Der kleine Paul
- Ein Märchen -

Im Land der Wünsche, weit hinter den blauen Bergen, kam an einem warmen Maimorgen der kleine Paul, ein Wunsch, zur Welt. Er war ein zartes, aber willensstarkes Kerlchen. Wenn er etwas wollte, oder auch nicht, verlieh er dem heftigen Nachdruck.
Bereits im Kindergarten für kleine Wünsche brachte er alle auf die Palme. Seine Schuhe zog er nur unter Protest aus und seine Pantoffeln nicht an. Lieber lief er auf seinen Socken herum, obwohl er damit auf dem glatten Boden oft ausrutschte und hinfiel. Den schönen Anorak, den er erst kürzlich bekam, hing er einfach nicht an den Haken im Flur. Er warf ihn über den Stuhl, wie Papa das ja auch machte.
Jedoch war er sehr aufmerksam und äußerst wissbegierig.
Unbedingt wissen wollte er von den Erwachsenen, wie die Menschen aussehen, deren Wünsche immer hier ankamen.
„Die lernst du noch früh genug kennen“, sagten seine Eltern. Jetzt bist du noch viel zu klein“.
Wie er diesen Satz doch hasste. Alles glaubten die Älteren besser zu wissen. Das ist so gemein.
Wütend ging er nach dem Kindergarten nach Hause.
Da das Mittagessen, wie so oft, nicht fertig war, schickte ihn seine Mutter zum Spielen in den Garten.
„Immer das Gleiche“, maulte er, „ vom Kindergarten zum Spielen in den Garten. Das ist ja so was von langweilig!“
So trottete er, noch immer sauer, durch die Blumenbeete seiner Mutter, als er ein lautes Weinen hörte. Er blieb stehen und lauschte. Wer weinte denn da in unserem Garten?
Langsam ging er nachsehen. Denn weinen war doch sein letztes Druckmittel, wenn alles andere versagte.
Heimlich verließ er, wie schon oft zuvor, durch eine lose Zaunlatte,
den Garten und ging zum Fluss hinunter
der das Land der Wünsche vom Land der Menschen trennte. Er setzte sich am Ufer ins Gras und lauschte. Da sah er am gegenüberliegenden Ufer jemanden sitzen. Neben sich hatte dieser einen Rucksack, über den gebeugt er jämmerlich weinte. „Hallo, du, weshalb weinst du denn,“ rief Paul zur andern Seite rüber. Bekam aber keine Antwort.
Die kleine Person richtete sich jedoch auf und Paul sah zu seiner großen Verwunderung, dass sie aussah wie er.
„Warum weinst du?“ fragte Paul.
Der kleine Junge antwortete noch immer nicht. Aber er weinte auch nicht mehr.
„ He, wer bist du denn? Ich bin Paul.“ Da stand der Junge auf, sah zu ihm herüber und wunderte sich, dass da niemand war.
Er konnte Paul ja nicht sehen, denn Wünsche sieht man nicht.
Wo bist du Paul, ich kann dich nicht sehen. Wenn du mir sagst wer du bist, dann sage ich dir weshalb du mich nicht sehen kannst.“
Der Junge überlegte kurz, doch dann sagte er: „ich bin David. Und weshalb kann ich dich nicht sehen?“
„Tja David, das ist ganz einfach. Ich bin kein Mensch sondern ein Wunsch.“ „Ein was? Ein Wunsch? Willst du mich auf den Arm nehmen?“ „ Nein, will ich nicht.“ Im selben Moment rief Pauls Mutter zum Essen. „Wenn du morgen wieder kommst, dann erzähle ich dir warum das so ist,“ sagte Paul. „Mal sehen,“ antwortete David.
Doch am nächsten Tag kam David nicht und am Tag darauf auch nicht.
Dürfen sich Wünsche eigentlich auch etwas wünschen? wollte Paul von seiner Mutter wissen.
„Aber nein, wie kommst du denn auf diese Idee, mein Junge.“ Paul antwortete nicht und ging auf sein Zimmer. Er legte sich auf den Boden und spielte mit seinem kleinen Hund Basti.
Als dieser die Ohren spitzte und unruhig hin und her lief, stutzte Paul. Er ging zum Fenster und sah auf der anderen Seite des Flusses David stehen.
Mit seinem Hund im Schlepptau sauste Paul aus dem Haus und zum Fluss hinunter.
„Da biste ja endlich“ „maulte er David an.“ „Ich warte schon zwei Tage auf dich.“ David antwortete nicht, stellte sich aber so, dass Paul ihn von der Seite gut sehen konnte und zeigte auf seine Wange.
Diese war so dick angeschwollen, dass er kaum aus dem rechten Auge sehen konnte. „ Auweia, hast du Zahnweh?“ „Nicht mehr, er ist raus“ antwortete David. „Haste deshalb so geweint?“ fragte Paul. „Nein.“

„Jetzt will ich aber von dir wissen, warum ich dich nicht sehen kann sondern nur einen Hund,“ sagte David.
„Du kannst mich nicht sehen, weil ich keinen Körper habe.“
Wünsche kann man eben nicht sehen. Nur hoffen, dass sie in Erfüllung gehen.
Nachdenklich strich sich David über die geschwollene Wange. „Können wir trotzdem Freunde werden?“ fragte er Paul. „Denn ich möchte so gerne dein Freund sein.“ „Sicher sagte Paul. „Wenn es dein Wunsch ist.“
Nun erzählte David, dass er geweint habe weil er immer so alleine sei, keinen Freund hätte und wegen seiner roten Haare von den andern Kindern immer geärgert würde.
„ Nun brauchst du nicht mehr weinen, hast ja jetzt mich. Wenn du meinen Hund siehst weißt du, dass ich da bin. Dann können wir miteinander reden.“
So trafen sie sich noch oft und redeten über ihre großen und
kleinen Sorgen. Und wenn sie nicht gestorben sind so treffen
sie sich noch immer.

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Kommentare (7)

agleh danke, liebe Uschi, für deinen Kommentar.
Ich wünsche Dir eine schöne Zeit.

Lieben Gruß
Helga
uschipohl Hallo,

deine schöne Geschichte
gefällt mir sehr

es kommt oft vor, dass wenn Kinder einsam sind, sie sich eine unsichtbare Person erfinden
herzliche Grüße
uschi
agleh danke, für Deine Zeilen. Nein, liebe Christel, "der kleine Paul" war mein erster Versuch ein Märchen zu schreiben.

Lieben Gruß
agleh
christl1953 mit so viel Fantasie erzählt und mit Freude gelesen.
Eine Tröstergeschichte für Kinder,eine die beruhigt.
Hast du noch mehr auf Lager? Danke
Roxanna dein erster Versuch ist dir sehr gut gelungen . Ich würde mich freuen, wenn es wieder mal ein Märchen von dir zu lesen gäbe. Märchen sind gut für die Seele.

Lieben Gruß
Roxanna
agleh liebe Roxanna, für Deine Zeilen. Es freut mich sehr, dass es Dir gefällt. Es war mein erster Versuch ein Märchen zu schreiben.

Lieben Gruß
agleh
Roxanna anrührendes Märchen hast du uns aufgeschrieben, liebe agleh. Ich habe es mit einem Lächeln auf dem Gesicht gerne gelesen. Wie gut, dass es das Wünschen und damit auch Hoffnung gibt, auch wenn sie sich nicht immer erfüllen.

Danke für dieses schöne Märchen.

Herzlichen Gruß
Roxanna

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