Das Ende des letzten Krieges


[font=helvetica]Als ich gestern im Fernsehen Mario Aadorf von seinen Erlebnissen während der letzten Kriegstage erzählen hörte, fielen mir meine ein, denn sie prägten mein Leben bis heute. Kein anderes Erlebnis meines Lebens hat mich so in meinen "Grundfesten" erschüttert, wie die letzten Wochen und Monate 1944/45. Es verwehrt mir noch heute jegliches Vertrauen in Politik, Institionen und Autoritäten.

Es war kurz vor meinem 12. Geburtstag, als die Krieghandlungen immer näher kamen. Wir lebten in einer Kleinstadt am Rhein, genau in der Ecke. wo sich auch heute noch die Schweiz, Frankreich und Deutschland treffen. In der Nacht zuvor wurden wir, wie viele Grenzorte am Rhein, mit Artillerie beschossen, was zumindest in unserer Stadt wenig Schaden anrichtete, manche Rheindörfer traf es härter.

Am nächsten Morgen musste ich auf einen unserer kleinen Äcker, um umzustechen, eine Arbeit, die ich gerne verrichtete. Ich war alleine und konnte bei dieser Arbeit meinen Träumen nachhängen. Doch dann wurde ich aus meinen Träumen gerissen, denn eine meiner Schwestern holte mich von der Arbeit weg, wir mussten unsere Stadt verlassen, um auf dem Schwarzwald vor weiterem Beschuss Schutz zu suchen.

Also gingen wir nach Hause, beluden einen kleinen Leiterwagen mit dem Nötigsten, ich zog die Hitlerjungen-Uniform demonstrativ an und so zogen wir los und fanden zuerst Unterschlupf bei Verwandten im Wiesental. Von dort ging es dann weiter auf ein grossen Bauernhof in einem kleinen Dorf im Schwarzwald.

Bei uns zuhause wurde nie über Politk gesprochen, aber irgendwie wusste ich, dass mein Vater überzeugter Sozialdemokrat war, wenn ich auch nicht wusste, was das genau zu bedeuten hat. Als Beamter musste er trotzdem in die NSDAP eintreten, denn er war auf seine Arbeit angewiesen, mit der er eine 9köpfige Familie ernähren musste.

Vielleicht war es das politische Vakuum, das mich völligin die Arme der Nazis trieb. Dazu kam, dass ich las, was mir in die Finger kam, ohne jegliche Anleitung, denn zuhause gab es nur die Bibel und das Doktorbuch, und die meisten Bücher, die in dieser Zeit angeboten wurden, waren Kriegsbücher und andere Nazischriften. Jedenfalls war ich voll und ganz "Hitlerjunge" mit dem einzigen Ziel, ein Held zu werden, ja, vielleicht sogar, als Held zu sterben, jedenfalls meldete ich mich mit 12 Jahren zur SS-Panzerdivion "HitlerJugend", ein einarmiger, mit Orden behängter Leutnant hatte ich bei einer Veranstaltung überzeugt. Ausserdem war ich ja bereits Melder beim Luftschutz mit Stahlhelm, was den Vorteil hatte, dass wir bei Fliegeralarm nicht in den Luftschutzkeller mussten. Dieer Hintergrund erklärt, und die unerschütterliche Überzeugung, dass uns Hitler zum Endsieg führen wird, liess mich auch in der Uniform der Hitlerjugend fliehen.

Wir verbrachten die Zeit von Herbst 1944 bis kurz vor Kriegsende 1945 auf diesem Bauernhof im Schwarzwald, wo wir für das tägliche Brot hart arbeiten mussten, obwohl mein Vater für den Aufenthalt bezahlte. Oft war ich an der Grenze meiner physischen Kräfte beim Holzmachen im Winter in verschneiten Wäldern.

Allerdings bewundere ich noch bis heute den Bauern, ein Mann in den 60gern, um seine Geduld, mit denen er meine Tiraden über den bevorstehenden Endsieg, die Wunderwaffen Hitlers, die Unbesiegbarkeit der deutschen Soldaten anhörte. Er selbst hatte einen Sohn bereits im Krieg verloren, ein zweiter war vermisst und vom dritten wusste er, dass er in einer hart umkämpften Gegend eingesetzt war. Zuhause war nur noch der jüngste Sohn und ein Pflegesohn, der im Krieg ein Bein verloren hatte. Ich würde es heute verstehen, wenn er mich mit einer Ohrfeige zum Schweigen gebracht hätte.

Drei Tage vor dem Einmarsch französischer Truppen hatte uns der Vater nach Hause geholt, die letzten Brücken waren noch sinnlos gesprengt worden, dann rollten die Panzer ins Städtchen und ein französischer Stadtkommandant übernahm das Kommando. Die Männer wurden zu Aufräumarbeiten herangezogen, Parteimitglieder wurden als Geiseln eingesperrt, auch mein Vater, aber alles verlief friedlich, und mein Vater kam nach einer Nacht wieder nach Hause.

Aber in mir hatte sich eine verzweifelte zu tiefst enttäuschte Wandlung vollzogen. Wie ich vorher das Kriegsgeschehen aufgesaugt und verfolgt hatte, so drangen nun mit voller Wucht
die Berichte über das wirkliche Geschehen während der Nazizeit auf mich ein. Ich hatte nie von Konzentratsionslagern gehört, ich kannte keine Juden, wusste nicht einmal, was diese von uns unterscheiden soll. Ich kannte die Propaganda über die "Untermenschen" aus dem Osten, die Polen und Russen, aber wir begegneten den wenigen russischen Gefangenen in unserem Städtchen freundlich, allerdings ohne etwas davon zu ahnen, dass sie hungerten und schwer arbeiten musssten. Lediglich von Nachbarn erfuhr ich, die einige Zeit verschwunden waren, dann aber wieder zurückkamen, dass sie Komunisten waren.

Doch nun hörte ich einen grauenvollen Bericht nach dem andern von den Greueln in den KZs, aber auch was deutschen Soldaten in fremden Ländern angerichtet haben, wie sie sich benommen haben. Vielleicht waren die ersten Berichten damals auch einseitig, aber welche Rechtfertigung hätte es für uns Deutschen geben können für das, was wir für Führer, Volk und Vaterland verursacht hatten? Ich hatte so an das Gute, Heldenhafte, Hehre in diesem Land geglaubt, vor allem auch dessen Repräsendanten, in mir war nur noch Leere und die tiefste Enttäuschung, aber vor allem Abscheu, auch meiner eigenen Überzeugung gegenüber.



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Kommentare (4)

tilli Es ist schon tragisch,das man es nicht vergessen kann. Auch ich war damals noch ein Kind. Aber bis heute bin ich wütend,auf die verantwortlichen,die damals den Krieg
verursachten. Dann noch nach so vielen Jahren, sieht man junge Menschen, die wieder träumen und die Hitlerparolen wiederholen. Warum, kann man es nicht verhindern.Unsere Jahrgänge leben mit den Erinnerungen.Die jungen Nazisten wollen es haben.
Jeder Krieg, auch die neuen Gewalten lassen uns das Leben nicht so geniessen,wie es sein sollte.
Wir haben es überlebt,aber die tausenden die in den Krieg gefallen sind, junge Menschen, die noch träumten von Leben in Liebe,die werden nicht mehr wach.
Darum sei heute glücklich und geniesse die schöne Welt.
Viele Grüße Tilli
Rutger Willibald, ist tatsächlich nicht einfach, und erfordert eine Portion Mut, auch 65 Jahre nach Kriegsende. Und die Folgen, man sah die nicht, oder man schloss sich die Augen. Und dass Kinder leicht beeinflussbar sind, das ist klar. Selbst bin ich erst 1961 geboren, aber wenn ich hier die Reaktionen gelesen habe, nachher ich das Buch "Der Brand" vorgestellt habe, dann frage ich mich, ob diese Vergangenheit wohl zu bewältigen ist, und dann rede ich nicht nur von den "Verlierern", sondern auch von den sogennanten "Alliierten". Wie schon von oessilady gesagt, es ist vor allem dem Fussvolk, dem Leid gebracht wird in Zeiten von Krieg und Zerstörung.

Roger
oessilady Deinen bericht über die letzten Kriegsjahre habe ich gerade gelesen und ich kann dir deine Enttäuschung nachfühlen ,die dich überfiel als du von dem Ausmaß der Kriegsgeschehen gehört hast.
natürlich hat man solches nicht in der Kriegspropaganda erzählt.
Einen so jungen Menschen wie du ,zu begeistern,fiel ja nicht schwer in dieser Zeit.
Es war ja eine schwere Zeit für alle,nicht nur für die Frontsoldaten.
Da idealisiert man schnell jemanden oder eine Ideologie,die Folgen sieht man nicht,sie traten ja auch erst nach dem Krieg zutage.
So ist es wohl mit allen Kriegen die auf der Welt geschehen.Unermessliches Leid bringen sie allen kleinen Leuten-dem Fußvolk) egal auf welcher Seite sie sind.
Ich wünsch dir,daß du deshalb nicht große Schuldgefühle hegen mußt. berta
indeed dazu, so freimütig über diese Erinnerungen, ohne Selbstbeschönigungen, zu schreiben. Es zeigt aber auch, wie man bereits Kinder in jungen Jahren beeinflussen kann. Das wusste natürlich der Bauer aus dem Schwarzwald und hat deine Schwärmerei richtig eingeordnet. Da hast du Glück gehabt. Dieser Mann hat echt Größe bewiesen.
Wie sehr muss es dich im Nachhinein beschäftigt haben und ich denke, dass genau dieses Verhalten dich auch geprägt hat.
Du warst doch noch ein Kind!
Danke dir für deinen Beitrag.
LG indeed

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