Nun regnet es schon wieder. Es hatte den ganzen Tag geregnet, dann abends kurz aufgehört und jetzt, kurz vor Mitternacht regnete es wieder, nein es goß in Strömen. Das Wochenende war angebrochen und da war das ja ganz normal.
Er überlegte kurz, ob er in der Nische des Kirchentores Schutz suchen sollte, entschloß sich jedoch dann, sich in dem verfallenem Haus gegenüber unterzustellen und abzuwarten.

Er schob die beiden Bretter beiseite, die den Eingang versperrten, stieg über die verfallene Schwelle und betrat einen von Schutt und Abfällen übersäten Raum. Er lehnte sich an die Wand und zündete sich mit etwas zitternden Händen eine Zigarette an. Sie zitterten wohl vor Kälte?
Hier wollte er den starken Regen abwarten.
Die Zigarette war fast zu Ende geraucht, da glaubte er in der Dunkelheit eine Bewegung zu spüren. Er bekam es mit der Angst zu tun, und dann zauberte seine Phantasie zu allem Überfluß, Katzen, Mäuse, Ratten hervor und er geriet in Panik. Um so mehr als er in dieser absoluten Finsternis nicht wirklich etwas wahrnehmen konnte.
Seit seiner frühesten Kindheit konnte er nicht sagen, vor welcher dieser Kreaturen er mehr Angst hatte. In Vollmondnächten zog er immer die Decke über den Kopf und horchte angestrengt in den Raum, er vermeinte sie alle in seinem Zimmer, Schatten an die Wand werfend , tanzen zu sehen.
Noch fester drückte er sich in die kleine Nische, die er hinter sich spürte und die Kälte kroch von seinen Schuhen langsam den Körper hinauf um sich dann in seine Arme zu ergießen und die Fingerspitzen zittern zu lassen. Natürlich fiel ihm das Feuerzeug aus der Hand, die Zigarette war auch irgendwo ab geblieben.
Von der nahen Kirche erklangen die Schläge für Mitternacht.
Seine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit.
Eine Gestalt bewegte sich auf ihn zu; die langen Haare flossen über ihre Schultern, der dunkle lange Mantel war vorne geöffnet und ließ den Blick auf eine sehr weibliche Gestalt in einem weißen Nachtgewande frei. Eigentlich fand er es lächerlich. Sollte das die Geisterstunde sein?
Es war jedoch unleugbar eine Frauengestalt. Aber hier konnte sie doch nicht wohnen? Das Gebäude war seit Jahren unbewohnbar und geräumt.

„Hallo!“ Ihre Stimme war hell und lockend, sie lächelte ihn an, ohne die Lippen zu öffnen. Sie hob einen Arm und streckte ihm diesen entgegen.
„Hallooo?“ Seine Stimme klang irgendwie gebrochen, mit einem kleinen Fragezeichen.
„Willkommen in meiner Welt, willst du mein Fürst der Finsternis sein? Er hat mich nämlich verlassen!“ Flüsterte sie.
„Verlassen? Fürst der Finsternis? Was soll das?“
„Ich eröffne dir die Welt der Vampire, eine faszinierende Welt, du hast Macht über Leben und Tod! Du wirst ewig leben!“
Wer will das schon?
Grauen steigt in ihm auf, seine Hand fuhr sofort an seinen Hals, mehr um den Druck zu vermindern, als ihn zu schützen. Er hoffte, zu träumen.
Sie hob nun beide Arme und kam noch näher, das Hemd unter dem Morgenmantel verrutschte wie zufällig und ließ ihre weißen Brüste frei.
„Komm, es wird wunderbar, wir werden zusammen die Nächte verbringen. Uns an jedem Ort, den wir uns wünschen aufhalten können.“ Ihre tief in den Höhlen liegenden feurigen Augen schauten ihn begehrlich an. Sie war ihm ganz nahe und er konnte ihren Atem spüren.
„Ich habe schon tagelang nichts zu mir genommen, komm umarme mich!“
Er überlegte, was soll das eigentlich heißen? Sie wollte scheinbar Blut?! Sein Blut!
Nun war sie bei ihm angelangt. Er konnte nicht weiter zurückweichen, hinter ihm war die Nische in der Wand. Sie war da, umfing ihn, ihr weicher Körper schmiegte sich an, ihre Haare ergossen sich über sein Gesicht und ihre weichen Lippen berührten die seinen. Es war ein langer nicht enden wollender Kuß, der ihn fast das Bewußtsein raubte. Ihre Arme umfingen ihn und zogen ihn weg von der Wand in die Mitte des Raumes. Sie glitten zu Boden. Dann glitten ihre Lippen langsam an seinem Hals entlang. Den stechenden Schmerz links, schräg unter dem Ohrläppchen registrierte er völlig willenlos und das anschließende wohlige Gefühl breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Er wußte nicht, wie lange sie so dalagen, wie lange er den weichen Körper der Frau festhielt. Oder hielt sie ihn fest?
Ganz plötzlich ließ sie ihn los, er griff nach ihr, als wollte er sie festhalten, doch sie erhob sich, lächelte ihn an und er konnte für einen Moment die beiden spitzen, längeren Eckzähne zwischen den leicht geöffneten Lippen sehen.
Sie war tatsächlich ein Vampir!
Er sprang auf und stürmte hinaus in den Regen, blieb mitten auf dem Platz vor der Kirche stehen und blickte hinauf zum Kirchturm.
Was war mit der Uhr los? Sie war doch beleuchtet als er vorhin vorbeiging? Oder doch nicht?
Langsam stieg wieder diese Angst in ihm auf. Hatte er Halluzinationen? Spielte ihm der strömende Regen, die nächtlichen Schleier, einen Streich?

Aber hörte er da nicht aus dem Hause kommend dunkles, zufriedenes Lachen?
Er griff sich an den Hals, der noch immer schmerzte und als er seine Handfläche ansah, war Blut an ihr. Erschrocken wischte er sich das Blut an seinem Mantel ab.
Wieso konnte er jetzt an die Reinigung denken?
„Ich muß sofort in die Kirche, ich muß mit einem Priester sprechen!“ Schoß es ihm durch den Kopf. Doch als er die Treppe hinauflaufen wollte, hielt ihm innerlich etwas zurück.
„Jetzt Mitten in der Nacht wird wahrscheinlich keiner da sein!“ Schoß es ihm durch den Kopf und er machte wieder kehrt.
Nun hatte der Regen nachgelassen, aber die Nacht war noch immer undurchdringlich schwarz. Er wollte nochmals auf den Kirchturm schauen, doch dann besann er sich eines Besseren und machte sich auf den Heimweg.
Er wollte das mahnende Kreuz auf der Spitze nicht sehen, er hatte ein schlechtes Gewissen. Warum hatte er sich nicht in den Schutz der Kirche begeben, statt sich in ein dunkles eigentlich unheimliches Gemäuer zu begeben um dort seinen Phantasien ausgeliefert zu werden?
Dann fiel ihm wieder das Blut an seinem Hals ein. Wahrscheinlich hatte er sich in dem Haus an einem vorstehenden Mauerteil oder Holz verletzt. Er wird das zu Hause sofort anschauen. Obwohl ihm Spiegel unsympathisch sind. Ja? Seit wann denn eigentlich? Er schüttelte den Kopf. Was ihm doch für Unsinn durch den Kopf ging.
Eigentlich war es direkt schade, den Dienst im Krankenhaus bei Tag zu machen, überlegte er im Weitergehen. Es ist sicher viel angenehmer nachts zu arbeiten und tagsüber zu schlafen.
Warum ist ihm das nicht schon viel früher eingefallen?
Gleich morgen früh wird er mit dem Personalchef sprechen. Das Krankenhaus sucht sowieso immer wieder Mitarbeiter, die Nachtdienst machen. Und außerdem hat er am Anschlagbrett gelesen, dass eine solche Stelle in der Blutbank im Labor ausgeschrieben ist.
Entspricht sowieso mehr seiner Ausbildung. Dann erhob er sich wie selbstverständlich in die Luft und legte den Rest des Nachauseweges quer über die Dächer der Stadt zurück.

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Kommentare (1)

franziska Du schreibst teuflisch, Hexe, äh, ich meine, Du schreibst vampirisch, echt.
Franziska

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