Der Lesewettbewerb oder mein Deutschlehrer


Der Lesewettbewerb oder mein Deutschlehrer


Während der ersten vier Jahre auf der „Volksschule“, wie sie damals noch genannt wurde, hatte ich grundsätzlich im Fach „Deutsch“ nur sehr gute Noten.
Auch im ersten Jahr auf der Realschule änderte es sich nicht. Es machte mir Spaß, ganz im Gegensatz zu Mathematik, Chemie und Physik.
Dann aber bekamen wir einen anderen Lehrer, Hans-Herrmann H. Er war falsch, er war bösartig, besonders gern quälte er die Mädchen, bei denen er ganz sicher sein konnte, dass die Eltern sich nicht beschwerten.

Mein Notendurchschnitt in Deutsch war nur noch befriedigend, obwohl ich mich nicht verschlechtert hatte. In „Geschichte“ hatte ich einen totalen Blackout, wenn er mich aufrief, obwohl ich gelernt hatte und alles wusste. Und nicht nur ich. Andere Mädchen fingen an zu stottern, sie zitterten und weinten. Ich stand einfach nur da, sah ihn an, brachte kein Wort über die Lippen. Wir mussten uns anhören, wie dumm wir waren.

Den „Lesewettbewerb“ gibt es wohl heute noch. Zunächst wurde in unserer Klasse mehrmals vorgelesen, die anderen Klassenkameraden durften bewerten. Und ich bekam grundsätzlich immer die beste Note.
Irgendwann entschied Hans-Herrmann H., dass ich viel zu schlecht sei, um noch weiter am Wettbewerb teilzunehmen, es durfte nicht abgestimmt werden, ich war einfach raus! Betretenes Schweigen in der Klasse, fragende Gesichter. Aber zu dem Zeitpunkt wagte noch niemand etwas einzuwenden.
So oft er mich auch schlecht behandelte, Tränen hat er bei mir nie gesehen.

Es kam der Tag, an dem die ausgewählten Schüler zum Direktor sollten, der dann eine Entscheidung treffen würde. Hans-Herrmann H. war an diesem Tag nicht anwesend. Niemand konnte mich davon abhalten, dem Direx meine Geschichte aus „Sternkinder“ vorzulesen. Ich rannte wohl noch viel schneller als meine Mitschüler die Treppen hinunter.

Ausgesucht wurden... ein gewisser Georg aus einer Parallelklasse und ich!
Hans-Herrmann H. nahm diese Entscheidung am nächsten Tag mit einem falschen Lächeln entgegen. Ich war glücklich, ich hatte ihm eins ausgewischt.

Und dann kam der große Tag. Unten im Rathaus war damals eine Bücherei. 8 Kinder von verschiedenen Schulen lasen vor.

Am nächsten Tag erschien ein Artikel mit Bild in der Zeitung: Anita kann am besten vorlesen.

Natürlich war ich stolz und glücklich mit meinen 12 Jahren. Aber es tat so unendlich gut zu sehen, wie mich HHH anlächelte, mich beglückwünschte. Aber ich wusste, dass er es mir nicht gönnte, dass es ihm absolut nicht passte. Und dann platze auch noch der Direx mitten in die Deutschstunde, das hätte ich gut gemacht, er freue sich sehr, Gratulation. Für mich war es ein Sieg, ein Sieg über HHH!

Im Jahre 1969 beendete ich die Schule, noch oft hielt ich bis zu diesem Tag die Tränen zurück, weil HHH mal wieder Spaß daran hatte, mich zu quälen.

Sehr viel später habe ich erfahren, dass er einige Jahre nach meinem Abschluss versetzt worden war. Eltern eines Mädchens hatten sich beschwert, es kam zu diesen Konsequenzen.
Aber wie hat er sich wohl an der neuen Schule verhalten...?

 


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Kommentare (6)

Rosi65

Liebe Anita,

immerhin hat doch zum Schluss die Gerechtigkeit gesiegt..., und das zählt doppelt!

Viele Grüße
   Rosi65

IndianSummer1952

@Rosi65  

Ja, liebe Rosi, und das war ein extrem gutes Gefühl. 😃

Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag, viele Grüße,
Anita

Muscari

Liebe Anita,

Das war ein starkes Stück, wie man so schön sagt.
Und eine Unverschämtheit noch dazu.
Es ist und bleibt unbegreiflich, wie sich vor allem in damaligen Zeiten Lehrpersonen guten Schülern gegenüber verhalten haben.

Zwar hatte ich Ähnliches erlebt, war aber eine schlechte Schülerin in Mathe. Und doch glaube ich, dass sich Lehrpersonen heute nicht mehr so ungerecht verhalten.
Umso glücklicher und schadenfroher konntest Du es diesem HHH dann zeigen. Sogar per Zeitungsartikel.
Eine wahre Genugtuung.
Mit liebem Gruß von
Andrea

IndianSummer1952

@Muscari  

Liebe Andrea, 

Mathe haben wir beide nie kapiert. Deine Geschichte dazu kenne ich ja.

Aber in Deutsch war ich immer sehr gut.
HHH war ein Sadist, er hatte Freude daran, Schüler zu quälen. Aber nur die, bei denen er sicher war, dass keine Beschwerden über ihn kommen würden.
Mehrmals hatte ich angeblich beim Aufsatz das Thema verfehlt, angeblich. Unten stand dick und fett eine 5, mangelhaft.

Dass ich den Wettbewerb gewonnen hatte, war natürlich nur dank seiner Hilfe und Unterstützung möglich, wie er danach überall erzählte. 😡
Neee, gut lesen konnte ich schon vorher, das musste der Kerl mir nicht beibringen.

Aber irgendwann kam dann eine Beschwerde, etliche Jahre nach meinem Abschluss. Aber ihm ist doch nichts passiert. Er wurde versetzt. Und machte weiter??? 

Im Internet findet man noch eine Veröffentlichung von ihm, die Geschichte der Balver Höhe, er war auch dort im Heimatverein, genau wie vorher hier im Ortsteil Heven, in dem ich aufgewachsen bin.

Viele negative Dinge aus meinem Leben sind abgehakt und vergessen.
HHH sitzt immer noch in meinem Kopf...

Solche Lehrer gibt es heute nicht mehr. Und das ist gut so!

Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende, liebe Grüße,
Anita

Wilfried

An solche sadistischen Lehrer kann ich mich auch noch erinnern. Sie verdarben uns Kindern sämtlichen Spaß am Lernen.

IndianSummer1952

@Wilfried  

Ja, Wilfried, und nicht nur das. Er hat uns so verunsichert, dass wir nicht antworten konnten, teilweise mit den Tränen kämpften und kein Wort mehr sagen konnten. Setzen, Sechs!
Heute ist alles anders. Und das ist gut so.


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