Die Geschichte eines Düsseldorfer Hafenkindes und ihrer Zeit..


7. Fortsetzung.

Einige Nächte nach diesem Ereignis konnten Elena, ihre Mutter und der Bruder nicht einschlafen. Die ganze Nacht hörten sie über sich Schritte.
Hin und her gingen die Schritte. Auf und ab. Die ganze Nacht. Und dann gegen Morgen verstummten sie. Ein bis zwei Stunden war Ruhe. Dann polterten in großer Hast Schritte über die alte Holzstiege. Als die Mutter angstvoll aus ihrer Zimmertür schaute, kam gerade der Binder mit bleichem Gesicht von oben herunter. “Der Kreisleiter hat sich vergiftet , stöhnte er.

Einige Tage vorher, in der Dunkelheit, hatte der Kreisleiter Zuflucht bei dem Bauern gesucht und der Binder hatte ihn nicht abgewiesen. Er hatte ihm die Bodenkammer zur Verfügung gestellt. Ganz heimlich. Der Kopfinger Gendarm wusste davon und hielt den Mund. Man musste abwarten.

Die Familie des Kreisleiters hatte bei anderen Parteimitgliedern in der Umgebung Zuflucht gefunden. Doch wie Frau Göbbels, so vergiftete auch diese Frau ihre vier Kinder und sich selbst. Ein Kind konnte gerettet werden, weil die Giftmenge nicht ausgereicht hatte. Diese Nachricht, die der Binder ihm überbringen musste, hatte den Kreisleiter veranlasst, sich das Leben zu nehmen.

Die Amerikaner waren im Anmarsch. Die Kopfinger hängten vernünftigerweise weiße Laken aus den Fenstern. Hitlerbilder und Hitlerbüsten verschwanden.
atte. Und diese Nachricht, die der Binder ihm überbringen musste, hatte den Kreisleiter veranlasst, sich das Leben zu nehmen.

Wer beerdigt einen gewesenen Kreisleiter?
Der Binder zimmerte notdürftig einen Sarg, hievte ihn auf den Leiterwagen, spannte seinen Ochsen davor und fuhr ihn auf den nahegelegenen Friedhof. “Getreu bis an das Grab.” Elena hat es gesehen und nicht vergessen.

Er grub eigenhändig die Grube aus. Eigenhändig hat er ihn begraben unter den höhnischen Zurufen des Küsters. Das Grab lag in der äußersten Ecke des Friedhofes. Dann fuhr er mit seinem Ochsenkarren zurück nach Hause.

Doch damit war die Sache für den Binder noch nicht erledigt.
Eines Tages fuhr ein amerikanischer Jeep vor. Auf dem Kühler des Wagens saß ein österreichischer Widerstandskämpfer und fuchtelte mit seinem Maschinengewehr herum. Alle aus dem Haus mussten antreten und allen war nicht wohl zumute. Nach einigen wilden Redensarten und Drohungen des Wieners, der ein Bruder der damaligen Nonne war, fuhren die Amerikaner mit ihm wieder weg. Die Zurückgebliebenen wussten nicht so recht, was sie davon zu halten hatten.

Die Arbeit auf den Feldern ging weiter. An einem warmen, schönen Früh-Sommertag - es muss die Zeit der ersten Heu-Ernte gewesen sein-, waren die Binderleute und mit ihnen Elena auf die Wiese an der Straße hinter Kopfingerdorf gegangen. Von dort hat man einen freien Blick hinunter, bis zu dem Punkt, wo der Wald die Straße verschluckt. Sie waren fertig mit ihrer Arbeit, schulterten die Rechen und machten sich auf den Weg heimwärts, als sie einen amerikanischen Jeep, in dem mehrere amerikanische Soldaten saßen, die Straße von Mitterndorf nach Kopfing herauf fahren sahen.

Sie überlegten, wo die wohl hinwollten, denn irgend etwas hatte das zu bedeuten. Sie gingen, neugierig geworden, über die Wiese zur Straße dem Ortseingang zu - und dann hörten sie das Schreien. Es war schrecklich.

Sie blieben wie angewurzelt vor dem Haus stehen aus dem die Schreie kamen. Vor dem Haus stand der Jeep und an das Fahrzeug gelehnt, ein Amerikaner mit Maschinengewehr. Die übrigen Drei waren in dem Haus und schlugen die beiden SS-Offiziere, die sich bei der Ehefrau des einen versteckt hielten, zu Tode. Die Frau, eine evakuierte Wienerin, lief weinend um das Haus, neben sich das ungefähr vierjährige Töchterchen. Sie fiel auf die Knie und betete laut: „Herrgott hilf....bitte, hilf mir doch !“
Niemand konnte ihr helfen. Wie Elena später erfuhr, sollen diese beiden
SS-Offiziere für die Zustände in einem KZ Lager verantwortlich gewesen sein.

Niemand konnte ihr helfen. Ein Junge aus Kopfingerdorf lief zum Pfarrer. Er solle kommen, es wäre etwas Schreckliches passiert. Der Pfarrer kam nicht. Später hat er die Witwe eines SS Offiziers zu sich als Haushälterin genommen. Er hatte die beiden Offiziere denunziert.
Nicht ohne Grund.

Die Schreie wurden zu einem Wimmern. Dann trieb der zurückgebliebene Amerikaner, die, wie versteinert dastehenden Anwesenden, mit vorgehaltenem Gewehr zurück. Bauern aus Kopfingerdorf sollen die Leichen der beiden Offiziere, die bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet waren, und die die Amerikaner aus dem Jeep auf die Straße nach Mitterndorf warfen, gefunden und beerdigt haben.
Doch das hat Elena nicht gesehen.

Am 20. September 1945, einen Tag nach Ruth`s Geburtstag, bekamen alle Reichsdeutschen die Ausweisung. Innerhalb von 24 Stunden hatten sie Österreich zu verlassen. Am selben Abend nähte die Mutter aus einem Stück Dekorationsstoff einen Sack - mit der Hand, denn eine Nähmaschine besaßen weder sie, noch die Bäuerin. Die Mädchen ließen sie alleine in ihrer Not und mit ihrer Arbeit.

Beiden Mädchen war das Herz schwer. Beide mussten Abschied nehmen und sie ahnten, dass es ein Abschied für immer war. Sie sahen wohl ihre Freunde später wieder, doch ihre Lebenswege wurden durch die Zeitumstände getrennt. Franzl war aus Andorf heraufgekommen und bat die Mutter, noch einmal mit ihrer ältesten Tochter spazieren gehen zu dürfen. Elena bettelte: “ Nehmt mich mit, ich werde euch bestimmt nicht stören. Ich will nur noch einmal Fritz sehen und sprechen.!” Ihre Schwester Ruth lehnte das ab, aber Franzl hatte Mitleid und sagte: ”Komm, vielleicht hast du Glück und siehst ihn noch einmal.”

Elena hätte ohne seine Hilfe das Haus nicht verlassen dürfen. Sie hätte es letzten Endes auch ohne Erlaubnis getan.
Aber so war es ihr lieber.

 


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Kommentare (1)

Traute es ist doch zum Heulen.
Immer das Gleiche.
Ein paar haben den Nutzen und die Aufgehetzten und die neu Aufgehetzten machen sich gegenseitig nieder und das Spiel beginnt neu, nach den gleichen, alten Regeln.
Es wird wohl noch viel Leid und Elend geben, bevor den Verursachern die Gier mal vergeht und das Fußvolk mal nicht nach deren willen marschiert.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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