Die Bank

 
Da steht sie nun. Ein Bild der Einsamkeit. Verlassen. Unbeachtet. Das Jahr ist über sie hinweggegangen, mit Sturm und Regen, brennend heißer Sonne und eisiger Kälte. Aber sie hielt alles aus, widerstandsfähig bis zum heutigen Tag.
Wie war es noch im letzten Frühling? Als die Birken das erste Grün trugen, als der Wacholder die braunen alten Zweige abstieß, als der Eichelhäher hoch in den Bäumen lachte und die Lerche jubelnd in den Himmel stieg, da war diese Bank nicht leer. 
Siehst du dort den Jungen und das Mädchen sitzen? Sie fühlen den Frühling in ihrem Blut. Unbewusst starten sie den Kreislauf des Lebens wieder aufs Neue. Sie schwören sich ewige Liebe und Treue und wissen doch nicht, dass nichts in der Jugend brüchiger ist als die Treue. Und dass das Rot der Liebe sich sehr schnell zu einem Grau verfärbt, dass von den Schwüren im Frühling meist nicht mehr übrig bleibt als verdorrtes Gras im Sommer.

O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
O! dass sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!


So sagt Schiller im «Lied von der Glocke»

Aber auch der Dichter wusste, dass es so einfach nicht ist. Sonst hätte er nicht bewusst das Wörtchen “ewig bliebe” benutzt.
Ja, und dann ging der Sommer über die Heide, der Herbst nahte. Die Erika blühte und die alte Bank stand inmitten einer wunderschönen violetten Pracht! Die Menschen, die kamen, erfreuten sich an diesen herrlichen Farben. So manch einer ruhte sich nach einer anstrengenden Wanderung hier auf der Bank aus und nahm auch etwas Nahrung für die Seele mit nach Hause.
Wirf jetzt doch einen Blick auf dieses alte Paar, das dort schon einige Zeit auf der Bank sitzt. Beide im weißen Haar, mit faltiger Haut und längst nicht mehr taufrischem Aussehen. Erfahrene Menschen, mit vielen Narben an Leib und Seele. Sie ahnen nicht mehr die Schönheit des Lebens, sie kennen sie! Sie verstehen die Geheimnisse der Gefühle und brauchen keine Liebesschwüre mehr, die den Jungen vorbehalten sind. Aber sie haben die Liebe begriffen, die Nähe, das Vertrauen.


Und wenn sie nun dort sitzen und in den Sonnenuntergang schauen, dann ist ihnen klar, dass es immer einen Anfang gegeben hat und dass es auch ein Ende gibt!
 Siehst du sie dort sitzen, Hand in Hand, auf dieser einsamen Bank in Eis und Schnee? Siehst du diese liebevollen Blicke? Spürst du ebenfalls dieses Geheimnis, dann bist du auf der richtigen Spur des Lebens. Dann weißt du, dass Gott alles in den Händen hat: den Frühling des Lebens und den Sommer und den Herbst. Und den Winter ebenfalls. Und mich. Und dich, nicht nur im Frühling ...

 
Und zum Schluss noch einmal ein Zitat aus der «Glocke»:
Nachlese.jpg
Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,

Der mächtig tönend ihr erschallt,
So lehre sie, dass nichts bestehet,
Dass alles Irdische verhallt.


©by H.C.G.Lux

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Kommentare (11)

Roxanna

Bänke sind ein spannender Ort der Begegnung. Gut ist es auch, dass sie so verschwiegen sind, was könnten sie nicht alles erzählen. Ich denke da gerade an Reinhard Meys Lied - Die Jahreszeiten eines Lebens -
 


Irgendwann schließt sich der Kreis und wir gehen wieder.

Spannend kann auch eine Begegnung auf einer Bank mit einem Menschen sein, ins Gespräch zu kommen - es begegnen sich sozusagen zwei Seelen, die ein wenig gleich schwingen, und man sieht sich nicht wieder, aber es bleibt etwas zurück.

DSC00211.JPG
Danke, lieber Horst für diese schöne, berührende Erzählung und herzliche Grüße

Brigitte

Bücherwurm

Das Leben ist Leid und Freude. Es ist Kampf, aus dem man verstärkt hervorgehen kann, auch wenn Narben bleiben. Triebkraft des Lebens ist in allen Wetterlagen die Liebe. Das Ende ist gewiss. Der Kreislauf geht weiter, und die Bank wird neue Besucher finden.
Für all das hast du schöne Worte gefunden. Gefällt mir.
Gitti

Pan

Hi Gitti,
Anfang und Ende unseres Lebens - alles ist Bestimmung des Menschen. Alles was dazwischen liegt, hat auch etwas mit unserer Haltung gegenüber dem Leben zu tun, nicht wahr? 
Es muss nicht jedes Mal "Kampf" sein, aber schon die Diskrepanz zwischen Wollen und Können hat ihre Strukturen kämpferischer Art. Wenn Toleranz nur klein geschrieben wird, hat der Charakter des Einzelnen schon unter Beweis gestellt, wie er lebt - oder leben will!
Der Kreislauf des Lebens wird immer wieder neu beginnen, das ist gut und richtig, wir selber sollten nur nicht versuchen, in diesen einzugreifen.
Panta Rhei, nicht wahr?

Ein Lächeln von Horst~

Bücherwurm

@Pan  Ja alles fließt. Leider nicht rückwärts. Doch das wäre ein anderes Thema.
Danke für dein Lächeln.
Gitti

ladybird

wundervoll,lieber Horst
und ich denke sehr gerne an die Eckbank in Eurer Küche, wo ich in das Ritual des Teetrinkens in Ostfriesland eingeführt wurde...
herzlichst grüßt
Renate

Pan

Moin Renate, schön, dass man solche Erinnerungen hat, nicht wahr?
Auf dass unsere Teezeremonie nie in Vergessenheit gerät!

Herzlichst,
Div_820.jpg Horst

Syrdal


O! dass sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!
 
Dies ist ein hehrer Wunsch des großen Dichters, wohl in der Erfahrung, dass die Wirklichkeit auch das junge zarte Grün der Liebe verändert. Gut so, das frische Grün darf und soll schließlich ein sattes, kräftiges und beständiges Grün werden, in dem sich die noch so hoffnungsvolle Lebensgemeinschaft grundhaft festigt und aus dem diese ihre das Leben weiterführende Kraft empfängt. Und dort, wo die Farbe im Laufe der Zeit weshalb auch immer langsam verblasst und sich schließlich gänzlich verflüchtigt, gilt es, sie neu zu beleben. Den Weg dazu muss aber ein jeder für sich selbst finden, sei es ein Neuantritt auf dem bisherigen oder der Beginn eines anderen Weges. Wichtig aber ist, dass es der für diesen Moment, natürlich aber auch und vor allem für die zu gestaltende Zukunft der mit Freude richtige und nachhaltig lichtvolle Weg ist... 
 
...meint nach langer Lebenserfahrung
Syrdal

 

Pan

Weißt Du, lieber Syrdal,
manche Farben verblassen zwar - ergeben dann jedoch eine neue Nuance! Und auch Pastelltöne sind  wunderschön …

Grüße von
Horst

Muscari


Lieber Pan,

das hast Du wunderbar erzählt.
Seit mich mein Schatz vor 10 Monaten für immer verlassen hat, tauchen auch meine Gedanken oft in vergangene Zeiten ab. Sie sind Deiner Betrachtung sehr ähnlich und erfüllen mich mit Dankbarkeit.
Und so danke ich auch Dir und grüße Dich herzlich.
Andrea

liebespaar a. straßenrandxxy.jpg

Manfred36

Eine ergreifende Betrachtung. Doch wenn du sagst  "Und dass das Rot der Liebe sich sehr schnell zu einem Grau verfärbt, dass von den Schwüren im Frühling meist nicht mehr übrig bleibt als verdorrtes Gras im Sommer", da pflichte ich dir nicht ganz bei. Ich sehe eheliche Liebe allerorten. Dass sie nicht dieselbe ist wie die auf der Bank, soll nicht täuschen: Sie ist umfassender. Du hast es aber mit dem alten Ehepaar ja selbst angedeutet. 

Pan

@Manfred36  
Bitte beachten: der erste Teil behandelt die Jugend!!
Sonntagsgrüße von Horst


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