Der Chef

Charlie und ich sind unterwegs auf unserer Morgenrunde durch den Eichet-Wald. Mein Rauhaardackel ist eine Persönlichkeit. Laut Stammbaum heißt er „Hasso von Hummelbrunn”, aber das sage ich ihm nicht, er glaubt ohnehin, dass er der Größte ist und bestimmen kann, was Sache ist. Es verspricht ein Prachttag zu werden. Milde Luft und das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, macht uns froh. Seitdem ich Charlie gesagt habe, dass wir lieben Besuch erwarten, zerrt er an der Leine, er will nach Hause.

Ich habe Angelika zu mir ins Schlössl auf einen Kaffee eingeladen. Sie kam gerne und ist sichtlich glücklich, ihren alten Chef wiederzusehen. Ich sei ruhiger geworden, meint sie. Angelika glaubt das beurteilen zu können, immerhin war sie jahrelang meine Sekretärin gewesen. Spontan wie eh und je fragt sie, ob es einen besonderen Grund für die Einladung gäbe. Ich stottere verlegen an einer Erklärung herum. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass nach meinem Ausscheiden aus der Firma, Ihr Platz in der Geschäftsleitung gestrichen wurde. Meine Nachfolger boten Ihnen nur halbherzig einen Job im Lohnbüro an. Sie haben abgelehnt, ihren Resturlaub konsumiert und sind gegangen. Das bedrückt mich, so einen Abgang haben Sie nicht verdient. Wie gehen Sie damit um?“ Angelika Moser schaut mich zweifelnd an: „Das interessiert Sie? Mir geht es ausgezeichnet”, sagt sie und fügt gedämpft hinzu: „Wenigstens finanziell. In ein paar Jahren wäre ich ohnehin in Pension gegangen.“ Sie sprüht vor Optimismus, spricht von Freiheit und Freizeit. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Heiterkeit nicht nur gespielt ist.

„Die Zeit könnte lang werden“, sage ich. Mir scheint, als ob Angelika jetzt doch nachdenklich wird. Fast ein wenig trotzig kommt das: „Ach, ich find schon was.“
Ich versuche meine Idee vorsichtig anzusprechen. Plötzlich war ich wieder ihr alter Chef: „Der Mensch braucht einen Ort, an dem er gebraucht wird, wo er etwas bewegen kann.“
„An was denken Sie, Chef?“ Sie lächelte. Ha, da war es wieder! Dieses überlegene Lächeln, das immer dann kam, wenn sie mich mit ihrem Scharfsinn durchschaut hatte. Das ist die Angelika Moser, deren bedingungslose Loyalität ich lange Zeit genießen durfte. Ich räuspere mich, fange an, um den Brei herumzureden: „Ich weiß nicht, ob an der Idee etwas dran ist, möglich, dass es Blödsinn ist. Andererseits kann es nicht schaden, etwas Sinnvolles zu tun, oder? Ich glaube, Sie könnten mir helfen. Einen Versuch wäre es wert, finde ich.“
„Das hört sich wie ein Angebot an. Wie heißt es genau?“
„Ach was, Angelika, Sie immer mit Ihrer Genauigkeit. Nennen Sie es doch wie Sie wollen, von mir aus werden Sie meine Gouvernante. Lachen Sie nicht, ich meine es ernst. Und ja, das ist ein Angebot. Wollen Sie?“ 
Sie lacht Tränen und gluckst: „Hausdrachen! Sie werden einen Hausdrachen bekommen!“
„Ich werde mich zu wehren wissen. Sie sind eingestellt! Wann fangen Sie an?“
„Typisch Chef.”
„Der Chef ist in Pension, nennen Sie mich Ferdinand.“
„Okay Chef!“


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Kommentare (4)

Muscari


Ach nee, der Chef suchte eine Gouvernante?
Was immer er sich dabei gedacht haben mag ...
Aber eine korrekte "Gouvernante" ist durchaus wertvoll, fühlt sich gebraucht und kann etwas bewegen, wie Du schreibst.
Hinzu kommt, dass Chef und Sekretärin sich seit langem kennen. Bleibt zu hoffen, dass Charlie nicht eifersüchtig wurde.
Es wäre interessant zu lesen, wie es denn weiter ging.
Mit schmunzelndem Gruß von
Andrea

 

Eisenwein

@Muscari  
Es kam leider nicht dazu, die gute Angelika ist leider verstorben und mein treuer Freund Charlie auch. Das Schlössl hab ich wieder verkauft, die Arbeit war mir dann doch zu viel. Und zum Schreiben genügt mir meine Dichterklause. 😏
LG Ferdinand

Eisenwein

Na ja, es kommt eben drauf an, was sie lesen, die jungen Leute.
Sind jetzt meine Geschichten als historisch zu bezeichnen?
Das wäre dann die Gretchenfrage … Als wir Senioren zur Schule gingen, mussten wir den Faust lesen, und das war damals genauso öde, wie meine Gouvernante 😏😏😏

ehemaliges Mitglied

@Eisenwein
Danke Chef , so schön geschrieben, Gouvernante .....wer kennt den Ausdruck denn noch......unsere Jugend sicherlich nicht. Hausdrachen waren früher die Leiterinnen von Kinderheimen, so in meiner Erinnerung.
Von Erziehung hatten die jedenfalls keine Ahnung.

Jetzt schwelgt sie in Erinnerungen, die Mauli 😏


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