Der Fisch auf dem Fahrrad


Der Fisch auf dem Fahrrad (Kurzgeschichte)

Es war einmal ein kleiner Fisch, der fuhr für sein Leben gerne auf einem Fahrrad durch das Aquarium. Oft wurde er deswegen gehänselt: "Fische fahren doch kein Fahrrad!" Doch der kleine Fisch liebte das Fahrrad fahren und war immer sehr traurig, wenn die anderen ihn deswegen auslachten und hänselten. Und eines Tages hatte er die Nase voll von den anderen, fuhr mit seinem Fahrrad die Aquariumswand hinauf und hinaus in die Welt.
"Es muss doch irgendwo einen Ort geben, an dem ich Radfahren kann, ohne ausgelacht zu werden!", dachte der kleine Fisch.

Nach einer Weile kam er an einer Wiese vorbeigeradelt, auf der eine Schafherde stand. Und der kleine Fisch dachte: "Mensch, so eine schöne, grüne Wiese! Hier macht das Radfahren bestimmt gleich noch mal so viel Spaß!" Und er gab Gas. Doch die Schafe sahen ihn nur kopfschüttelnd an und riefen: "Ein Fisch auf einem Fahrrad? So was gibt's doch nicht! Fische gehören doch ins Wasser!" Enttäuscht bremste der kleine Fisch neben einem älteren Schaf und fragte: "Gab es nie ein Schaf, das mal etwas anderes wollte als immer nur hier auf der Weide herumzustehen?" "Doch", seufzte das alte Schaf, "leider gibt es auch in unserer Gruppe schwarze Schafe mit verrückten Ideen. Dort hinten, das schneeweiße Schaf, das wollte immer Stabhochspringer werden. Stabhochspringer!" Kopfschüttelnd ließ das alte Schaf den Fisch und sein Fahrrad stehen. "Hm - mit dem Schaf muss ich sprechen!", dachte sich der Fisch, schwang sich auf sein Rad und radelte los. Bei dem schneeweißen Schaf angekommen fragte der Fisch: "Warum hast du deinen Traum vom Stabhochspringen aufgegeben?" Und das Schaf antwortete:"Weil alle mir sagten, dass Schafe keine Stabhochspringer sind und es auch niemals werden können. Immer hatte ich nur Ärger deswegen. Da habe ich es halt sein gelassen." Verwundert fragte der kleine Fisch: "Und - bist du nun glücklich?" Da musste das schneeweiße Schaf lange überlegen. Und der Fisch rief: "Wer bei einer so einfachen Frage so lange überlegen muss, der kann nicht glücklich sein! Ich radele weiter!"

Nachdem er diesen Entschluss getroffen und eine ganze Weile so geradelt war, kam er an einer Baustelle vorbei, wo ein Hund unter einem Bauwagen lag und döste. Der Fisch radelte auf den Hund zu und rief: "Du da, das sieht gemütlich aus bei dir, wie du so faul in der Sonne liegst." Empört rief der Hund: "Ich bin nicht faul! Ich bewache die Baustelle! Das ist meine Arbeit." "Und - bist du glücklich?" "Ich verdiene damit mein Futter!" Doch der kleine Fisch wollte es ganz genau wissen und fragte noch einmal: "Bist du denn glücklich mit der Arbeit, mit der du dein Futter verdienst?" Da kam der Hund ins Grübeln. Ihm fiel keine rechte Antwort ein. Und da rief der kleine Fisch erneut: "Wer bei einer so leichten Frage so lange überlegen muss, der kann nicht glücklich sein. Ich will nicht nur für das Arbeiten leben - ich bin glücklich, wenn ich Fahrrad fahren kann. Egal, was die anderen sagen: Ich radele weiter!"
Gesagt, getan.

Nachdem der Fisch wieder eine ganze Weile geradelt war, kam er wieder an eine Wiese. Auf der Wiese stand eine Kuh, die den kleinen Fisch und sein Fahrrad ungläubig anstarrte. "Ein Fisch auf einem Fahrrad! Das gibt's doch nicht! Fische gehören doch ins Wasser!" Ein wenig wütend antwortete der kleine Fisch: "Dort gefällt es mir aber nicht mehr! Alle sagen, ich bin anders. Und ich soll arbeiten gehen. Aber ich fahre doch viel lieber Fahrrad!" "Du Armer!", sagte die Kuh. Da wurde der Fisch neugierig und fragte: "Und du? Du stehst den ganzen Tag auf der Wiese, brauchst nicht arbeiten und bekommst abends dein Futter. Bist du glücklich?" Da seufzte die Kuh tief und sprach: "Ach, mein lieber Freund, was ist schon Glück? Ich lebe tagein - tagaus in demselben Trott. Morgens aufstehen und gemolken werden, dann den ganzen Tag auf dieser Wiese stehen und abends wieder in den Stall gehen und gemolken werden. Alles ist so langweilig und monoton. Es gibt eben kein Glück!"
Da wurde der kleine Fisch sehr still und dachte lange nach. Dann sagte er entschlossen: "Nein, das kann es auch nicht sein! Alle sagen, dass ich anders sein und arbeiten gehen soll. Und du sagst, dass alles langweilig ist. Aber ich bleibe dabei: Ich fahre Fahrrad und bin glücklich!"
Und dann trat er mit einem kräftigen Flossenschlag in die Pedale und fuhr weiter. Einfach, weil er sich damit glücklich fühlte.
Doch leider wurde der glückliche Fisch auf seinem Fahrrad nie wieder gesehen...

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Kommentare (8)

joan dass Du wieder da bist und ich liebe diese Geschichte.
Medea sind arm dran. Hier im ST gibt es aber sehr fantasievolle Leute, guck Dir mal den thread "Senoria" an, ein schönes Beispiel dafür , doch auch gleichzeitig für die nüchterne Spezies der fantasielosen, die sich versagen Utopien zu träumen.

Das fahrradfahrende Fischlein ist mir sehr sympathisch.

Medea
vonderberg Um fünf Uhr in der Früh habe ich das Fischlein auf seinem Weg in die weite Welt verfolgt-.Wie die phantasielosen Geschöpfe nicht leben können. Ohne Phantasie geht es nun mal nicht.Ich fühle mich wieder einmal bestätigt.Ich glaube,die Woche wird schön für mich!
Danke!
immergruen Wenn man sie nicht träumt und dann auch umsetzt, wird man ihnen immer nachweinen und das Gefühl haben, sein Leben nicht gelebt zu haben. Das wäre schade, denn wir haben nur eines.
Eine Geschichte mit Tiefgang und Parallelen, die mir sehr gut gefällt.
ehemaliges Mitglied Was für eine wunderbare kleine Kostbarkeit in einer Umgebung von schwülstigem Kitsch über rollige Witwen oder muskelbepackte, notgeile Tennisspieler, die sich auf selbige stürzen.
Herrlich, Deine Geschichte, die mir großen Spaß gemacht hat und es verdiente, von vielen kleinen und großen Kindern gelesen zu werden.

Gruß Marina
hafel Nun weiss ich welcher Fisch gemeint ist ))))))
Hafel
dutchweepee ich hab den fisch gesehen hafel ...in diesem werbespot für GUINESS.

liebe grüsse - der dutch
hafel Viele fahren auf ihrer Arbeitsstelle Rad um glücklicher zu werden...........

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