Die Frau vom Riff, unheimlich





Vom Boot aus gesehen, lag das Haus hoch oben am Fels, einem Adlerhorst gleich. Man konnte meinen, es balancierte auf der Spitze des Felsens und der kleinste Windstoß könnte es herabwehen.


Weiter draußen, in Richtung offenes Meer, schlugen die Wellen ans Riff und weiße Gischt schäumte auf. Es war wie eine Barriere, davor würde sein kleines Boot erbarmungslos daran zerschellen.

Er saß im Boot und blickte schon eine ganze Weile nach oben. Sina, die Labradorhündin saß dort am Rande der ins Meer ragenden Terrasse und beobachtete ihn. Immer, wenn er die Hand hob, stand sie auf und er konnte sehen, wie sie den Schwanz hin und her bewegte. Sina hasste Salzwasser und blieb daher, wenn er mit dem Boot hinausfuhr immer an Land,
Das Ruder tauchte in das klare Wasser ein und erzeugte ein sanftes Kräuseln der Wellen. Er ließ sich treiben, wie jeden Tag um diese Zeit zwischen Tageslicht und Dämmerung.

Er nahm sich vor, das in Arbeit befindliche Bild morgen endlich fertig zu stellen. Eigentlich war es ja schon seit Tagen fertig, doch es gab immer wieder jenen und diesen Pinselstrich um es zu vervollkommnen.
Doch konnte er das nur in den Vormittagstunden, wenn die Sonne schräg am Himmel stand und das Licht hell und fluoreszierend war.

Sein Blick tauchte gedankenverloren in die sanft an die Planken des Bootes schlagenden Wellen, bis auf den Meeresboden zu den Spuren im Sand, die die kleinen Krebse auf ihren Wanderungen dort hinterließen.

Da war plötzlich das Gesicht dieses Mädchens wieder. Es lag an der Wasseroberfläche, als wäre sie ein Spiegel. Es war ein schönes, ebenmäßiges Gesicht.
Ganz am Anfang, als es ihm nur hin und wieder erschien, drehte er sich im Glauben, sie stünde hinter ihm, um. Doch dem war nicht so.

Das blonde Haar wurde von den Wellen auf und ab bewegt und umschloss ihr Gesicht wie ein Bilderrahmen. Die Augen waren halb geöffnet und sahen ihn fragend an. Ihre Lippen öffneten sich, als wollten sie ihm etwas sagen, das er nicht verstehen konnte.

Er vermied immer das Ruder zu bewegen um das Bild nicht zu zerstören. Sie schien seinen Blick festzuhalten und ehe er es sich versah, war er des Öfteren schon viel zu weit hinaus getrieben worden. Um wieder zurück zu kehren, musste er dann doch das Ruder mit voller Kraft einsetzen und das Boot wenden. Das Bildnis war dann jedes Mal verschwunden.

Er redete sich dann ein, dass es nur Einbildung war und versuchte das Geschehen zu verdrängen.

Dieses Gesicht drängte sich sogar in seine Träume. Es lockte ihn aufs Meer hinaus und er folgte willenlos und fand sich in manchen Nächten tief hinunter zum Meeresbodern, von sich bewegenden Schlingpflanzen umgeben, kämpfend mit Blätterranken, die ihn festzuhalten schienen. Er konnte sich nur unter allergrößter Anstrengung davon freimachen. Es gab da Muränen, die aus dunklen Höhlen der Felsen hervor schossen, die kleinen runden Augen gefährlich auf ihn gerichtet und das Maul mit den starken Zähnen zum Biss weit geöffnet. Und immer war das Gesicht vor ihm , dass ihn lockte und lautlos rief.


Er vertäute das Boot am Steg und ging langsam, immer wieder nach rückwärts aufs Meer blickend, zu dem Haus hinauf. Sina kam ihm auf halbem Wege entgegen und zusammen gingen sie ins Haus.

Die Nacht kam fast unvermittelt, die Sonne versank blutrot in den Fluten und die Dunkelheit hüllte ihn ein. Die Lampe rückwärts im Raum spendete gedämpftes fast orangefarbenes Licht und die Schatten der Möbel im Raum tanzten im Licht des Feuers im Kamin.

Er saß in dem tiefen Lehnsessel davor, streckte sein Beine aus und führte das Glas an den Mund. Der Geruch des alten Kognaks stieg ihm in die Nase und seine Hand versank im Fell von Sina, der neben ihm liegenden, zufrieden knurrenden Labradorhündin.

Das flackernde Feuer fesselte seinen Blick und die züngelnden Flammen erinnerten ihn wieder an das im Wasser schwebende helle Haar rund um das Mädchenbildnis.
In dieser Nacht ließ ihn der Gedanke daran nicht mehr los und bereits am frühen Morgen stand er auf seiner Terrasse und begann er mit einigen flüchtigen Pinselstrichen dieses Mädchengesicht aus dem Gedächtnis zu skizzieren. Vergessen war der Vorsatz, das andere Bild fertig zustellen, die letzten Pinselstrichen zu machen. Es lehnte vergessen an der Wand.

Zwischendurch schloss er immer wieder seine Augen, um sich das Bildnis in Erinnerung zu rufen und versuchte es dann auf die Leinwand zu bringen. Er arbeitete wie besessen und vergaß darüber Zeit und Raum völlig.

Erst Sina erinnerte ihn daran, dass es Zeit war etwas zu essen. Lieblos bereitete er für sich und Sina einen kleinen Imbiss zu und setzte sich dann gegenüber der Staffel, um die Zeichnung prüfend anzusehen.
Sina schien es nicht zu gefallen, sie knurrte leise.

Er war mit dem halbfertige Bild, eigentlich mehr eine Skizze, unzufrieden. Die Zeichnung wirkte flach und unwirklich, es fehlte ihr jenes gewisse Flair, welches das Bildnis im Wasser hatte. Es fehlte ihm an Leben. Die Augen waren seelenlos, der Mund formte keine Laute.

Er musste wieder hinaus, er musste versuchen, das Bildnis wieder zu finden, schwebend an der Oberfläche der Wellen. Musste in ihre Augen tauchen, hören was sie ihm zu sagen hatte.


Die Ruder tauchten regelmäßig und kraftvoll in das klare Wasser und seine Blicke streiften suchend über die Oberfläche. Die Sonne lag über dem Wasser und schickte Sonnenkringel in die Tiefe.
Einige Meter vor ihm sah er dann plötzlich die goldene Mähne des Mädchens auf und abtauchen. Er versuchte ihr näher zu kommen, ruderte schneller und angestrengter. Doch der Abstand verringerte sich in keiner Weise.

Die Hündin Sina, hoch oben auf der Terrasse hatte sich aufgerichtet und ihr Blick erfasste das Boot, welches sich immer weiter entfernte. Sie lief nervös hin und her und versucht durch Bellen auf sich aufmerksam zu machen.

Er ruderte noch immer hinter seinem Traum her, versuchte die Worte zu verstehen, die sie flüsterte, doch er kam ihr niemals nahe genug.

Ihre goldenen Haare schienen sich im Ruder zu verfangen, ihr Gesicht tauchte weg und kam auf der anderen Seite des Bootes herauf. Ihre Augen blickten ihn groß und fragend an.

Er hatte längst jedes Maß verloren, entfernte sich immer mehr vom Land und das Haus am Felsen wurde immer kleiner, doch er beachtete es kaum. Er wollte ihr Gesicht aus der Nähe sehen, hören was sie sagte.

Und wenn er selbst hinabtauchen würde, mit ihr gemeinsam ein Stück schwimmen würde?

Er zog die Ruder ein und legte sie neben sich, richtete sich auf um über den Rand zu springen, hinenzutauchen in die aufgewühlten Fluten

Er bemerkte nicht die gefährliche Nähe des Riffs, merkte nicht die tödliche Gefahr.

Sina war längsseits aufgetaucht, sie hatte ihre Abscheu dem Wasser gegenüber überwunden, schwamm um ihr und um sein Leben. Sie bellte laut und fordernd.

Doch er konnte sie nicht mehr hören. Er war hineingetaucht in die Wellen, das Boot rammte krachend den Felsen, eine der Planken traf seinen Kopf, seinen Körper, die Brandung verschluckte ihn und trieb ihn zwischen den Felsen in das offene Meer. Das Sonnenlicht legte goldene Lichter über die Schaumkronen, sie tanzten wie eine goldene Mähne hin und her.

Möwen zogen ihre Kreise und ihr lautes Schreien vermischte sich mit den Geräuschen rundherum.

Sina hatte sich auf einen der Felsen gerettet, schüttelte ihr Fell und warf traurige, verzweifelte Blicke hinaus auf das Meer. Sie war zu spät gekommen.

Sie wurde am nächsten Morgen von Fischern mitgenommen, die vorbeifuhren. Sie sahen die zerschellten Reste des Bootes und nickten wissend.

„Wahrscheinlich hat ihn die Frau aus dem Riff geholt! Sie hat wieder ein Opfer gefunden!“




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