Die grüne Flasche


Die grüne Flasche

Ich glaube, ich war außergewöhnlich schön. Grün, ein wunderbares Grün, das an die Dünung der Ägäis erinnerte. Mein runder Körper war so ebenmäßig geformt, dass es ein Lustgewinn schien, ihn zu berühren und zu streicheln.
Irgendwann hatte ich einem fantastischen roten Assyrtiko von der Insel Santorini als Behältnis gedient, einem vollmundigen Getränk, dessen Trauben an den Hängen der Insel wuchsen. 
Die Häuser des ein wenig entfernt liegenden Ortes Oia schimmerten in der abendlichen Sonne wie zartrosa angehauchte Perlen, die flachen hellen Dächer verbreiteten ein anheimelndes Gefühl von Wärme und Zufriedenheit. Dazu stand ich dann als smaragdgrünes Dekorationsstück auf einer Fensterbank - es war einfach nur schön und ich fühlte mich wohl.


Irgendwann an einem herrlichen Sommertag wurde ich völlig unerwartet von Eleni, der Tochter des Hauses auf die Reise geschickt. Ich war etwas verwirrt, sie schrieb ein paar Worte auf einen Zettel, rollte ihn zusammen und versenkte ihn dann in mir. Sie verschloss mich dann fest mit einem Korken, lief hinauf zu einer Klippe und warf mich weit hinein in die weiße Gischt des Meeres.
Da wurde ich nun umhergeworfen, durchgeschüttelt, oftmals schien es mir, als würde ich an einem Felsen zerschellen. Aber es ging alles gut. Nach endlos langer Zeit landete ich plötzlich auf dem offenen Meer. So schwamm ich dann dahin, ohne zu wissen, wohin ich eigentlich sollte.
Es schien mir eine endlos scheinende Reise zu werden. Ich sah unzählige Strände und Küsten von ferne, wurde durch spiegelnde warme tropische Meere getrieben, oftmals über spielerische saphirblaue Wellenberge gehoben.
Ich sah die hohe See, schaumig und ruhelos in himmelfarbenen Tönen, sah das Meer, schwer und azurblau in endlosen Weiten.
In den Nächten, wenn der Sternenhimmel über dem Firmament schläft, schlief auch ich. Ich ruhte in der schwankenden Wiege des nachtblauen Meeres. Es kam auch vor, dass ich von dem Duft des Weines träumte, der mich einst erfüllte. Dann dachte ich an die sonnenverwöhnten Gipfel meiner Insel, an die schattigen Täler am Rande des Vulkans. Ich träumte von Ebbe und Flut am Strand und vom nächtlichen Silberglanz der Mondsichel.
In meinem Inneren bewegt sich ab und zu der geheimnisvolle Brief des Mädchens Eleni. Was mag der Inhalt dieser Botschaft sein? Irgendwo, irgendwann werde ich es erfahren. Bis dahin treibe ich durch die Meere wie einst der »Fliegende Holländer«. Warte auf das Ereignis jenseits aller Träume und Vorstellungen.

 
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Jérôme hatte Semesterferien. Endlich, es war auch höchste Zeit, eine Unterbrechung des Studiums einzulegen. Er fühlte sich regelrecht ausgebrannt. Grand-merè hatte ihm geraten, während der Ferien zu ihr zu kommen und alle Flügel für einige Zeit in der Sonne trocknen zu lassen.
So war er nun schon einige Tage hier in Saintes-Maries-de-la-Mer bei seiner Großmutter zu Gast. Er fühlte sich wohl hier. Schon als Kind liebte er die Stunden am Meer ohne Stress und Hetze. Hier am Rande der Camargue war die Welt noch in Ordnung, hier war er noch Mensch.
Jérôme liebte die morgendlichen Spaziergänge am Strand; die Stille, in der nur das Rauschen des Meeres hörbar war, brachte sein Herz zum Klingen. Der Blick auf die Weite des Meeres ließ die Unendlichkeit der Schöpfung erahnen. Selbst bei grauem wolkenverhangenen Himmel konnte das Charisma dieser Landschaft mit allen tropischen Schönheiten ohne Frage konkurrieren.
An diesem Morgen war Jéromê schon früh auf den Beinen. 
Grand-merè wartete erst später mit dem Kaffee auf ihn. So joggte er frohgemut den Strand entlang. Gut gestimmt freute er sich auf den Tag, an dem er später an der Küste mit dem Fahrrad die knapp 15 km zum Phare de la Gacholle fahren wollte. Dieser alte Leuchtturm war das eigentliche Wahrzeichen von Saintes-Maries-de-la-Mer geworden.


Dann sah er sie. Mitten am Rande des graublauen Wassers lag sie, schmutziggrün und doch nicht zu übersehen. Jérôme lief die paar Meter zum Wasser hinunter und hob sie auf, drehte sie in der Hand, betrachtete sie von allen Seiten. 
Sie war fast undurchsichtig, stark mit Algen bewachsen, dennoch konnte er ahnen, dass diese Flasche einen Inhalt barg. Aufgeregt setzte er sich auf einen großen Stein am Rande des Weges, atmete ein paarmal tief ein und aus, dann versuchte er, den Korken von der Flasche zu lösen. Es war sehr schwierig, da dieser tief in den Flaschenhals hineingepresst war. Dann fiel ihm sein Taschenmesser ein, das er immer bei sich trug. Da war doch ein Korkenzieher integriert?

Aufgeregt versuchte er nun die alte Flasche zu öffnen, endlich nach einiger Anstrengung war sein Bemühen von Erfolg gekrönt. Das Fundstück war offen, Jérôme schüttelte den Inhalt heraus - ein graugrüner Zettel fiel ihm entgegen. Einige Worte waren darauf geschrieben. Da es aber griechische Buchstaben waren, die er nicht entziffern konnte, war er zunächst ratlos! Dann fiel ihm sein Freund ein, der die griechische Sprache beherrschte. Den konnte er um Hilfe bitten.
Am nächsten Tag war dann die Überraschung perfekt! Sein Fundstück, diese  Flaschenpost, war weit über 100 Jahre alt, die Schreiberin schon lange nicht mehr unter den Lebenden.

Es fiel Jérôme ungemein schwer, nicht mit Traurigkeit an dieses Mädchen dort auf der griechischen Insel zu denken. Zu gern hätte er gewusst, wie ihr Leben damals weiter verlaufen war. Aber das Schicksal scheint manchmal blind zu sein …




Ich bin Eleni, ein kleines Mädchen, 
ich bin 22 Jahre alt.
Wenn du mir schreiben willst, 
ich freue mich auf deine Post. 
Meine Adresse ist Oia 24, Santorini



2.Juni 1873



©by H.C.G.Lux

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Kommentare (6)

Pan

Alles, was man braucht, ist Fantasie!
Und wenn man die nicht besitzt? Dann wären Kinderzeichnungen wertvoll da gibt es sehr viel Lernstoff!
       meint mit Grüßen
                           Horst

Muscari


Eine wunderschöne Geschichte, die mich irgendwie an ein Buch erinnert, das ich vor langer Zeit gelesen habe.
Dort allerdings führte der Brief in einer Flaschenpost zu einem Happy-End.

Wenn ich allerdings das Datum Juni 1873 lese, an dem die Eleni dieses Brieflein geschrieben hat, kann ich mir gut vorstellen, dass Jérome sehr überrascht und traurig war. Von einem Happy-End ganz zu schweigen.

Mit Dank und herzlichem Gruß,
Andrea

Roxanna

Eine bitter-süße Geschichte zum Träumen hast du erzählt, lieber Pan. Ich glaube auch, dass das Schicksal manchmal blind zu sein scheint, vielleicht aber hat doch alles seine Richtigkeit.  Die Geschichte hat mir so gut gefallen, ich habe es ein bisschen bedauert, als sie schon zu Ende war.

Herzlichen Gruß
Brigitte

Humorus

Lieber Horst, auch wenn ich nur verworrene Geschichten schreibe, so hat mich Deine doch sehr angesprochen. Ich denke, es ist nicht nur einfach nieder geschrieben, sondern solch Geschichten schreibt das Leben hier auf unserem Planeten. Da steckt viel wahres Geschehen drin. Danke dafür.

Einen lieben Gruß Klaus

Manfred36

Man kann sich selbst von Gegenständen rührende Geschichten ausdenken. Jedes Ding auf Erden kann nicht nur in den Kosmos, sondern auch in die menschliche Psyche eingebaut werden.

ehemaliges Mitglied

Eine unendlich schöne Geschichte, lieber Pan.
Da wird mir das Herz ganz warm. 
Ich liebe das Meer mit seinen Geheimnissen...


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