Der Porträtfotograf



Die Porträtfotografie ist ein heikles Ding, aber zum Glück ist ja doch alles etwas lockerer geworden, und Fotografen mit wenig Knowhow, die noch sagen: „Aber bitte recht freundlich“, sind heutzutage die Ausnahme.

Ich erinnere mich an mein erstes Passfoto, das ich, 12 Jahre alt, für einen Reisepass brauchte. Meine Mutter schleppte mich zum Fotostudio Huverstuhl auf der Hohe Straße in Köln. Huverstuhl war weithin bekannt als ein hervorragender Fotograf, insbesondere von Porträts und Passfotos.

Das Kind war natürlich schick gemacht worden: Haare geschnitten, Sonntagskleidchen und alles, was Mütter in einer solchen Situation für nötig erachten.

Der junge Mann, der uns empfing, war sehr freundlich und führte uns gleich ins Studio.

Ich wurde auf einen kleinen Drehhocker gesetzt, und der junge Mann begann an mir zu „schrauben“. Was zunächst witzig erschien, war im Grunde ziemlich „heftig“, wenn ich es im Nachhinein betrachte. Das rechte Knie wurde genommen und wie zum Kniefall etwas über Bodennähe gezogen und dann angehalten. „So bleiben, bitte“. Ich hing verrenkt und schräg da und hielt die Luft an.

Dann ergriff er die linke Schulter und drückte sie fast gewaltsam nach hinten. Die verdrehte Position löste beinah Schmerzensschreie aus.

Dann kam der Kopf dran, und ich stellte auf stur. Der gute Mann versuchte den Kopf zu senken, aber das Kinn zu heben und den Blick leicht Richtung linker, nach hinten gedrückter Schulter zu lenken. Nicht verständlich? Ich hab es auch nicht verstanden.

Der erst freundliche junge Mann kam mit mir, die ich inzwischen ziemlich angesäuert war, nicht mehr gut zurecht und schwitzte - und roch!

Ich hing da wie ein Schluck in der Kurve. Nach einer gefühlten guten Viertelstunde glaubte der Figurenaufsteller, dass alles okay sei. „Bitte so bleiben, ich hole Herrn Huverstuhl“.
Ich stöhnte, und die Mama posaunte Durchhalteparolen.

Der große Meister betrat Arroganz strotzend das Studio. Ich hing da.
Er begrüßte die „liebe Mama“ und schwatzte mit ihr. Ich hing da…

Er machte sich an seiner Kamera zu schaffen und sah durch das Guckfenster.
Er gab dem jungen Mann Anweisungen, und der stürzte sich schon wieder auf mich. Knie tiefer, linke Schulter weiter zurück, Kinn hoch, Blick weiter nach hinten und doch nach vorn.

Dann sprang der junge Mann zur Seite.

Der große Meister raunte hinter der Kamera ein nicht allzu ermutigendes, eher schauderhaftes: „So, und jetzt mal bitte recht freundlich!“ Ich bemühte mich um ein schmerzvoll grinsendes Lächeln.

„Nein! Nein!“ Der arme Herr Huverstuhl brach fast schreiend hinter seiner Kamera zusammen. LÄCHELN, habe er gesagt, freundlich. Doch nicht so wie auf dem Schlachthof.

Ich versuchte das nächste Lächeln, und es blitzte.

In der linken Schulter zog ein Krampf auf, das rechte Kniegelenk schmerzte. Der Nacken war steif.

So, und noch einmal: Bitte recht freundlich.
Noch ein Blitz.

„So, das hätten wir. Ein bisschen verkrampft war sie schon, die Kleine. Aber das wird beim nächsten Mal sicher schon besser gehen, dann ist ja nicht mehr alles so neu, dann weiß sie ja schon, wie es geht.“

Von Stund an waren Fotoautomaten, zusammen mit Freundinnen aufgesucht, das pure Vergnügen.

Bewerbungsfotos habe ich bei einem absolut tollen Fotografen machen lassen. Sein Trick wie der aller guten Porträtfotografen: das „Modell“ ins Gespräch verwickeln, egal worüber:

Über die Mahlzeit von vorgestern (da muss das Modell nachdenken und macht ein ernstes Gesicht)
Über den Freund (da macht das Modell – hoffentlich – ein freundliches Gesicht) Über das nächste Projekt (da macht das Modell ein nachdenkliches Gesicht) Über die nächste Ferienreise (da macht das Modell ein sehnsüchtiges Gesicht)
Über …

ach, denken Sie doch selbst nach über ein Thema!
 


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Kommentare (6)

indeed

Liebes Tannenmütterchen,

wie zwölf Jahre alt siehst du nicht auf dem hier abgebildeten Foto aus, sondern eher wie etwa 18 Jahre oder auch etwas älter. Sicher, du schaust etwas ernst darauf aus, warst aber ein hübsches Maderl. 

Ja, ich stimme dir zu, so eine Prozedur lässt einfach kein Lächeln zu, noch dazu in dieser Position zur Starre verdammt. Das spür ich heute noch mit aus deiner Erzählung heraus.

Du hast deine Erinnerung an diese kleine, aber heftige Episode, sehr anschaulich beschrieben. Verzeih, wenn ich mittendrin doch ab und zu Schmunzeln musste. Ich glaube, in der Erinnerung wird alles noch ein wenig plastischer - oder liege ich falsch? 😉

Danke für diese deine Erzählung über ein nachhaltiges Erlebnis.

Freundliche Grüße zu dir von
indeed

Tannenmuetterchen

@indeed  
Danke für deine Worte. Ja, da seh ich ganz schön alt aus :-) Kann auch sein, dass ich dreizehn war, aber nicht sehr viel älter. Das Foto wurde für einen Reisepass angefertigt, denn ich fuhr mit dem Volleyballverein zu einer internationalen Sportbegegnung in Prag. Damals habe ich noch schlecht gegessen, vor allem (damals schon!) kein Fleisch. Mama hatte Angst, dass ich verhungern könnte in der Woche! Ich bekam ein Pfund Schwarzbrot (Scheiben) mit und ein Paket Rama. Das konnte ich wirklich brauchen, denn das Essen war tatsächlich ziemlich fleischlastig ;-)
Komisch, dass ich das gerade erinnere....
Ich seh zwar auf dem Foto ziemlich "alt" aus, aber ich war noch ziemlich jung und kindlich, wenn ich gerade so zurück denke :-)

Ein schönes Wochenende für dich.

Distel1fink7

Danke für diese nette Geschichte, die viele von uns nachvollziehen
können. 
Als ich zur Kommunion ging, musste ein Foto  her und ich kriegte ne
Dauerwelle, Schillerlocken.
Deine Geschichte erinnert mich so daran. 
Ja, eine schmerzvolle Erfahrung.

Es grüßt Distel1fink7
Renate

ladybird

Ach, liebes Tannenmütterchen,
Dein Leid bei Studio Huverstuhl, war meine " Freude" dh. Deine Beschreibung zauberte mir ein Lächeln, bis Lachen ins Gesicht
Du beschreibst diese Situation sehr köstlich....und amüsant.
Stelle  Dir vor, ich kenne dieses Studio aus der damaligen Zeit, meine Fotos brauchte ich für den Führerschein und Herr Huverstuhl "schliff" an meinem linken Ohr, welches ja frei sein mußte.
Wie gerne denke ich an die Foto-Automaten, in denen man ohne Anleitungen
sich ganz selbstständig abbilden lassen konnte...und dabei viel Spass hatte..
Mit einem Schmunzeln
grüßt Dich
ladybird aus Köln

Syrdal


Worüber mag der Fotograf sich bei diesem Foto wohl mit dir unterhalten haben…? – Wenn ich mir die Aufnahme einen Moment ansehe, kommt es mir vor als habe er gefragt: „Und wie stellen sie sich ihre Zukunft vor?“

...meint – mit Grüßen zum bevorstehenden Wochenende –
Syrdal

Tannenmuetterchen

@Syrdal  
Tja, HÄTTE er sich mal mit mir unterhalten...


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