Gibt es sie überhaupt, die "große Liebe"?
Damals, vor über 55 Jahren kamen ihm die großen Zweifel, als seine "große Liebe" - seine Verlobte - drei Wochen vor der Hochzeit mit einem farbigen Sänger durchbrannte.
"Große Liebe" die - wie sich nun herausstellte - ziemlich einseitig war.
Die Gäste waren geladen, Fleischmarken - damas gab es noch Lebensmittelkarten - für den Hochzeitsbraten gespart worden.
Natürlich waren ihre Eltern sauer und die Tochter bekam mit ihrem "Schwatten" - wie ihr Vater ihn nannte - für viele Monate Hausverbot.
Obwohl die Eltern ihre Tochter liebten, kamen sie mit dieser Wahl nicht klar. Die Zeiten waren damals so.

Auch dem "versetzten Bräutigam " ging es schlecht in den folgenden Wochen, er stand vor dem Studienabschluß und dann das.
Irgendwie schaffte er den Abschluß dann doch noch, war aber - der großen Enttäuschung wegen - auf die gesamte "Damenwelt" nicht gut zu sprechen.
Das "schöne Geschlecht" wurde nur noch als das "Falsche" bezeichnet und er fing an, den Frauen aus dem Weg zu gehen.
Doch allmählich änderte sich das, als ein Kollege ihn bat, dessen kleine Hochzeitsfeier mit seinem Akkordeon musikalisch zu umrahmen.
Da er solo war, besorgte man ihm eine Tischdame, eine langhaarige, schlanke Blondine, mit langen, hübschen Beinen die ihm sofort gefiel.

Auch sie fand Gefallen an ihm und so traf man sich gelegentlich, ging mal tanzen und kam sich näher.
Sehr nahe sogar.
Aber die Schmetterlinge im Bauch kamen nicht und auch sein Herz schlug bei ihrem Anblick kaum schneller.
Doch er mochte sie, ihre offene, fröhlich Art, auch wie sie sich kleidete und ging.
Andere Männer drehten sich nach ihr um, was ihn stolz machte.

Für ihn ging es nicht tiefer, war nur eine "Bettgeschichte", ein tieferer Flirt, mehr nicht.
Er war wohl kaum verliebt in sie, sie in ihn umso mehr.
Kurzum, es kam wie es fast immer kommt: Sie holte ihn eines Tages von der Arbeit ab und bat um eine Unterredung. Man ging in ein nahegelegenes Cafe und sie sagte dann die berühmten drei Worte: "Ich bin schwanger!"

Nun waren es damals ganz andere Zeiten und die Wertvorstellungen waren anders als heute.
Da stand ein Mann noch zu seinem Wort.
Da ein Schwangerschaftsabbruch für Beide nicht in Frage kam, fragte er sie, ob sie ihn heiraten würde.
Sie war freudig überrascht, hatte wohl mit solch einer Reaktion seinerseits nicht gerechnet.
Sie fiel ihm um den Hals und jubelte - daß sogar die Leute schauten - "Ja, ja, ja".

Doch er war so erzogen, daß er für alle seine Taten die Verantwortung trägt.
Und Verhütung war immer ein Fremdwort für ihn gewesen.
Aber niemals hätte er ein Mädel "sitzengelassen".
Der damals propagierte "Anstand" eben.
Sie war zwar nicht seine große Liebe, aber er die ihre, wie er oft erfahren durfte.
Er brachte sie nach Hause um mit ihrer Mutter zu sprechen.
Die war überhaupt nicht begeistert, hielt diesen Jung-Ingenieur - der ihre Tochter geschwängert hatte - für einen Hungerleider.

Sie hatte ganz andere Pläne mit ihrem einzigen Kind, die durch diesen Kerl zunichte gemacht wurden.
Die Hochzeit sollte - nach ihrem Willen - so stattfinden, daß "noch nichts zu sehen" war.
So wurde sechs Monate nach der Hochzeit die Tochter geboren, also ein typisches Sechs-Monatskind.
War es das Kind, das ihnen solch einen Zusammenhalt gab?
Die Ehe lief ganz "normal" oder ist es unnormal, daß sie nun über 52 Jahre verheiratet sind?
Und noch immer rundum zufrieden... Trotzdem es "nur" eine "Vernunftehe" war....
Anscheinend waren sie Beide "vernünftig" und manche "Liebesehe" hält nur kurze Zeit.
Gegenseitiger Respekt und Achtung vor dem Anderen waren ihnen immer wichtig.
Auch Toleranz und Freiraum für jeden.

Sicher, es gab auch mal Streit, wie in anderen Ehen auch.
Es ist aber nie Geschirr geflogen, keine "fliegenden Untertassen" oder andere Küchenteile.
Soweit konnten sie sich Beide beherrschen.
Und "körperliche Auseinadersetzungen" waren ein Fremdwort für Beide.
Da sie beide berufstätig waren, hatten sie immer Gesprächsthemen, jeder interessierte sich für die Arbeit des anderen.
Oft arbeitete er an den Wochenenden um der kleinen Familie einen gewissen Wohlstand zu bieten. Sie leben im eigenen Haus.
An freien Tagen wurde gewandert und als die Kleine laufen konnte, machte sie begeistert mit.
Später, als sie zur Schule ging, kümmerten sie sich Beide um ihre schulischen Leistungen, sie war ehrgeizig und der Sonnenschein der Familie.
Papas Liebling war sie sowieso, auch heute noch.
Wie schnell sind die Jahre dahingegangen, wenn er heute zurückschaut, sagt er sich, daß er alles richtig gemacht habe.

Die Tochter wurde zur Heimatliebe erzogen und ihr größtes Hobby ist wandern und tanzen.
Das scheint sie von den Eltern zu haben.
Ebenso die Liebe zur Arbeit, denn sie hat sich selbsständig gemacht und sich mit ihrem Gästehaus in dieser kleinen, bunten Stadt ein großes Ansehen erworben.
Und nicht nur hier!
Nun sind auch schon die Enkel erwachsen, zwei große, stramme Kerle, die ihrem Opa oft Mut für den PC gemacht und ihm geholfen haben.
Es war bisher ein erfülltes Leben, auch, wenn er nicht die "große Liebe" geheiratet hat.
Aber seine Frau hat ihm den "Glauben an die Menschheit", an das Gute in der Frau, wiedergegeben.

In vielen Ehejahren spukte ihm abends, vor dem Einschlafen, noch immer seine "große Liebe" durch den Kopf.
Bis ihm vor einigen Jahren eine Illustrierte in die Hände fiel, in der Hochzeitsfotos einer Schlagersängerin waren.
Da sah er "Sie", als Gast auf der Hochzeit nach über 40 Jahren wieder.
Eine 150 Kilobombe mit aufgedunsenem Gesicht, statt der - früher so schönen braunen - Augen nur noch ein Paar "Schweinsritzen".
Wenn ihr Name nicht darunter gestanden hätte, würde er sie nicht wiedererkannt haben.
Er konnte es nicht fassen, das sollte mal seine große Liebe gewesen sein?
Diese - früher so schöne, schlanke Frau - nein, nein er glabte es nicht.
Sie schien sich körperlich gehen zu lassen, was er von früher nicht kannte und was er nie akzeptiert hätte.
Schockiert aber irgendwie erleichtert knüllte er die Illustrierte zusammen und warf sie in die Papiertonne.
Tja, die "große Liebe", das war sie nun mal gewesen.
Und statt Enttäuschung nun große Erleichterung und er sagte sich nochmal:
Ich habe alles richtig gemacht!
Ähnlichkeiten mit dem Autor sind rein zufällig...oder auch nicht...wer weiß...
Einen schönen Tag
wünscht Gerry



Anzeige

Kommentare (5)

tilli Liebe ist ein großes Wort.Du hast in jungen Jahren eine schöne schlanke Frau sehr geliebt.Sie aber, wollte nicht.Du hast jetzt eine wunderbare Familie mit Enkelkindern.
Und die Warheid ist, das deine Liebe zu deiner Frau die wahre Liebe ist.Denn Liebe wächst manchmal später und gibt dem Leben einen Sinn.Deine Enkelkinder,dein Kind, die Liebe deiner Frau, die dich geliebt hat.Das ist schön.
Deine große Liebe in der Jugend, das war sie nicht.Ich schliesse mich Monisocke an,die sagt, dass Äußerlichkeiten bei wahrer Liebe nicht zählen.
Nach so vielen Jahren ändert sich auch die Frau, wird korpulent und nicht mehr atraktiv,wird man sie nach Jahren nicht mehr lieben?
Sei glücklich und zufrieden, denn du hast eine wunderbare Familie, das ist da größte Glück auf Erden.
Grüße Tilli
monisocke Der jungen Faru ist im Nachhinein noch zu gratulieren das sie vor der Hochzeit noch erkannt hat ,das ihr Verlobter wohl mehr auf Äusserlichkeiten legt las auf Herz und Seele.
gerry ...sie sehr oft in den Arm genommen und Ihr gesagt, dass er sie liebt!
Liebe kann wachsen!
Gruß Gerry
ehemaliges Mitglied Es kam ein bisschen viel "Er..." in deiner Erzählung vor. Schön, dass aus der nicht so großen Liebe ein Verstehen und Miteinander geworden ist.

Doch - habe ich es überlesen oder fand es wirklich nicht statt oder war es dann irgendwann so selbstverständlich, dass du es nur nicht erwähntest =

Hat der Titelheld (oder du?) denn auch mal seine ihn so umsorgende und liebende Frau in den Arm genommen und ihr gesagt: "Etwas Besseres als du hätte mir nicht passieren können, ich habe dich sehr, sehr lieb (oder inzwischen sogar "ich liebe dich")."
Das sollte unbedingt noch passieren, sonst hat die Geschichte bei mir einen leicht bitteren Nachgeschmack. Und für "Sie" vielleicht auch, obwohl sie wieder einmal die sein wird, die gibt und Nachsicht übt.

Ich hoffe "Er" ist nun nicht gekränkt, sondern denkt einfach mal darüber nach

Lieben Gruß
Loni
Traute Das moralische Hintergehen hat die stille innere Liebe nicht getötet?
Aber dann, als die veränderten Äußerlichkeiten präsent waren, oh Graus,
da war die Liebe wirklich aus?
Ach sei froh, dass Du geliebt wurdest und nicht umgedreht, derjenige warst der unerwiderte Liebe ein Leben lang treu dem Partner bot, neben allen Häuslichkeiten
und anderen Erwartungen hingab ohne den Lohn der erwiderten Liebe?
Ach wie ists möglich dann.....
Oft gelebte Variante,
Lieben dürfen ohne auf Gegenliebe zu treffen, was ist nun besser zu Lieben,
oder geliebt zu werden? Mit freundlich, nachdenklichen Grüßen,
Traute

Anzeige