Die Geschichte eines Düsseldorfer Hafenkindes und ihrer Zeit..


Letzte Fortsetzung.

Ruth und Elena fuhren weiter bis Andorf. Hier mussten sie aussteigen und auf den Omnibus warten, der, von Schärding kommend, über Andorf nach Kopfing fuhr.

Sie warteten in einem Gasthof auf den Omnibus.
An einem Nebentisch saß ein junger Mann, den Ruth, von Taufkirchen her, flüchtig kannte. Ohne um Erlaubnis zu bitten, machte er sich an ihrem Tisch breit.
Ach, wäre er doch an seinem Tisch sitzen geblieben !!

Er schien gute Kenntnisse von allen Neuigkeiten der Umgebung zu haben. Solche Menschen gibt es überall. Er erzählte mit Behagen , dass Franzl Huber eine neue Flamme habe und auch beim Brunnbauer Fritz hätte sich wohl etwas mit einer Lehrerin angebandelt.

Nicht einmal acht Wochen konnten diese Österreicher treu sein! Dafür diese Tortur, die Ruth beinahe das Leben gekostet hatte. Ruth und Elena waren todtraurig und maßlos enttäuscht. Sie gingen pünktlich zum Bus, ohne sich weiter um den Informanten zu kümmern.

Der Bus kam und sie stiegen ein. In dem dämmrigen Licht konnten sie schlecht sehen. Sie gingen durch den Gang um sich einen Platz zu suchen. Und dann sah Elena Fritz.

Er saß in der letzten Reihe. Er lachte, als er sie erkannte und begrüßte sie sichtlich überrascht und erfreut. Elena begrüßte ihn ihrerseits ausgesprochen hochnäsig und zickig. Sie ärgerte sich über sich selbst, doch ihre Enttäuschung war zu groß. Die Busfahrt verlief in gedrückter Stimmung. Als sie in Kopfing zusammen ausstiegen, fragte Fritz: “Sehen wir uns wieder ?“ und Elena antwortete albern: “Wenn es der Zufall will” - sie hätte sich selbst ohrfeigen können.

Die Binderleute waren sehr überrascht, als sie sahen, wer in der Dunkelheit an das Tor klopfte. Der Binder selbst war nicht mehr da. Ihn hatten die Amerikaner interniert. Ob der Grund der „Kreisleiter“ oder seine frühe Mitgliedschaft in der NSDAP war, das konnten die Beiden nicht erfahren.
Sie haben ihn nicht wieder gesehen. Einige Monate später, ist dieser kräftige, hoch gewachsene Mann, der Elena manchmal an Rübezahl erinnerte, gestorben.

Ruth und Elena blieben einige Tage in Kopfing. Beim Ungerwirt wurde aus irgendeinem Anlass der Ballsaal geschmückt und beide Mädchen schauten hinein, obwohl es leichtsinnig war. Otmar erkannte Elena und schrie laut ihren Namen. Er packte sie und wirbelte sie herum. Die Freude war groß.
Bei ihrer Ausweisung hatte er, auf seinem Fahrrad sitzend und mit der linken Hand sich am Leiterwagen festhaltend, sie ein Stück begleitet, bis er plötzlich stürzte und sein Fahrrad verbogen war und er zurückbleiben musste.

Lange konnten sie nicht bei den Binderleuten bleiben. Diese konnten sich keine Illegalen Grenzübertreter in ihrer schwierigen Situation leisten. Das sahen die Mädchen ein. Von Franzl hatte Ruth den Namen und die Anschrift eines Mannes erfahren, der gegen Ware die Leute „schwarz“, wie man das nannte, über die grüne Grenze brachte. Über Salzburg wollten sie auf keinen Fall mehr fahren.

Diesmal sollte die Reise über Passau gehen. Nur der Volksempfänger, der musste „dran glauben“ – den wollte der Mann haben.
Die Binderin wusste, dass ein Bauer sehr früh morgens mit seinem Milchwagen Richtung Andorf fuhr.

Mit ihm, seinen Ochsen und den Betten in den Koffern, fuhren sie zu dem Mann, der sie über die Grenze bringen sollte. Es müsste nachts geschehen, sagte er. Am Tage geht nichts. Elena weiß nur noch, dass sie die Stunden bis zur Nacht im Hause und bei der Familie des Mannes verbracht haben. Auch zu essen bekamen sie dort. Und dann mussten sie warten und warten.

Elena schrieb einen Brief an Fritz:
”Alles was ich denke und empfinde, lege ich in das kleine Lied, das Du uns am Ortsausgang, als wir ausgewiesen wurden, auf deiner Ziehharmonika gespielt hast...“ -

Sie übergab dem Mann den Brief mit der Bitte, ihn in den nächsten Briefkasten zu stecken. Sie wussten ja nicht, ob sie heil und gesund nach Hause gelangen würden. Dieser Brief ist nie angekommen. Wahrscheinlich hat ihn der Mann einfach vernichtet, aus Angst, dass er eventuell in dem Brief erwähnt wurde. Wer weiß ? Wie dem auch sei. Zwanzig Jahre vergingen bis sie Fritz wiedersah.

Im Dunkel der Nacht machte sich eine kleine Gruppe von Menschen auf den Weg. Sie gingen verschlungene Wege und durch feuchte Wiesen. Der Mann kannte die Gegend genau. Es war bestimmt nicht das erste und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal, dass er diese Wege entlang schlich. Es durfte nicht gesprochen werden. Sie kamen auf eine Lichtung. Auf einmal zischte er: ” Wir sind im Niemandsland, hinlegen und auf allen Vieren weiter!”

Gut gesagt, aber wie macht man das mit vier vollen Koffern? Die anderen Grenzgänger hatten nur Rucksäcke auf dem Rücken. Sie krochen, die Koffer hinter sich herziehend, so gut es ging - doch, was war das? Was war das für ein Geräusch? Es klang wie Geschnatter.

Elena stieß fast mit dem Kopf an den Kopf eines Grenzgängers von der anderen Seite. Nicht zu glauben. Er hatte Gänse im Rucksack. Die Schmugglerführer kannten sich. Einige leise Grußworte und der Spuk war vorbei. Elena hätte nach diesem Schrecken am liebsten laut gelacht, aber das durfte sie nicht. „Nun müsst ihr alleine weitergehen“... sagte der Mann „..dort ist die Grenze“ - noch einige Meter und sie waren in Bayern !

Leise singend, innerlich noch vor Aufregung zitternd, den feuchten Wiesendreck an Händen und Kleidern, gingen sie in Passau über die notdürftig reparierte Brücke. Trotz und Wut im Bauch marschierten sie durch ein besetztes, zerstörtes Deutschland.

Sie sangen ein altes Lied aus der Landsknechtszeit:

Wilde Gesellen vom Sturmwind umweht,
Fürsten in Lumpen und Loden,
Zieh`n wir dahin, bis das Herze uns steht,
Ehrlos bis unter den Boden.
Viele Gewand in farbiger Pracht,
Trefft keinen Zeisig ihr bunter,
Ob uns auch Speier und Spötter verlacht,
Uns geht die Sonne nicht unter.

Zieh`n wir dahin durch Braus oder Brand,
Klopfen bei Veit oder Velten,
Hilfreiches Herze und hilfreiche Hand,
Sind ja so selten , so selten.
Weiter uns wirbelnd auf staubiger Straß,`
Immer nur hurtig und munter,
Ob uns der eigene Bruder vergaß,
Uns geht die Sonne nicht unter.


Aber da draußen, am Wegesrand,
Dort bei dem König der Dornen,
Klingen die Fiedeln im weiten Gebreit,
Klagen dem Herrn unser Karmen,
Und der Gekrönte sendet im Tau,
Tröstende Tränen herunter,
Fort geht die Fahrt durch den wilden Verhau,
Uns geht die Sonne nicht unter.


Sarahkatja


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Kommentare (1)

Traute die Grenzgängerei war ja nicht ungefährlich. Als ich in Hagenow wohnte hatte man etliche umgebracht, die mit vollem Gepäck zurück kamen.
Was war das für ein Leben, voller Herausforderungen und voller Notlösungen.
Tapfere überlebten das.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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