Das Hohe Lied der Liebe Salomons


Liebeslyrik
Ihr Frauen schreckt die Liebe nicht

O meine Lydia, trunken vor Liebe spürte ich die Flammen deiner Zunge meinen Mund ver-brennen, und ich sagte: „Mein Verlangen flammt schlagartig auf in meiner Brust, die voll Liebe ist für dich. Dein Körper duftet nach heißer Begierde und dein Name, wenn ich ihn ausspreche, schmeckt auf meinen Lippen wie Öl aus Eicheln.
Gib mir deine Hand!“ sagte ich, „Komm mit mir! Wir eilen durch die Gassen und Straßen, über die Plätze der Stadt und über Brücken, vorbei an Brunnen mit sprudelndem Wasser und den Markständen mit frischem Obst und Gemüse aus dem Tal der Tauber, und wir steigen hinauf zur Teufelsspitze der Ahornberge, wo Nachtigallen dir ein Lied singen. Lass´ uns ein Haus errichten unter Apfelbäumen Ihr blühendes Geäst soll das Dach, die Heckenzeilen über den Steinhalden sollen die Wände sein.“
Ich rief ins Tal hinunter: „Ihr Frauen der Stadt, kommt herauf und seht wie schön meine Lydia ist, braun ist sie, ihre Farbe ist wie die der Fachwerke in eurer Stadt, wie die Rehe in den Ahornbergen; sie ist schön wie die Sonne, meine Freundin, sie gleicht den Blüten auf den Wiesen und Feldern entlang der Tauber; eine Narzisse ist sie mit Blütendolde, ihre Haut aus Saffianleder, samtweich Chamois, und ihr Leib, eine Schale aus Gold, ist fruchtbar wie der Garten Eden. Ach, meine sanfte Freundin du, unwiderstehlich ist mein Verlangen nach dir.“
Und ich sagte zu den Frauen der Stadt: „Schaut sie nicht so an, weil sie gebräunt ist, sie hat sich an mir verbrannt, ja, sie hat sich Brandmale an mir geholt, denn meine Liebe ist wie die Glut verbrannter Erde.“
Du lächeltest verschämt und ich nahm dich mit, die Weinberge meines Vaters pflegen am Hang zu den Bergen hin. Und du fragtest mich: „Mein Liebster, wie soll ich dir bei der Pflege helfen, wenn meine Augen niedergeschlagen sind vor Scham? Sage mir, wo du dich hinlegst und ausruhst am Mittag? Wo wirst du sein und wo finde ich dich dann? Oder soll ich nach dir suchen gehen? Soll ich wie ein verlorenes Lamm in der Stadt und in den Bergen umherirren?“
„Weißt du das nicht, Lydia? Begehrst du mich denn nicht?“ Und ich sagte zu dir: „Gehe in den Spuren meiner Liebe, dann wirst du mich finden; singe und spiele mit den Vögeln und Kitzlein in den Weinbergen über der Tauber, dort, wo ich mich am Mittag hinlege.
Deine Wangen sind schön zwischen den Goldreifen an deinen Ohren und an deinem Hals, für den ich ein goldenes Kettchen dir fertigen werde mit Silberspangen daran. Du bist die erste der Blumen auf den Wiesen, wie eine Rose unter den Disteln im Tal der Tauber. Du bist die Schönste unter den Frauen dort drunten; du bist schön, Lydia, meine Freundin; ja, schön bist du wie ein Frühlingsmorgen unter der strahlenden Sonne, abgründig sind deine Augen, sie gleichen zwei Bergseen aus dem Blau des Himmels; zwei blaugeflügelte Tauben sind sie, deine Augen, in denen meine Seele ankert.“
Du riefst gegen den Abendwind über die Berge und Hügel: „Mein Liebster ist ein Apfelbaum unter Ahornbäumen und Eichen. Ich möchte mich zu ihm in ihre Schatten legen und in seinen Armen ruhen; sein Bild über mir verheißt Liebe; er hat seinen Arm unter meinen Kopf ge-schoben und auf meinen erhitzten Leib seinen rechten gelegt; er stärkt mich mit Traubenku-chen und isst mir Apfelschnitten aus dem Mund. Ich bin krank vor Liebe, und seine Frucht schmeckt süßer als Honig an meinem Gaumen.
Doch, ihr Frauen, schreckt die Liebe nicht, erweckt sie nicht, ehe sie es von euch verlangt!“

Ein Jahr darauf, der Sommer hatte sich angekündigt, rief ich ins Tal hinunter: „Hört ihr denn nicht, ihr Frauen in der Stadt, mein Geliebter kommt. Er springt über die Ahornberge, hüpft über Heckensträucher und Steine; eine Gazelle ist er, mein Liebster, stark und geschmeidig ist sein Leib und leicht wie die Schatten fliegt er den Berg herauf. Jetzt steht er draußen vor der Wand unseres Hauses aus Heckenreihen über Steinhalden mit einem Dach aus blühendem Geäst von Apfelbäumen. Er späht durch die Lücken zwischen den Zweigen, und er ruft nach mir. Mach die Türe auf, meine Geliebte, öffne deine Lippen, meine Taube, damit ich mich an deiner Quelle laben kann. Mein Kopf ist voll Tau, aus meinem Haar tropft die Feuchte der begehrlichen Nacht.“
„Aber ich habe mein Kleid schon abgestreift, mein Liebster. Die Sonne hatte sich dem Abend zugeneigt.“
„Steh auf Lydia! Komm heraus! Komm und ziehe mit mir über die Berge und durch die Dörfer, durch Gassen und Straßen, über die Plätze der Stadt und über Brücken, vorbei an Brun-nen, aus denen sprudelndes Wasser fließt, durch das Tal der Tauber, wo die Wiesen und Fel-der sich mit Narzissen und Hyazinthen schmücken, um uns zu empfangen; der Winter ist vor-über, Schnee und Eis von den Hügeln getaut, und der Frühjahresregen im Meer verrauscht.“
„O ja, ich komme, mein Geliebter; ich schlief bereits, doch mein Herz war wach, als du nach mir riefst. Es hörte deine Stimme. Wenn sich die Schatten strecken, komme ich zu dir, mein Liebster. Dann will ich mit dir gehen.“
Mein Liebster ist vor Tausend anderen ausgezeichnet, sein Antlitz ist schön, sein Haar ist geschmeidig und wehend; es ist rabenschwarz und glänzt silbern im Mondlicht; seine Augen glühen in Leidenschaft und verbrennen mich: sie sind wie die Augen eines auf Beute stürzen-den Adlers; die Zähne meines Geliebten sind fest wie aus weißem Marmor gehauen, sein Leib und seine Schenkel sind aus toskanischem Alabaster auf goldenem Sockel, und seine Gestalt ist eine erlesene Kostbarkeit, ein bewaldetes Land, in dem Milch und Honig fließen; und sein Mund verheißt Wonne.
Ja, mein Liebster, ich komme mit dir. Du bist verlockend, mein Geliebter. Willst du mich verführen? Das Gras ist frisch und grün unter den Apfelbäumen. Meine letzte Angst ist gewi-chen und meine Begierde taufrisch, gleich Windflügelblättern sind meine Blütenarme.“
„O meine Lydia, trunken von Leidenschaft ist mein Verlangen nach dir. Du bist schön, dein Haar gleicht einem wirbelnde Gebirgsbach, der ins Tal stürzt. Deine Augen sind zwei Berg-seen aus Lapislazuli, in denen sich das Blau des Himmels spiegelt, zwei blaugeflügelte Tauben sind deine Augen; deine Zähne sind strahlend weiße Perlen, jede Perle hat ein Gegenstück, keine fehlt in den Reihen; auf deinen Lippen glänzt Honig und Milch benetzt deine Zunge. Reizend ist dein Mund und wie köstlicher Wein, anmutig sein Lächeln; dein Hals gleicht einem schwankenden Turm aus Elfenbein, voll Wonne sind deine Brüste, warmweiße Zwillingshügel aus Haut, aus Samt und Milch. Wie reizend ist deine Gestalt, Lydia; dein Kleid ist wie der Duft des Flieders im Mai. Alles ist schön an dir, meine Liebste; du hast mich verzaubert, ja, verzaubert hast du mich mit dem Blick deiner Augen, mit der Perlenkette, die deinen Mund ziert, dessen Lippen voll süßem Verlangen sind. Wie schön ist deine Liebe, wie viel würziger schmeckt sie als Wein. Du bist ein verschlossener Garten, in dem Apfel- und Kirschbäume blühen, mit köstlichen Früchten und Gesängen, ein Garten, in dem Jasmin, La-vendel und Rosen blühen, ein Lustgarten mit erfrischender Quelle; du selbst bist die Quelle, Lydia, eine Quelle lebendigen Wassers.
Schau her, meine Liebste, hier bin ich, ich lege meinen linken Arm unter deinen Kopf und meinen rechten auf deinen erhitzen Leib voll Begierde und Verlangen; berausche dich an meiner Liebe; ich will dir Leben schenken. Deine Früchte schmecken wie Trauben aus meines Vaters Weinbergen. Lebendiges Wasser will ich trinken aus der Quelle deines Gartens. Po-chend in mir ruft mein Verlangen nach dir.
Ihr Frauen und Männer, erschreckt die Liebe nicht, weckt sie nicht auf, ehe sie es von euch verlangt..“

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Kommentare (2)

Karl Ich würde gern wissen, was nasti zu deinen Bildern meint. Wir können ja inzwischen fast eine Vernissage machen
pelagia und dem ist nichts hinzuzufügen.

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