der unerlaubte Grenzübergang


...im Jahre 1948 von schlimmer Krankheit grad genesen, beschloß meine Mutter, mich in den britischen Sektor zu meiner Tante zu verfrachten. Es gab dort mehr Spielraum an Ernährung. Eines Tages wurde eingepackt, was jeder auf dem Rücken tragen konnte und wir fuhren mit dem Rad zum Bahnhof. Es kam auch ein Zug und es war die richtige Richtung. Eingequetscht in Menschenmassen, Gestank, Geschrei und jeder drängelte in eine andere Richtung und suchte nach Luft. Ich, als Zwerg unter den Erwachsenen, schnappte sämtliche Dünste auf. Meine Mutter hob mich dann und wann nach oben und reichte mich zum Fenster hin. Der Qualm von draußen war auch nicht das Wahre, aber besser noch als dieser Mief. Wir kamen am Harzrand auf einem Bahnhof an und warteten auf jemand. Der kam dann auch, ein breiter großer Mann, lud uns in seinen LKW mit Holzkohlevergaser und dann wurde mir erst richtig schlecht. Mein Kopf hing aus dem Fenster raus und ich kotzte nur noch Galle, was sonst auch. In einem Sägewerk kamen wir dort an, Schlafplätze aus Hobelspänen hergerichtet, es war weich und ließ sich rücken. Ganz früh, es war noch nicht hell, weckte man uns und stellten fest, daß aus sämtlichen Ecken Menschen krochen. Dieser globige Mensch flüsterte nur und trieb die Leute, ungefähr 20, auf den Innenhof raus. Einzelpersonen wurden nach vorne eingeteilt, Mütter mit Kindern kamen in die Mitte und zum Schluß liefen nochmal Einzelpersonen. Und ab sofort galt Redeverbot und Pippimachen war streng verboten. Der erste Knabe quiekte schon...ich muß mal. Der "Herr" bestimmte, ihr bleibt da. So zog dann dieser ganze Trupp in Richtung Sektorengrenze geteilt durch einen kleinen Bach. Der große Mensch ging geduckt voran, hielt Ausschau haltend öfters an, wir lagen auch jedesmal auf den Bauch und weiter gings im Gänsemarsch bis der Bach und ein Strauch sichtbar war, zu dem wir weitergehen sollten. Über den Graben und dann sind wir im Britischen Sektor. Wir schlichen weiter und kamen dort an, aufmerksam die Gegend betrachtend, ob nicht irgendwo ein Grenzposten auftauchte. Noch waren wir bei den Russen.
Es sprangen mehrere voraus, legten sich ins Gras und warteten ob was geschah. Irgendwann war ich an der Reihe und sprang mit kinderhafter Leichtigkeit, kam auf der anderen Seite an und hinter mir macht's Platsch und meine Mutter steckte in dem Graben fest. Ein paar Leute robbten sich an sie ran und zogen sie raus. Über die freie Fläche war es noch gefährlich, da kein Mensch wußte, wie die Engländer reagieren, man kannte nur die bösen aus dem Westen. Jedenfalls nach langem Marsch kamen wir an einem Waldstück an, einer Eisenbahnstation, mit Schienen und einer langen Eisenbahnbrücke. Ein Zug kam dort nicht mehr hin, das war abgeriegelt, wir mußten aber diese überqueren. Eine Brücke ohne Geländer, nur mit Schienen und mit Bohlen und wie sollte das nun geh'n? Wir krochen auf allen Vieren, Hand an Fuß, Fuß in Hand über diese Eisenbahnbrücke und es war schon Nacht. Rechts und links ganz schwarze Tannen, der Vollmond glänzte zu uns rein unter uns ein Tösen und Brausen von einem Wildbach. Meine Mutter hatte mich am Bein und sagte immer beim nächsten Griff: und jetzt hopp. Ganz ruhig und bedachtsam wurde diese Brücke überquert, auf der anderen Seite erstmal Rast gemacht. Es wurden Pläne ausgetauscht und auch Ideen, Treffpunkte verabredet und wo es noch einfacher wäre, ich war nur müde und schlief ein. Bis mich meine Mutter weckte, steh auf, es geht weiter. Viele waren schon voraus gegangen, einige verabschiedeten sich irgendwo und wir liefen weiter und kamen an einem Bahnhof an. Ich meine das war Seesen. Jedenfalls stand dort ein LKW, der auf uns wartete, wohl schon die ganze Nacht. Mein Onkel stieg aus und nahm uns freudestrahlend in Empfang. Ein LKW, aber ohne Holzvergaser, danach habe ich gleich geguckt und nun war die Sache für mich rund. Eingestiegen und hingelegt, geschlafen und wurde erst im Forsthaus wieder geweckt. Die Sonne ging schon wieder auf und mit ihr ich auch.
Grenzenlos schien hier die Welt zu sein, ein Jubeln umschloß mich, allein schon der Wald und ich da mittendrin........ein Traum, der 9 Monate währte.

Finchen

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Kommentare (4)

finchen ich kenne auch so einen Fall. Aber Du wirst noch lesen, wie es im Forsthaus weiterging.
Grüßchen
Moni-Fimchen
nixe44 meine ehemalige Arbeitskollegin lebte als Kind beim Vater in Westdeutschland.
Die Mutter war an Tbc verstorben. Ihre kleine Tochter steckte sich bei der Mutter an.
So kam es wie es kommen muß, der Vater lernte eine neue Frau kennen, sie kam aus Ostdeutschland. Ihre Verwandten lebten auf einem Dorf, in ruhiger Lage und erholsamer
Luft.

Vater und inzwischen Stiefmutter beschlossen, dass Mädchen nach erfolgter Lungen-OP, zur Rehabilitation zu den Großeltern zu bringen.
Sie war damit einverstanden, erholte sich sehr schnell und ging im Osten zur Schule.
So wie sie es mir erzählte, musste sie später die DDR-Staatsbürgerschaft annehmen.

Es kam der 13. August 1961 und damit der Mauerbau.
Die Eltern besuchten oft die Tochter, aber ein Gegenbesuch war nicht mehr möglich.
1975 verstarb der Vater und sie durfte mit der Großmutter an den Trauerfeierlichkeiten
teilnehmen. Sie blieb im Westteil, die Großmutter trat allein die Rückreise an.
Sie überliess der Großmutter die Entscheidung, zum Bleiben in der BRD hatte sie sich erst auf dem Bahnhof entschlossen.
Menschenschicksale können so grausam sein.
LG Monika
finchen ja, jetzt fiel's mir ein. Die Postautos mit den großen Fahrradketten ! Genau, ich weiß auch noch, wo sie ihren Standort hatten. In der großen alten Post, gegenüber war die Straßenbahn-Haltestelle. Kurz vor der Kurve zur Kavalliers-Straße. Dort quietschten die Straßenbahnen immer ganz furchtbar und bimmelten wie verrückt, wenn's um die Kurve ging.
Grüßchen
Moni-Finchen
Traute Was waren das für Zeiten, was haben wir alles überlebt, einfach nicht tot zu kriegen...
einige Episoden Deiner spannenden Geschichte, haben mich alles vor mir sehen lassen. Der Holzvergaser. Wie ein Badeofen, etwa unten ein Handtellergroßes Ventil, dass klapperte und die Glut flimmerte wenn die Metallklappe nur so vor sich hin zitterte. Die Holzspäne wurden von oben nachgefüllt und die Laster fuhren ohne Benzin.
Kennst du auch noch die Postlastwagen mit Elektroantrieb?Irgendwo übertrug so etwas wie eine Fahrradkette den Antrieb auf eine Achse.
Dein Grenzübertritt, wurde in der Nähe von Hagenow ähnlich zum Hamstern genutzt. Es wurde Ware gegen Ware getauscht. mit dem Geld konnte man nicht viel anfangen. Aber Ohrringe Ringe, Schreibmaschine, das wurde man gut gegen Kartoffel Mehl und ähnliche Sachen los.
Da gab es eine Gruppe Menschen, die nannte man Schieber, die haben mit allem gehandelt und wurden reich. Ach Zigaretten und Tabak und Alkohol war auch besser als Geld, weißt Du noch
Danke für die Zeitzeugen Geschichte.
Übrigens einen schönen Frauentag will ich dir Wünschen und allen anderen Frauen auch.
Alles Gute und nie wieder so eine Not für uns und unsere Familien.
Wünscht TrauteTraute(Traute)



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