Der letzte Feldpostbrief


Wenn du im Geschichtsbuch blätterst und dich über die militärische Lage im Reich und im besonderen um Berlin im April 1945 informierst, wird dir einleuchten, warum dieser Brief vom 6.April 1945 man so eben seinen Weg in das noch von der Deutschen Wehrmacht besetzten Dänemark gefunden hat, und danach aus Berlin nichts mehr raus kam.

Spärlicher Zugverkehr, ständige Bombenangriffe auf Berlin. Aber auch Personalmangel und Verluste: wie läuft da noch Post?! Ab dem 16.April schloss sich nach und nach der Ring der Roten Armee um Berlin. In der Nacht zum 23.April flüsterte uns der Nachbar hinter uns zu, dass eben Russen durch die Schmöckwitzer Straße „geklappert“ wären und „Uhri Uhri“ verlangt hätten. Am nächsten Morgen marschierte Russische Infanterie gen Norden durch Eichwalde.
Hier der letzte Brief an unseren (verwundeten) Vater nach Dänemark.




6.4.45

Mein Lieb!
Eigentlich wollte ich Dir gestern wieder schreiben, aber der Tag war so kurz, so dass ich abends hundemüde war, außerdem war kein Licht.

Frühmorgens war ich schon draußen im Garten, nachdem ich erst einmal das Essen vorbereitet habe, denn das ist jetzt ein wichtiger Faktor. Es gehört allerhand dazu immer wieder den großen Topf voll zu bekommen, und immer ist rasch der Grund zu sehen. Nur sonntags gibt es noch Kartoffeln vom Gemüse extra, sonst nur Suppe. Noch darf jeder zwei Teller voll essen. Gestern gab es noch die Schnitze von den Saatkartoffeln. Heute konnte ich den Topf mit Futterkartoffeln, die ich gestern bei den Bauern schnurrte, füllen. Das hat wieder einmal ordentlich satt gemacht. Das Neueste, was wir jetzt ausprobiert haben, ist, dass wir mit Lebertran braten, und denke einmal, es schmeckt kaum danach. Nur beim Braten riecht es etwas nach Fisch, sonst verliert sich der Geschmack. Auf diesen Dreh hat mich Frau Bär[1] gebracht, und von Schumanns[2] bekomme ich die Rezepte. Gesund ist es auf jeden Fall. Heute gab es die neuen Karten, und die Zeitung hat die jeweils gültigen Nummern bekannt gegeben, das ist eine fürchterliche Rechnerei, aber man findet schon durch, der Kaufmann hat es schwerer.

Heute haben wir auch die übrig gebliebenen Saaterbsen verzehrt. In der Zeitung hat wohl gestanden, dass man Saaterbsen nicht essen könne, da sie gebeizt seien. Aber ich habe das Einweichwasser fortgeschüttet und sie haben wunderbar geschmeckt. Ich nehme an, dass das bloß Bluff ist.

Dann habe ich noch einige Futterkartoffeln geholt, weil ich nun doch noch ein brachliegendes Grundstück besetzen werde. Gestern war ich mit Dieter[3] dort. Es wird richtig Arbeit machen, aber der Topf soll doch immer voll werden. Und wer weiß, was noch Alles kommt. Mir soll keine Mühe zu viel sein, wenn ich später den Topf für die Kinder füllen kann. Die Kartoffeln, die ich hier im Garten gesetzt habe, sind ganz frühe Kartoffeln „Frühe Mölle!“, wie mir Herr Stümer[4] sagte. Morgen bekomme ich noch welche für das betr. Grundstück, das ist aber eine mittelfrühe Sorte.

Sonntag will ich versuchen nach Bernau zu fahren und sehen, was da los ist. Ich möchte doch zu gerne, dass das BHH[5] aufgestellt wird. Der Feind rückt immer näher mir wäre es lieb, wenn wir irgendetwas hätten, was uns gehört. Ob unser vielgespartes Geld noch Gültigkeit behält, man will es hoffen. Man will auch seinen Glauben und die Hoffnung nicht verlieren.
Aber ernst sieht es aus. Und ich bin etwas in Unruhe. Ich möchte doch etwas haben, was uns gehört, verstehst Du da? Ob es Zweck hat, ich weiß es nicht, wenn wir hier fort müssen, wohl nicht. Aber man soll im Leben nichts unversucht lassen und vor allen Dingen hoffen, so lange man kann.

Mittags hatten wir gestern wieder Alarm, als wir die Betten unten hatten, war wieder Entwarnung. Das hält immer ein Bisschen auf, aber es ist besser, als wenn sie hier herkommen.

Nachmittags war ich mit Dieter auf dem Grundstück und haben uns beschaut, was es für Arbeit gibt.

Abends sind wir zusammen nach Waltersdorf gefahren und haben versucht Kartoffeln zu bekommen. Das Ergebnis war kläglich, vielleicht zehn Pfund. Jedenfalls hat es mal für heute gereicht. Denn ich ziehe meine Reserve im Keller noch ein wenig in die Länge. März Mai, den April soll man nicht vergessen, sagen die Bauern. Hoffentlich gibt es bald wieder Gemüsezuteilung, denn so schnell wächst der Spinat nicht im Garten.

Schumann macht jetzt Liegekuren zu Hause. Eigentlich soll er fort, aber wohin jetzt. Frau Schumann hat Angst vor einer Offenen Tuberkulose.Nächste Woche geht Frau Tiemann[6] ins Krankenhaus, um sich operieren zu lassen. Sie hat anscheinend Brustkrebs, klagt aber auch dauernd über den Unterleib. Sie sieht furchtbar aus, hoffentlich kommt sie nur wieder. Frau Tristram[7] versorgt die Familie.

Was gibt es Neues. Unsere kleinen Kaninchen wachsen und sind jetzt niedlich. Auch die andere Häsin baut jetzt ihr Nest. Leider fressen sie nach einer Weile das Neststroh auf und man bekommt doch nichts.Uns allen geht es gut. Und wir denken viel, viel an Dich. Werde uns nur recht bald gesund.
Alles, alles Gute und
einen herzlieben Kuss

von Deinem

Lotting.



[i]Erläuterungen:
[1] Frau Bär: Nachbarin Haus Nr.42
[2] Schumann: Dr.med. in der Schmöckwitzer Straße
[3] Dieter, der Autor, ältester Sohn
[4] BHH = Doppelbehelfsheim sollte auf dem Grundstück in Bernau gebaut werden.
Soldaten hatten beim Antransport die Dächer verheizt.

[5] Stümer Kolonialwaren und landw.Produkte
[6] Frau Tiemann: Tochter der Vermieterin
[7] Frau Tristram: Vermieterin

ortwin

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