Damals? Heute?

Walther Rathenau, Reichsaussenminister 1922-1922
 
Ja, damals - ich bin heute noch ziemlich verwirrt, wenn ich an die Zeit denke. Wo war die Furcht geblieben, die mir früher immer treu zur Seite gestanden hatte? Ich war gerade erst zwölf Jahre alt, ein Hänfling, der aus dem Nest gefallen war und der sich nun vor den Räubern in Acht nehmen musste.
      Ich hatte in den Wochen der Flucht vor der Roten Armee jeden Respekt verloren, vor den Soldaten, vor den anderen Flüchtlingen, vor den Erwachsenen überhaupt, auch vor der eigenen Mutter! Ich musste mit ansehen, wie jede Art von Gerechtigkeit in den Wirren der Zeit verloren ging, wie der Eigennutz den Gemeinnutz ins Abseits gestellt hatte und mir nichts, dir nichts einfach das Ruder übernahm.
      Ich kannte das Denken dieser Art überhaupt nicht, stellte aber fest, dass dieses Buckeln nach oben und Treten nach unten das Non plus Ultra geworden war, ohne dass jemand dazu einer Anweisung bedurfte! War nun etwa die Zeit gekommen, dass ich selbst diese Haltung übernehmen musste? Ich fühlte mich unwohl bei diesen Gedanken; solche Art von Leben war ich bisher nicht gewohnt. Bei uns lief alles geradlinig ab,
jeder wusste, wer war und was er zu tun und lassen hatte.
      Und nun? Alle Ordnungen einer Gesellschaft waren aus dem Gleis geraten, all das, was gestern noch als selbstverständlich galt, wurde nun als völlig falsch angesehen und musste unbedingt sofort korrigiert werden. Und das ohne Vorwarnung und ohne jegliche Erklärung seitens der älteren Generation!
      Wir - die jungen Menschen, fügten uns, was hätten wir auch anderes tun können? Ähnlich wie auch unsere Eltern waren wir einer neuen Zeit ausgeliefert, auf die wir uns nicht hatten vorbereiten können, die uns völlig ohne Stützen und Hilfen auf das Leben losließ.

***
      Ja - wenn ich heute an jene Zeit meiner Kindheit und Jugend denke - Himmel, was sind das für Unterschiede! Nicht die Technik, nein, die kann auch ein Segen sein. Aber das Leben, unser zeitliches Leben besteht doch auch aus den gedanklichen und seelischen Auseinandersetzungen. Die Strömungen der Geisteswelt können nicht einfach an die Seite geschoben werden.
      Große Geister, die lange vor uns gelebt haben, mahnen uns mit ihren Worten - wir müssen nur hinhören! Unsere Werte, die einstmals ihre Berechtigung hatten, sind auch heute noch aktuell!
Auch wenn sie oft nur als Geplapper von senilen Alten angesehen werden. Sie gelten dennoch - so manch einer aus der heute tonangebenden Gesellschaft wird dies noch mit einiger Verspätung zugeben müssen (wenn er es nicht schon in der Anonymität getan hat.)
      Wir schreiben in Kürze 2022 - ich denke zurück an die Zeit vor 100 Jahren! Reichspräsident Friedrich Ebert ernennt 1922 Walter Rathenau zum Außenminister Deutschlands. Fünf Monate später wird dieser von einer rechten Gruppe in unserem Land ermordet!
      Lange her, nicht wahr? 100 Jahre sind in einem Menschenleben erstaunlich lange, wenn man aber richtig drüber nachdenkt - ist es wirklich so? Ich schaue mir die Nachrichten im TV an. Vieles hat sich wiederholt, zwar nicht direkt in früherer Form, aber es deutet sich an, dass die Hoffnungen vieler Menschen zuschande gemacht werden sollen.
Wir, und zwar wir alle die wir denken können, sollten den Anfängen wehren! Damit unsere Nachkommen nicht wieder sagen müssen: Unsere Eltern haben nichts davon gewusst ..
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©2021 byHCGLUX

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Kommentare (8)

Distel1fink7

Für mich ist ein springender Punkt das Vergessen, wenn man vergisst ,lernt
man nichts.

Gestern habe ich einer fast 100 jährigen Frau Friedländer zugehört. Sie
erzählt recht anschaulich von der Zeit in Nazi-Deutschland.Von ihrer Familie
ist nur sie übrig geblieben. Für sie ein Grund öffentlich  die damalige Welt
zu beschreiben. Wahrlich eine wichtige Aufgabe. Ich wünschte, dass sie
recht viele Zuhörer findet. "Zuhörer" meine ich !

Was ich in Berlin lernte. In unseren Haus war eine Bücherei, die Rathenau.
Unweit war eine große Skulptur von ihm. Herr Rathenau mit seinem großen
Hund. Ich fragte mehrere Menschen,die dort  wohnten, wer das sei.
Das wusste niemand. Mühsam entzifferte ich die lädierte Schrift und fand
einen interessanten Politiker der Vergangenheit, der genau an dieser
Stelle von seinen Gegnern erschossen wurde.

Tja und heute...........   vor den Häusern einiger Minister stehen Bedroher,
die wollen ganz bestimmt keine Weihnachtsgeschenke bringen.

Zuhören, hinschauen,, nicht vergessen

das will ich der Distel1fink7
 

Pan

@Distel1fink7  

Lernen heisst auch, vorher nachdenken, bevor etwas Geschehenes zur Normalität wird!
Was wäre ein Leben ohne Lernen? Wie aber weiss ich, was richtig ist?
Ich muss ständig abwägen - zur rechten Zeit "Ja"  oder "Nein" sagen. Das ist schwer, sehr schwer, wie oft hat man sich schon geirrt? Aber es ist besser, Irrungen zuzugeben, als weiter mit falschen "Tatsachen" leben.oder sie sogar weiter zu verbreiten!
Ich wollte Walther Rathenau nicht hervorheben, aber er steht da als Beispiel für eine Sichtweise der Gesellschaft, die wieder mit großen Worten bestimmen will, was richtig und gut ist für unser Land!
"Wehret den Anfängen" - ein stereotypes Schlagwort aus alter Zeit. Und?
Nur wenige sehen dieses Anfänge wirklich!
Ich wünsche uns - Dir und mir ebenfalls, dass wir immer das Richtige sehen, fühlen und aussprechen, was uns auf der Seele brennt!
Das wünscht Dir - verbunden mit Weekend-Grüßen -
Horst
👍

Manfred36

Wo erkennst du die Anzeichen, lieber Horst, dass die Hoffnungen vieler Menschen zuschande gemacht werden sollen, und wie meinst du, können wir Alten dem entgegenwirken ?

Pan

Nicht einfach schweigen und im Stillen sagen: Das betrifft mich nicht! DAS haben damals viele gemacht, mit welchem Ergebnis?
Auch wir, wir Alten dürfen nicht einfach still sein!
 Und die Anzeichen??? Wer sie nicht sieht, ist wirklich blind - und zwar auf dem rechten Auge.
Horst~
 

Manfred36

@Pan  
Den Rechtsruck, der unsere politische Stabilität gefährden könnte, erkenne ich hier nicht. 

JuergenS

@Manfred36  
als Ruck empfinde ich es ebenfalls nicht, aber es muß unter Kontrolle bleiben, dass Scharren der rechtsgerichteten Stiefeln. Bin dabei aber zuversichtlich.
Vielleicht sind ja auch eher die lokalen gesellschaftlichen Verhältnisse z.B. in Sachsen gemeint.

Pan

Ja, Juergen, unter Kontrolle ist gut! Haben wir das?
Es sind nicht nur die "lokalen" Geschehnisse!
Aber vielleicht ist RECHTS schon inzwischen so eingerichtet, dass es inzwischen in der MITTE liegt? Antisemitismus und ausländerfeindliche Taten sind keine Sandkasten-Spiele mehr! Es sind Tatsachen, Tag für Tag, vielleicht gewöhnt man sich schon dran?
Mich bedrückt diese unwahre Ahnungslosigkeit ...

Pawluscha

@Pan  

Ob man sich daran gewöhnen kann, dass Teil deiner Heimat von "grünen Männlein" okkupiert ist, dass Tausende Menschen getötet sind und dass fast jeden Tag jünge Menschen getötet werden?!!
Und man ist nur "besorgt"...
Und "grüne Männlein" schleichen, wie Schlangen und Ratten, überall  hin in der Welt, und bringen mit sich Not, Zerstörung, Schmutz und Lügen...


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