlich geworden. Neuer Direktor wurde ja Dr. Müller, der wie ein junger Gott daher kam, meinte das ältere Fräulein, die meine Pensionsmutter war. Ferner fühlte sich Burghardt, der übrigens aus Görlitz kam, um den Sieg der Deutschen Sache betrogen und bekannte sich zur Dolchstosslegende. Er verdammte die Republik und traktierte uns Schüler mit Hasstiraden auf Poincare’, die Franzosen und den "Schandvertrag von Versailles“, auf den er einen markigen Text verfasst hatte. Wir mussten den auswendig lernen und auf Kommando einzeln oder "alle!“ hersagen. Schlimm war auch sein Ruf mitten in der Unterrichtsstunde: "Alles auf – Hände vor – Kniee beugt!!“ zwecks Ertüchtigung, um die Schmach, die der Feind uns Deutschen angetan, zu vergelten. Auch Karl Jaspers kam noch dran, von dem ich erzählen konnte, wie schlecht er durch die Zeit gekommen war.

Karl Polak lud mich in seine Privatwohnung ein. Das verlief sehr nett und aufgelockert. Ungeahnte Geständnisse und Bekenntnisse bereitete er vor mir aus, ein unvergessliches privates "privatissimum“ in Rechtsphilosophie. Hatte er doch im Vergleich zu meinen früheren Hochschullehrern sicherlich mehr erlebt – und studiert. Die kleine Wohnung beherbergte neben Frau und Töchterchen, soviel Bücher, wie ich es auf so engem Raum von Korridor und 2 Zimmern dafür, noch nie gesehen hatte, es sei denn, ich erinnerte mich meines Erstaunens über eine Hausbibliothek in einem russischen Dorf, im Krieg. Als ich gegangen war, blieb eine Angst um ihn bei mir zurück. Dieser Idealist, würde er die harte Realität, an der zu arbeiten er aufgerufen war, ertragen?

Karl Polak starb dann auch leider viel zu früh, noch keine 65 Jahre alt. Als Sammler von grossen Nekrologen will ich mich bemühen, die Nachrufe und Würdigungen noch zu bekommen. Ein Ost-Berliner Freund, wenn auch Altphilologe, wird mir da behilflich sein können, hoffe ich.

Was ich im Gespräch mit Karl Polak über Lehrer- und Schülerschicksale in einem Fall mit etwas Zögern und sehr kurz und andeutungsweise erzählt hatte, nämlich das traurige Ende mit dem langen Heinz aus seiner Schulklasse, kann hier einen Extra-Abschnitt beanspruchen, meine ich, wozu ich vorausschicken muss, dass mein Gegenüber - sicherlich innerlich auf ganz eigene Weise betroffen – sich absolut darüber ausschwieg.

Mein Mitpensionär Heinz aus Rastede, der Peiniger Karl Polaks, und erster Antisemit, den ich kennen lernte, hat sein Abitur an verschiedenen Schulen erstottert. Sogar in Nordenham sollte ich ihn noch erleben, grossspuriger und gosssprecherischer als zuvor. Ich habe ihn nie auf unseren Hof eingeladen. Heinz studierte Jura, ohne Abschluss und bekam eine Stellung bei der Partei in Berlin. Äusserlich war er ein Typ von Rasse, die es bei den Nazis leicht hatten. Nichtsdestoweniger wurde Heinz im Kriege wegen Lustmordes an einer Generalsgattin in Plötzensee hingerichtet. Vater und Bruder, echte Rasteder Honoratioren, waren kurz benachrichtigt worden. Als sie in Berlin eintrafen war die Leiche schon fortgeschafft, sie erfuhren nicht einmal, wohin.

Was fällt einem jetzt nicht alles ein, wenn man einmal damit angefangen hat, den früheren Begegnungen mit Juden in meiner Kindheit und dann in Oldenburg nachzugehen. Nicht gerade ein Freund war Dagobert de Levie, der in einem grossen Haus der benachbarten Strasse wohnte. Der Garten dort stiess an das Grundstück unserer Pensionsmutter. Ob wir nun in unserer Arbeitsstube bei offenem Fenster sassen oder im Garten selbst, immer hatten wir Dago’s laute Stimme im Ohr. Er, der eigentlich noch ein Kind war, tobte mit seinem Hund herum, und der Hund jagte die Enten, die Mutter rief immerfort und eine gezähmte Dohle krächzte. Jedenfalls konnte unser Heinz bei dem Lärm von nebenan nicht arbeiten. Bei der Gelegenheit lernten wir eine Menge Schimpfworte auf Juden kennen. Wir sollten das dann auch so meinen und nachsprechen. Wohl angedenk Alfreds in meiner Klasse habe ich das nie fertig gebracht, aber Heinz hatte eine sadistische Art, uns zu piesacken, eine ganz gemeine Art. So habe ich zu seiner Genugtuung bei de Levies Birnen gestohlen, von einem Baum, der nahe der Grenzplanke stand. Ich war sowieso ein leidenschaftlicher Kletterer, und Äpfelklauen war für einen Jungen beinahe Ehrensache. Eine Judenbirne wurde dann auch von mir mit Genuss verspeist, sogar grün, von mir Grünschnabel.

Dagobert de Levie hat in Köln studiert. Er ist jetzt Präsident des „Institute for Foriegn Studies“ an der Universität von Pennsylvania. Die Universität Köln ernannte ihn vor ein paar Jahren zum Ehrensenator.

Aber Oldenburg, seine Heimatstadt, hat Dagobert de Levie gemieden – und wiederum auch nicht, denn einmal hat er bei seinem alten Friseurmeister und Nachbarn in der Grünen Strasse angerufen, ob er sich mit ihm in Bremen treffen möge. Natürlich ist der Friseur gefahren.

Sein Bericht darüber hat mich erschüttert und sehr berührt. Hatte ich doch jemand, einen Studienfreund, in den USA, der nichts von sich hören liess, obgleich ich ihn des öfteren angeschrieben hatte.


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