Die Geschichte eines Düsseldorfer Hafenkindes und ihrer Zeit..


4. Fortsetzung.

Elena konnte sich noch gut an die sogenannte Reichskristallnacht am 9. November 1938 erinnern. Als der Vater blass ins Zimmer trat und nur sagte: ” Die Synagoge brennt. Sollte der Hitler wirklich einen Krieg wollen, dann hat er ihn hierdurch schon verloren.”

Sie erinnerte sich des kleinen, höchstens zehnjährigen Judenjungen, der ihr auf dem Fürstenwall in Düsseldorf entgegenkam - still und blass, doch ohne die Augen niederzuschlagen, seinen Judenstern trug.

Elena wusste nicht, was dieser Stern zu bedeuten hatte. Aber sie sah auf dem Weg zur Konkordia-Schule in Düsseldorf zerschlagene Fenster und Möbel auf der Straße liegen und sie erinnerte sich der dummen Antwort auf ihre Frage an die Klassenlehrerin, warum das geschehen war. Und sie erinnerte sich an das Schild im Schrebergarten:
“Für Hunde und Juden verboten”. Sie hätte es wissen müssen.


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1943 traf die Nachricht ein, dass das Haus und der Betrieb, in dem Elenas Vater vor seiner Einberufung zum Militär als Meister beschäftigt war, durch Phosphor abgebrannt sei. Nicht nur das Gebäude, auch die vier Pferde mit dem Pferdeknecht Rütter waren verbrannt.

Rütter hatte wahrscheinlich die Sirene ignoriert.
Sie heulte fast jede Nacht und das oft mehrere Male. Die Pferde wurden
von der Hafenpolizei erschossen, weil sie brennend und vor Qualen brüllend durch das Hafengebiet rasten. Rütter wurde nicht mehr gefunden.

Elena dachte zurück an den Abend, als die Sirenen heulten, grelle Scheinwerferlichter sich hoch am Nachthimmel kreuzten und die Flak von gegenüber, vom Dach des Gewerkschaftshauses in der Stromstrasse, versuchte, die Eindringlinge abzuschießen, und sie es nicht mehr schafften, in den sicheren Luftschutzraum der Fortin -Werke zu kommen.
Dicht zusammengekauert saßen sie in der Küche und Elena hört heute noch das scharfe, feindliche Zischen der Bombe, die dann ganz in der Nähe in die Kaimauer des Hafenbeckens einschlug.

Elena dachte voll Dankbarkeit an ihren Vater. Nur ihm hatte die ganze übrige Familie ihr Leben zu verdanken. Der Vater hatte dafür gesorgt, dass die Mutter mit dem kleinen Bruder rechtzeitig evakuiert wurde.

Es gab damals die Möglichkeit, dass Mütter mit Kleinkindern in bombensicheres Gebiet geschickt werden konnten.
Elena wurde am Abend, vor der Abreise der Mutter und des Bruders in die Ostmark, wie man Österreich damals nannte, von ihrer um 6 Jahre älteren Schwester nach Königsberg, zu der Schwester der Mutter gebracht. Das war Anfang September 1941.

Ihre Schwester Ruth hatte Semesterferien und so passte alles ganz gut zusammen. Beide Mädchen, trotz Abschiedsschmerz, freuten sich, endlich die Heimat ihrer Mutter, von der sie so oft gesprochen hatte und deren schwermütige Lieder sie so gerne sang, kennen zu lernen. Außerdem lebten auch noch die Halbbrüder und deren Kinder und die Stiefmutter in der Stadt.

In Königsberg gab es keinen Fliegeralarm. Nur ab und zu brummte in der Dunkelheit ein russischer Aufklärer über der Stadt. Im Sommer 1941 war die Welt in Königsberg noch in Ordnung. Die beiden Mädchen fuhren Kahn auf dem Schlossteich und dabei lernten sie den Soldaten Hartwig kennen. Einen Soldaten auf Heimaturlaub, der sich offensichtlich in Ruth verliebt hatte;
von ihm wird später noch die Rede sein.

Sie streiften durch das schöne Königsberg, sahen den Dom und gingen an den Pregel zum Hafen. Sie fuhren mit der Tante, diese Fahrt war ein Geburtstagsgeschenk der Tante für Ruth, mit der Eisenbahn bis Kranz. Von dort mit einem weißen Dampfer nach Rossitten, auf die Kurische Nehrung.

Sie lagen auf den weißen Wanderdünen und schauten den Übungsflügen der Flugschüler, des irgendwo in der Nähe gelegenen Fliegerhorstes zu. Sie bildeten sich ein, wenn die Flugzeuge mit ihren Tragflächen wackelten, dass es ihnen galt. Sie sahen den ersten Elch in ihrem Leben und rissen vor Schreck aus. Sie lebten das erste Mal in ihrem Leben für einige Tage in einem Hotel. Sie saßen am Strand und schauten zu, wenn ein weißes Schiff am Horizont auftauchte - zuerst Rauch, dann ein Stückchen des Schornsteins, und dann nach und nach das ganze Schiff. Sie sahen riedgedeckte Katen und genossen die warme, milde Streichelluft am Kurischen Haff.

Ja, für sie war im Herbst 1941 noch alles in Ordnung in Ostpreußen.


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Kommentare (1)

Traute ja Du hältst die unterschiedliche Chronologie ein. In Ostpreußen war lange Ruhe, als man im Mutterland schon bombardierte.
Auch mit den Juden hast du Recht, Wir Kinder wussten gar nicht was das zu bedeuten hat.
So hörte ich mal Erwachsene von den Russen reden, ich glaubte, das komme vom Ruß und es wären schwarze Männer vor denen ich mich ja auch fürchtete.Man übernimmt die Wertung der Erwachsenen, wie fasse die Ofentür nicht an, du verbrennst dich.
Was soll man wissen von Völkern und Politik mit 7 Jahren? Aber zum Büßen war nachher keiner zu Jung.
Mit Interesse, sehe ich wie sich die Ereignisse einreihen und ich bin gespannt wie es weitergeht.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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