Der Uhrhoivel vom Basalt

Der Uhrhoivel vom Basalt
Karg ist das Land hoch auf dem Basalt,*
äußerst bescheiden die Ernte,
lang sind die Winter und bitter kalt
mit Wochen ohne Einkünfte.
Iliuuineshusun* ist in Not,
leer sind die Scheunen und Mieten*
die Kinder wimmern um ein Stück Brot,
niemand kann es ihnen bieten.
Sogar der Schultheiß* ist bettelarm,
auch er muss sich redlich schinden,
verspürt bis ins Herz zehrenden Harm,
wie nur wird das wohl mal enden?
Er begibt sich mit dem Schubkarren
zum fernen Frankfurt am Fluss Main,
will dort das Letzte präsentieren,
Brennholz und Rüben packt er ein.
Gar bald ist seine Schubkarre leer,
da sagte er sich insgeheim:
Nun bin ich vom Berg her schon mal hier,
betrachte mir nun alles fein,
besuch auch meinen Amtskollegen
am Platz beim Römer im Rathaus,
danach schieb ich auf meinen Wegen
meine Karre wieder nach Haus.
Vom Amtsherrn wird er gleich empfangen
und alsbald köstlich bewirtet,
recht kräftig möge er zulangen –
oh, das hat er nicht erwartet.
Dann zeigt man ihm mit sichtlichem Stolz
einen Vogel, der sprechen kann,
ein Papagei im Käfig aus Holz,
der begrüßt krächzend jedermann.

„Wir haben solche Vögel im Wald“,
erklärt der Schultheiß vom Basalt,
„die sind von erhabener Gestalt,
äußerst klug und meistens steinalt.
Beim nächsten Besuch werde ich gern
solch einen Vogel mitbringen
als Geschenk für den hohen Ratsherrn
für ein doppelt Vogelsingen.“
Nach Wochen ist der Schultheiß wieder
beim Ratsherrn in Frankfurt zu Gast,
hat bei sich ein Bündel Gefieder,
meint, dass es zum Papagei passt.
Stolz packt er einen Uhrhoivel* aus,
gibt ihn zum Papagei hinzu,
zwei Sprechvögel gibt‘s nun im Rathaus,
nah beieinand‘ auf Du und Du.

Aufgeregt plappert der Papagei,
jedoch bleibt der Uhrhoivel still
und macht keinen Pieps und keinen Schrei.
„Der spricht immer nur, wenn er will“,
erklärt der Schultheiß allen derweil,
„sicher ist ihm das hier zuviel,
drum denkt er sich schweigend seinen Teil,
das ist halt des Uhrhoivels Stil.“
© Syrdal 2023
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Erklärungen:
* Basalt = hier die regional übliche Bezeichnung für das Landschaftsgebiet des in Osthessen liegenden Vogelsberges, dem größten zusammenhängenden Vulkangebirges in Europa mit dem „Taufstein“(773 m ü. NHM) als höchstem Berg auf dem weit bekannten Hoherodskopf
* Iliuuineshusun = mittelalterliche Bezeichnung des osthessischen Bergdorfes Ilbeshausen (heute Teil der Großgemeinde Grebenhain auf dem Hoherodskopf); die älteste bekannte Erwähnung erfolgte in einer Urkunde vom 29. Dezember 1012
* Schultheiß = einstige Bezeichnung für Bürgermeister
* Uhrhoivel = im hochwalddörflichen Sprachgebrauch eine Ohreule
* Iliuuineshusun = mittelalterliche Bezeichnung des osthessischen Bergdorfes Ilbeshausen (heute Teil der Großgemeinde Grebenhain auf dem Hoherodskopf); die älteste bekannte Erwähnung erfolgte in einer Urkunde vom 29. Dezember 1012
* Schultheiß = einstige Bezeichnung für Bürgermeister
* Uhrhoivel = im hochwalddörflichen Sprachgebrauch eine Ohreule
Kommentare (2)
Syrdal
@Roxanna
Aber ja, liebe Brigitte, „die einen plappern und die anderen denken sich ihr Teil“. Mitunter ist es in der Tat besser, auch einmal zu schweigen. Dies lehrt uns ja schon das geflügelte Wort: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!“ Und was auch sollte der naturverbundene „graue Uhrhoivel“ aus dem Wald im Gebirge dem wirren Nachgeplapper des ach so blendend bunten Papagei schon entgegen setzen? - Es ist halt genau so wie bei den Menschen…
...bestätigt deine richtigen Worte mit ebenfalls frohen Sonntagsgrüße
Syrdal
Obwohl es so tragisch beginnt, lieber Syrdal musste ich am Ende doch schmunzeln. Es ist fast wie bei den Menschen, die einen plappern und die anderen denken sich ihr Teil.
Herzlichen Gruß und einen guten Sonntag wünscht dir
Brigitte