Der Todesschrei des Broccoli

Autor: ehemaliges Mitglied

Der Todesschrei des Broccoli

Das Käthchen war eines  der süssesten, knuffigsten, liebsten Menschlein in meinem Leben.
Ach was, dass Liebste.
Dass Liebste natürlich nicht in diesem vulgär, althergebrachten Sinne. Nein. Frei von diesem brodeldem, kochenden Hormongebräu, dessen einziger Sinn und Zweck die Vermehrung  unserer Art ist, das so viel Unheil anrichtet und an dem wir Menschen so hängen, sind wir Freunde im Sinne des guten alten Plato gewesen.

Nein, es war die Reinheit und Güte Käthchens. Die unbedingte Hilfsbereitschaft und das unendliche Verständnis, die Liebe, das sie so über allem schweben ließ. Manchmal fühlte ich mich in ihrer Nähe schmutzig und schlecht und ein lästiger Waschzwang überkam mich. Heute, da ich weiß dem toxischen Geschlecht anzugehören, lebe ich sehr entspannt.

Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, habe ich auf einem Gartenfest vor vielen Jahren beobachtet, wie der Kroate Mirco Malcotschitsch dem Käthchen aufdringlich etwas ins Ohr zischelte und damit einfach nicht aufhören wollte. Und so geschah das unerhörte - das Käthchen holte aus und verpasste  dem verdatterten Mirco eine ganz saftige aufs Ohr.
Womit nichts gegen Kroaten gesagt sei, es hätte auch ein Ostfriese, Franke oder ein Grieche sein können.

Für einen kurzen Augenblick starrte der Mirco das Käthchen mit wutglühenden Augen an, und ich war schon bereit, in einen furchtbaren Zweikampf auf Leben und Tod einzutreten. Zur Verteidigung Käthchens natürlich. Aber der Mirco hielt sich nur die Backe und verzog sich rüber zur Bar wo er einen oder auch fünf Slivos kippte.

Dieser kleine Vorfall befreite das Käthchen von dem Verdacht eine Heilige zu sein um eines Tages levitierend vor meinen Augen in den Wolken zu verschwinden, um niemals wiederzukehren.

Natürlich war das Käthchen vegetarisch, vegan unterwegs. In ihrer Wohnung durften Spinnen, Fliegen und sonstiges Getier schalten und walten wie sie wollten. Ab und zu wurden, unter entschuldigendem Gemurmel, ein paar Spinnweben sehr behutsam entfernt.
Im Frühjahr trug sie Kröten über die Strassen. Sie nahm die klebrigen Lurche zärtlich auf, und setzte sie in ein extra gebasteltes Häuschen mit der Aufschrift "Frosch-Arche" und trug sie über die Strasse, wo die doofen Kröten gefahrlos weiterhüpfen konnten. Ich bin überzeugt davon, das dass Käthchen auch Nashörner über die Strasse getragen hätte.

Einmal, ich erinnere mich schmunzelnd, trug ich das Käthchen samt Arche über die Straße. Sie hatte sich den Fuß verstaucht. Nun ja, das Auto stand auf der anderen Seite.

Das Käthchen war ein sehr gastfreundlicher Mensch aber ich besuchte sie nicht unbedingt wenn ich hungrig war. Niemals durfte man damit rechnen, die köstlich zubereiteten Hinterbacken eines feisten, fetten Schweines auf dem Teller zu finden. In feinste Scheiben geschnitten natürlich. Oder den nicht minder verführerischen Duft einer geräucherten Forelle. Und was bitte sehr ist gegen ein saftiges, knuspriges Hähnchen zu sagen?  Eine Bratwurst? Ich habe die Bratwurst vergessen!
Oh, ich verschmachte! Warum darf ich nicht, was der Löwe darf, was die Hyäne, der Wolf und  all das Gekreuche und Gefleuche?

Na, ich gebe zu, mich an derlei "Verbote" nie gehalten zu haben.

Käthchens Küche war ein Hochamt der Körner, der Sojagebilde, ein dunkle Wolke von Fruchtfliegen zeigte die immer volle Obstkiste an. Salatköpfe, Krautköpfe, nie gesehene Knollen und Früchte, Rabarberstangen und Broccoliwälder, so weit die Küche reichte.
Nüsse aller Art und im Bad eine riesige Hildegard - Apotheke.

Ja, aus dieser Schilderung kan man sich leicht Käthchens Speisepläne zusammenreimen. die Apotheke natürlich ausgenommen. Jedenfalls war das Käthchen trotzdem immer eine wohlgestaltete unter den Frauen. Nie wäre man auf die Idee gekommen, das sie eine Körnerfee war. Womit selbstverständlich nichts gegen Körnerfeen gesagt sei. Aber eine Schnitzelfee konnte sie nicht sein.

Aber eines nicht schönen Tages, Käthchen und ich hatten uns lange nicht mehr gesehen, fand ich eine E-Mail in meinem Postfach, Absender: [email protected]. eine jpg-Datei als Anhang. Ein wenig beunruhigt öffnete ich diese und erstarrte: Ich sah ein klappriges, fahles
Käthchen mit leeren Augen, zusammengefaltet in einem Korbstuhl - eine handvoll Knöchelchen. Angst schoß in mir hoch, eine dunkle Ahnung, zitternd öffnete ich den Text:

Mein lieber Alfons,
Es tut mir so leid Dir mitteilen zu müßen, das es mit mir zu Ende geht. Weißt Du, ich habe feststellen müssen, das auch die Pflanzen, unsere Mitgeschöpfe, ein Empfinden haben. Sie leben so gerne wie Du, ich, und die Tiere. Sie fühlen Angst und Schmerz. Sie haben es mir gesagt, ich habe den Todesschrei eines Broccoli gehört, im kochenden Wasser, nicht mit den Ohren, mit dem Herzen habe ich es gehört. Anders als wir, aber sie erleben es. Es ist mir nicht mehr möglich, sie in Scheiben zu schneiden, zu kochen, zu zermantschen, zu essen. Oh, wenn ich daran denke, das alles getan zu haben.
So hab ich beschlossen, das Essen einzustellen und alles geht seinen Gang.

Verzeih mir, lieber Alfons

Deine Kathi

Wie ein sanfter Regen im Mai kamen die Tränen über mich. Ich schloß die Mail und schaltete den Computer aus. Den Kopf auf die Arme gelegt, gab ich dem Schmerz die Macht.
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Vor ein paar Tagen erschien ein Online-Artikel über ein Forscherteam, das nach neuesten Erkenntnissen den Pflanzen einiges an Lebensäusserungen zugetraut wird. Ich weiß nicht mehr wo der Artikel veröffentlich wurde und  finde ihn deshalb auch nicht mehr. Was davon zu halten ist muss jeder, wie immer, für sich entscheiden.

Aber eins ist sicher - wir wissen noch längst nicht alles!

Zwinkern

Arni


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Kommentare (11)

Humorus

Lieber Arni nun muss ich aber loswerden! Du hast uns mit Deiner Geschichte über Dein Käthchen aber ein "Zweiseitiges Schwert" zukommen lassen. Ich wußte zum Schluss nicht ob ich lachen oder weinen sollte. Ich muss gestehen, es war einige Ironie sehr gut verpackt und dann das bittere Ende. Ich glaube ich werde noch eine recht unruhige Nacht vor mir haben.
Danke, sie war aber sehr gut geschrieben!!!!!

Lieber Gruß vom leicht verwirrten Klaus

ehemaliges Mitglied

@Humorus

Lieber Humorus alles kein Grund schlecht zu schlafen. Das Geschichtchen ist nach dem Stilmittel der Tragischen Komödie aufgebaut. Wobei die Tragische Komödie immer gut ausgeht, meine aber nicht. Das arme Käthchen mußte sterben, weil es vor lauter Gut sein und Verstehen, sein eigenes Leben vegessen hatt.
Und der olle Alfons muß leiden, weil er vor lauter Bewunderung dem Käthchen einfach nicht geholfen hat, auch mal eine andere Perspektive einzunehmen.
So ähnlich kann man das sehen, aber es gibt auch andere Interpretationen. Wie man will.
Dein Interesse hatt mich gefreut.

Ironie und ein gewisser Humor gehört bei mir fast immer dazu

Danke für Deinen Besuch und herzlichen Gruß
Arni

ehemaliges Mitglied

Ein Herz noch für alle Herzchenspender.
Dankeschön.

LG
Arni

Roxanna

Welch eine tragische Geschichte hast du uns hier erzählt, lieber Arni. Ja, ja, der Mensch und seine Überzeugungen, sie werden gelebt und wenn es sein muss, bis zum bitteren Ende. Was will man auch machen, wenn man so ein mitfühlendes Wesen hat. Da kann man schon in schwere Konflikte kommen. Leider hat auch deine reine Liebe, frei von allen hormonellen Schwankungen, nicht geholfen. Wirklich tragisch. Ich hoffe, du hast den Schmerz inzwischen überwunden oder braucht es eine Abordnung von hier, die zum Trost bei dir vorbeikommt? Das ließe sich bestimmt einrichten Zwinkern.

Mit viel Anteilnahme grüße ich dich sehr herzlich

Brigitte

Fast hätte ich es vergessen. Obwohl er sehr gesund sein soll, der Broccoli, schmeckt er mir nicht Zwinkern, das sage ich aber nur dir, lieber Arni, hinter vorgehaltener Hand.

ehemaliges Mitglied

@Roxanna

Ja Tragik, das kann das Ergebniss aus konsequenter Konsequenz seinErschrocken, liebe Brigitte. Und das mit dem platonischen ist eben auch nur so eine Idee. Eine Trost-Delegation vom ST wäre eine wunderschöne Sache, aber ich fürchte, ich wäre dem Ansturm nicht gewachsenTränen lachenTränen lachenTränen lachen. Aber allein die Vorstellung lässt den Schmerz vergehen wie Butter an der SonneTränen lachen.
Was den Broccoli betrifft; ich kann ihn nicht ausstehenDaumen runter.

Vielen Dank für Deinen launigen Kommentar und für die AnteilnahmeRoseund herzliche Grüße
Arni

 

protes

wasfür eine herrlich geschichte
hast du da erzählt
und wie es nun mal so ist
jedes lebewesen also auch gras
(es würde ja nicht wachsen wenn es kein lebewesen wäre
oder ist der begriff wesen falsch
sollte ich unbedingt mal nachlesenkönnte schon sein
dass der falsch ge wesen ist)
sollte also liebevoll behandelt und nicht gegessen werden.

ich gehöre aber immer noch zu der gattung wildes tier
und da ich nun auch noch weiß, (und nicht enden will wie das käthchen)
dass auch der broccoli schreien kann, werde ich vermutlich
als wildes tier irgendwann  (und ich hoffe das dauert)
 mein dasein beenden.

danke für deine geschichte und für das kätchen
habe ich eine winzige gedankliche träne vergossen
herzlichen gruß hade

ehemaliges Mitglied

@protes

Es freut mich, wenn Dir meine kleine Geschichte gefallen hatt.
Ja, es ist so - alles lebendige hatt ein Recht zu leben. Aber was sollen wir machen, Steine können wir nicht essen.
Und was das Gras betrifft, da lass ich den Rindviechern gern den Vortritt.
Aber dann......!! 
So darf ich mich auch zu den wilden Tieren zählen. Allerdings gebremst, soviel "Fleischeslust" braucht's nicht mehr. 

Dann dank ich für Deinen Kommentar, und einHerz in Käthchens Namen für das winzige Gedankentränchen!

Herzlichen Gruß
Arni

lillii

ich bin überzeugt, dass alles mit allem auf irgendeine Art verbunden ist, Bäume geben Informationen über ihr Wurzelwerk weiter.

jetzt überlege ich... ob ich noch imstande bin Broccoli zu essen ???

lG
Luzie

 

ehemaliges Mitglied

@lillii

Man kann sich von der vermaledeiten Natur ganz schön ins Dilemma
treiben lassen. Aber, da wir selber ja "Natur" sind, rate ich zum ungetrübten Genuß. Auch von plärrendem Broccoli.

Einen schönen Tag (mit schattigen Plätzchen).
Arni 

ehemaliges Mitglied

Eine schöne Geschichte.
Und ja, ganz bestimmt: wir wissen noch längst nicht alles. 
Irgendwie kann ich die Not von Käthchen verstehen. 
Ich kann auch kein Fleisch essen..
bei mir gibt es auch keine Schnitzel auf dem Teller.

Lieben Gruss
Agathe 

ehemaliges Mitglied

@APet  

Es gibt von Schopenhauer einen echt krassen Satz:

"Solange ein Lebewesen das lebendige Grab des anderen ist,
kann man die Schöpfung nicht als gelungen bezeichnen"

Ich verstehe alle die kein Fleisch essen können/mögen.
Ganz hab ich das nicht geschafft. Aber immerhin, viel ist es nicht mehr.

Herzlichen Gruß
Arni


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