Ich konnte nicht schlafen und setzte mich an den PC, da stieß ich auf diesen alten Bericht...


Lang, lang ist's her - im Sommer 1970 wollte ich mit Georg, meinem Seilpartner, die
'alte Südwand' des Hechenberg bei Innsbruck versuchen. Wir stiegen in leichter Kletterei
den kahlen, teilbewaldeten Kegel hinauf zum Einstieg der eigentlichen Wand, dort
seilten wir uns an, und ich begann zu klettern. Nach 30 m kam ich an einen großen Block,
ca. 3 m hoch und fast 1 m Durchmesser, der bei jeder Berührung zu wackeln anfing.
Den zu umgehen war unmöglich, und daran festhalten wollte ich mich auch nicht -
ich kehrte also um und meinte, ein ordentlicher Regenguss würde das Ding schon
abstürzen lassen...

Einige Wochen und einige Regentage später versuchten wir's nochmals - der Block war
immer noch da - offenbar war er doch besser verankert als ich gedacht hatte. Mit größter
Vorsicht und einem mulmigen Gefühl im Bauch tastete ich mich daran entlang und war
heilfroh, als ich ihn hinter mir hatte... In schöner Kletterei ging's zu den Grasbändern,



die zur großen Verschneidung im linken Wandbereich leiten - aber wir hatten die Zeit
unterschätzt, waren wohl auch zu spät eingestiegen - es wurde einfach zu spät, und wir
mussten nochmals umkehren. Gerade als die Sonne unterging, kamen wir am Wandfuß
an und stiegen mit unseren Stirnlampen den Kegel hinunter - natürlich auch mühsam
und zeitraubend. Als wir den Waldweg erreichten, hörten wir weit unten einen Hund
bellen - sehr ausdauernd, das Gebell wollte nicht aufhören. Erst als wir ein Stück weiter
'runterkamen, bemerkten wir, dass es kein Hund war, sondern ein Lautsprecher:
"Hier ist die Polizei - brauchen Sie Hilfe?!" - von einem Gasthof in der Nähe waren sie
verständigt worden, dass jemand in der Wand das Alpine Notsignal gegeben hätte -
sie hatten wohl die Stirnlampen für Blinksignale gehalten. Nachdem wir die besorgten
Beamten beruhigt hatten, fuhren sie wieder ab - leider nahmen sie uns nicht mit ins Tal,
und wir mussten unsere müden Knochen selbst 'runterschleppen.



Es vergingen einige Monate, und die 'Hechenberg-Süd' ging uns nicht aus dem Kopf.
Im Januar 1971 gab es eine ungewöhnliche Schönwetterperiode - untertags strahlende
Sonne und nachts nicht allzu kalt. Dass in der Wand nicht so viel Schnee lag, konnten
wir ja deutlich sehen, und so beschlossen wir unser Glück im Winter nochmals zu
versuchen. Wir standen früh auf - den Weg kannten wir ja inzwischen auch im Dunkeln
- waren schnell wieder am Einstieg, dann ging's über den wackligen Block, hinauf zu
den Grasbändern, in die Verschneidung - schöne Kletterei mit tollen Tiefblicken nach
Innsbruck - eine Stelle ist mir noch deutlich in Erinnerung: eine 'arschglatte' Wandstelle
ohne jeden Griff und Tritt - mir war nicht klar wie's hier weitergehen sollte, da sah ich
oben einen großen Latschenbusch, von dem zwei Wurzelstränge frei über die Wand
herunterhingen. Kurz auf Belastbarkeit geprüft - dann hielt ich mich mit den Händen
daran fest, stemmte die Füße gegen den Fels, und in zwei Minuten war die 'unmögliche'
Wand geschafft. Am Ende der Verschneidung gab's noch die eine oder andere schwierige
Stelle, aber wir waren schon so in Fahrt, dass wir die kaum noch wahrnahmen.
Am Gipfel machten wir ausgiebig Rast, wir mussten ja nur mehr den gut markierten
Normalweg hinuntergehen - dachten wir...

Woran wir nicht gedacht hatten - die strahlende Sonne hatte nur den Schnee auf der
Südseite weggeschmolzen - auf dem nordseitigen Normalweg lag er meterhoch, vom
Weg war absolut nichts zu erkennen, selbst die Markierungen an den Bäumen waren
häufig verschwunden. Natürlich hatten wir den Weg schnell verloren, wir wühlten uns
nur mehr nach Norden durch die Schneemassen hinunter, und es wurde immer steiler
und finsterer... Ich hatte schon die Idee, lieber im Schnee zu biwakieren und auf das
Tageslicht zu warten, aber Georg widersprach heftig - seine Mutter hatte am nächsten
Tag Geburtstag, und wenn er da erst zu Mittag nach einer Biwaknacht auftauchte,
gäb's Zoff in der Familie. Wir wühlten uns also weiter, bis wir im Dunkel an einem
Baum haltmachen mussten, der am oberen Rand einer überhängenden Felswand stand
- wie hoch die war, konnten wir mit den Stirnlampen nicht erkennen, nur dass unten
Schotter lag. Da wir aber 100 m Seil dabei hatten, war das Risiko nicht allzu groß -
wir legten das Seil um den Baum, ich legte als letzte Sicherheit noch eine Prusik-
schlinge herum und fuhr in die Finsternis... Tatsächlich war die Wand nur 20 m hoch,
und ich stand mitten in der Kranebitter Klamm, Georg kam schnell nach, wir zogen
das Seil ab und wanderten die Klamm hinunter. Einen kurzen Aufreger gab's noch, als
wir vor uns eine riesige Schneemauer sahen - da musste eine Lawine in die Klamm
gestürzt sein und hatte die gesperrt - aber der Bach war wohl noch aktiv gewesen und
der hatte einen Tunnel unten durchgeschmolzen, ein wunderschönes Eisgewölbe, ca.
10 m breit und 5 m hoch, das im Licht der Stirnlampen wie ein Märchenpalast glitzerte.
Wir hatten es aber eilig zum Kerschbuchhof zu kommen, wo wir uns endlich im der
warmen Gaststube niedersetzen und ein Bier trinken konnten - die Leute dort, die ja
Monate vorher wegen uns die Polizei verständigt hatten, schüttelten über unser
Abenteuer nur den Kopf...

Die Nachgeschichte habe ich Wochen später von einem Freund erfahren - am nächsten
Tag wollte er eigentlich die Wand gehen, und er traf am Einstieg mit noch zwei anderen
Seilschaften zusammen, die alle die erste Winterbegehung machen wollten. Er begann
als Erster zu klettern, und sein Bericht klingt mir noch heute im Ohr - "Då bin i auen
gstiegn, und nåch oaner Seilläng' wår då a schianer Blockch, und auf den hun i Stånd
g'måcht und in Zwoaten nåchkemmen låss'n. Wiar i då so sicher' - håschpele, af oamål
wår der Blockch weckch, und i bin in da Sicherung g'hängg'!" Der Block donnerte
hinunter, und wie durch ein Wunder gab's dabei keine Toten und Verletzten - nur die
Seile waren so zerschlagen, dass das Unternehmen abgebrochen werden musste.

() qilin

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Kommentare (4)

rehse kann es gut verstehen, aber noch achlimmer wäre es doch, wenn der Vater am Berg geblieben wäre. Ich habe als Nordländer heiligen Respekt vor dem Bergsteigen und gehe lieber im Tal ZUM Wandern.
finchen Du hast schon recht damit, daß es ein besonderer Bazillus sein muß. Doch alles muß man ja nicht haben oder haben wollen. Damit müssen schon beide Partner infiziert sein.
Deinen Artikel über Erich Streng habe ich interessiert gelesen, doch eine Bewunderung kann ich dabei nicht empfinden. Ich bleibe lieber hier unten im Tal und wenn ich will, kann ich mir die Zugspitze bei schönen Wetter jeden Tag von fern anschauen.
Jedenfalls wünsche ich Dir viel Glück bei den lebensgefährlichen Klettertouren.
mit lieben Grüßen aus der Garmischer Ecke
das Moni-Finchen
qilin so sieht es bei der Familie gottlob nicht immer aus - es ist sicher ein Problem für den Partner, wenn er/sie die Begeisterung nicht nachvollziehen kann - dann gibt es zwei Möglichkeiten (außer eben nicht zu heiraten) - entweder die Deine (bei einem Klubkollegen ging die Ehe auch aus diesem Grund auseinander - er heiratete später eine Seilgefährtin) oder der/die Eine gibt nach, wie z.B. Erich Streng. Ich selbst habe ein paarmal großes Glück gehabt - und nach der Heirat keine schwierigen Klettereien mehr gemacht. Aggressionen sind mir so erspart geblieben - die Kinder haben den Bazillus allerdings geerbt...

() qilin
finchen zu Deiner Geschichte muß ich etwas sagen....ich hatte mal einen Ehemann, der auch kletterwütig war. Wie gesagt, hatte...Doch damit und der Angst zu leben, als Ehefrau und zwei kleinen Kindern - nee - das hält man nicht aus.
Und jedesmal lag der Zettel auf dem Tisch, wohin er gegangen war.
Und jedesmal die Bergwacht alarmiert, wenn er überfällig war. Und auch an diesm Tag, als die Lawine runterging.........
Doch man buddelte ihn noch aus!
Auch nach dieser Erfahrung wurde er nicht schlauer und vergrößerte seinen Kletterbereich und ich packte ihm seine Koffer und zog ihn aus.
Der Mensch hat mich krank gemacht.................
Die schönen Gemeinsamkeiten waren dahin.
Meine Söhne zog ich alleine auf und "Vater" war für uns gestorben!
So sieht es dann bei der Familie aus.

mit kletterfreien Grüßen
das Moni-Finchen

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