Die Geschichte eines Düsseldorfer Hafenkindes und ihrer Zeit..


12. Fortsetzung:

Die arme Frau - aber nach der Qualität ihrer Ausstattung zu schließen, war sie sicher nicht arm - vielleicht war aber das nur das Einzige, was sie noch retten konnte.

Trotz ihres schlechten Gewissens, mussten beide Mädchen lachen, besonders, als Ruth mit übertriebener Anmut die Sachen an ihren Körper hielt - 10 Nummern zu groß !

Später fanden sie dann eine Schneiderin, die die Sachen änderte. Ruth gab dafür ihrer Tochter Nachhilfeunterricht.
Es wurde gerecht geteilt - Ruth bekam das schwarze Woll-Kostüm mit brauner Nerzeinfassung und Elena das schlichte, elegante Graue, und dazu einen wunderschönen, grell bunten, ungarischen Wickelrock.

Schlimm war nur, dass sie, bis sie wieder zu Hause waren, in ihren Sachen, die sie am Körper trugen, ausharren mussten. Sie hatten nichts mehr zum Wechseln dabei.

Hoffentlich hatten die Binder-Leute etwas Seife für sie übrig. Wie gesagt, sie verbrachten die Stunden bis zu ihrer Abfahrt in einem abgestellten Zugwaggon und freuten sich auf ein Wiedersehen mit Franzl und Fritz.

Sie waren noch nicht lange gefahren, als an einer der nächsten Stationen der Zug hielt und Militär-Polizei zustieg und die Pässe kontrollierte.
Die Mädchen versuchten an das Ende des Zuges zu gelangen um dort auszusteigen, und nach Möglichkeit, in ein schon kontrolliertes Abteil wieder einzusteigen. Das gelang nicht. Gleichzeitig waren Kontrolleure
vorne, hinten und in der Mitte des Zuges zugestiegen. Ein Entrinnen war nicht möglich.

Sie wurden mit vielen anderen Reisenden festgenommen, auf einen bereitstehende Lastwagen verladen und in einen Ort gefahren, dessen Namen sie nicht kannten.
In einer Scheune, die vorne ein großes Tor hatte, und hinten an den auf einer kleinen Anhöhe liegenden Friedhof samt Kirche grenzte, wurden sie eingesperrt.
Neben der Scheune befand sich eine, von den Amis besetzte, Schule. Das Tor vorne wurde zugesperrt und ein brummiger, rothaariger Ami patrouillierte davor auf und ab.
Das Gewehr geschultert.

Das Tor vorne war unterteilt - man konnte es in der Mitte öffnen, wie das übrigens bei vielen alten Bauernhäusern war. Es befanden sich mindestens 40 Festgenommene in der großen Diele. Unter ihnen viele ehemalige Landser, die in Uniform aber auch in alter, von irgendwoher besorgter Zivilkleidung, versucht hatten, sich in die Heimat durchzuschlagen.
Nun standen sie gruppenweise zusammen und beratschlagten, was zu tun sei. Zwei ganz junge Soldaten, ungefähr in Ruth`s Alter, gesellten sich zu den beiden Mädchen.

“Wir müssen uns selbständig machen“ sagten sie „..nur dann haben wir vielleicht eine Chance. Kommt ihr mit ? Wir versuchen jedenfalls abzuhauen“.
Die Älteren in der Gruppe waren skeptisch. Sie wollten abwarten. Aber sie wollten helfen. Zwei oder drei von denen, die keinen Ausbruch riskieren wollten, baten den Amerikaner, der immer noch vor dem oben geöffneten aber unten verriegelten Tor auf- und abging, um Feuer für ihre Zigaretten. Der Ami holte sein Feuerzeug aus der Hosentasche und knipste und knipste- es funktionierte nicht.

Nun entspann sich ein Gespräch über die Unzuverlässigkeit amerikanischer Feuerzeuge und das in mehr oder weniger schlechtem Englisch, was den Ami ziemlich in Rage brachte. Er versuchte wieder und wieder das Gegenteil zu beweisen. Ohne Erfolg. Schließlich kam einer von den Inhaftierten auf den Gedanken, dass kein Benzin mehr in dem Feuerzeug sein könnte. Nach einigem Überlegen ging der Ami zu dem Lastwagen, um Benzin abzufüllen.

Diesen Augenblick benutzten die beiden jungen Soldaten, Ruth und Elena, um zu entkommen. Einem der Soldaten war es geglückt, das hintere Scheunentor zu öffnen.Sie verschwanden blitzschnell aus der Scheune.
Der Wachposten war abgelenkt und sie schafften es, die vereisten Stufen, die zu dem Friedhof hinaufführten, zu überwinden.

In den offenen Fenstern der beschlagnahmten Schule lärmten die, noch vom Wochenende nicht ganz nüchternen, GIs. Bevor diese die Zusammenhänge begriffen hatten, waren die vier auf dem Friedhof verschwunden.

Ihr Weg führte an einem kleinen Häuschen vorbei - vielleicht der Wohnsitz des Küsters. Ein hässlicher, kleiner Kläffer rannte hinter ihnen her und versuchte in ihre Hosenbeine zu beißen. Sie hatten alle vier wahnsinnigen Hunger und einer der Soldaten lockte den Hund: “ Komm Gulasch, komm.” Der Hund haute ab.

Sie durchquerten, so schnell ihnen das der verharschte Schnee erlaubte, den Friedhof und gelangten auf eine Straße, die zu einem nicht weit entfernten Ort führte.
Sie waren auf dieser Straße nicht alleine. Ein Trauerzug zog vom Friedhof kommend ins Dorf zum Leichenschmaus. Was tun? Sie schlossen sich an. Was blieb ihnen auch anderes übrig? Sie nahmen, wie die anderen Trauergäste Platz in der Gaststätte. Vorsorglich in der Nähe des Ausgangs und an einem Nebentisch. Für alle Fälle. Niemand merkte etwas. Einige Trauergäste schienen zu überlegen, von welchem Zweig der Verwandtschaft sie wohl abstammten. Und dann die Koffer - wollten die etwa schon ihr Erbe holen ?

Da es aber nun einmal der Brauch ist, dass sich die gesamte Verwandt- und Bekanntschaft, vollzählig oder fast vollzählig, nur an den Beerdigungen trifft, hatten sich alle viel zu erzählen, - alle redeten und kaum einer hörte dem anderen wirklich zu. Die Vier hatten nicht die geringsten Schwierigkeiten. Das war Glück. Es gab ein köstliches Essen. Sie aßen mit Behagen, vielleicht ein wenig zu gierig, die heiße Suppe, den Braten, die Knödel und das Kraut.

Elena meinte zu Ruth gewandt: ”Wir wollen uns die Nachspeise verkneifen, es wäre zu unverschämt, man soll das Schicksal nicht herausfordern”. Ruth sah das irgendwie nicht so ganz ein, es war doch bis jetzt alles gut gegangen. Aber die drei hörten auf „Cassandras Einspruch“ und einer nach dem anderen verkrümelte sich in Richtung Klo (mal wieder!) und Ausgang.
Die dralle, nette Bedienung rief ihnen noch gekränkt nach: „ Na, und die guade Noachspais. woalts net? - Sie machten, dass sie wegkamen.
Nie wieder haben sie eine so schöne Beerdigung gehabt- Wahrlich “a schäne Laich” - Sie ist jedenfalls nie in Vergessenheit geraten - bei allen Vieren nicht.

Sie marschierten gestärkt zur nächsten Bahnstation. Von nun ab gab es keine großen Schwierigkeiten mehr. Sie mussten zwar immer noch vorsichtig sein, aber sie gelangten ohne weitere Kontrollen nach Linz. Irgendwo zwischen Linz und Andorf mussten dann die beiden Soldaten aussteigen, sie waren am Ziel. Sie gaben Ruth und Elena ihre Adressen und sagten:

”Wenn uns das Abenteuerfieber wieder packen sollte, dann gehen wir gemeinsam auf große Fahrt, oder könnt ihr euch vorstellen, dass wir vier noch ein ganz stinknormales Leben führen können ?” - Ja, so werden Abenteurer geboren


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Kommentare (1)

Traute Wie das Leben uns zu Helden machte!
Mit freundlichen erwartungsvollen Grüßen,
Traute
Traute 2(Traute)


Für jedes Mädchen eine Rose für die Heldentaten

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