Die Grünen in Eichwalde


Die Grünen.
Wenn du so willst, waren unsere Eltern doch „Grüne“, als es nur eine einzige Partei gab.

1936 zogen wir nach Eichwalde, einem Ort in der Mark Brandenburg am südöstlichen Rand Groß-Berlins, an der Görlitzer Strecke. Ein Ort, der uns neun Jahre ein Zuhause bot.
Die Eltern hatten in der Schillerstraße ein Einfamilienhaus gemietet, das in einem achthundert Quadratmeter großem Grundstück stand, Blickrichtung zum Gartentor nach Süden. Dazu gehörte ein festgemauertes, kleines Gebäude, war Stall und Waschküche und hatte noch eine kleine Kammer, wo mal das Plumbsklo drin untergebracht war. Und am nördlichen Zaun stand ein Schuppen, den der Vermieter inne hatte.

Vom Gartentor in dem auf Beton-Gußsteinen aufgesetzten, weiß gestrichenen Lattenzaun, aus, durchschritt man eine Fliederhecke, weißer und lila Flieder, herrlich im Mai. Ein mit Klinkensteinen gepflasteter Weg führte vor bis zur Veranda am Haus. Links und rechts gab es Obstbäume und –sträucher nicht zu knapp.
Auf beiden Seiten des Weges gab es nur Rasen. Da wuchsen Schachtelhalm, Hirtentäschel, Brennesseln, Vogelmiere – mir ist noch das Bild vom ersten Morgen nach dem Einzug im Gedächtnis: die Sonne fiel von Osten her schon schräg in das Grundstück, es war September oder Oktober, ich prägte mir diese Pflanze so kräftig ein, daß es für mich im Biologie-Unterricht alte Bekannte waren.
Sehr bald begann auf dem Grundstück ein Werkeln. Mutter legte mit Vaters Hilfe die links und rechts mit Klinkersteinen eingegrenzten Rabatten frei. Auch der Rasen verschwand nach und nach. Unter der Nußbaum-Hecke aus Nachbarsgarten rüberhängend, in der Südwestecke, wuchs ein erster Komposthaufen. Bis zum ersten Frost zogen sich diese Arbeiten hin.
Im Hof, zwischen Haus und Schuppen, wurde, wenn Vater von der Arbeit in Berlin zurückkam, gebaut, dazu hing am Küchenfensterrahmen ein Galgen mit einer hellen Fotolampe. Der erste Karnickelstall wurde gezimmert, vier Buchten. Die Neubürger wurden angeliefert, schinnschillerfarben.
Bald darauf wurde das Großprojekt „Hühnerhof“ in Angriff genommen. Die Wände, das große Fenster, das Dach, alles wurde vorgefertigt, wie bei einer Baracke, ehe die Teile mit Messing-Schloßschrauben miteinander verbunden wurden. Nach Einsetzen von Fenster und Tür wurden alle Wände mit Teerpappe eingeschlagen, das Dach nach dem Einschlag auch verklebt. Nester mit Fallklappen wurden eingebaut und auch eine Stallbeleuchtung von einem Klingel-Trafo wurde installiert. Das erste Gegacker wurde geliefert.
Im Spätwinter wurden die Obstbäume und –sträucher beschnitten, sie hatten lange keine Pflege gehabt. Das Grundstück erwachte aus einem Dornröschenschlaf.
Der nächste Einwohner wurde geliefert: unsere Ziege Grete, weißes Fell, Kinnbart, aber keine Hörner. Mähähäh! Die Hasen begrüßten Grete immer mit kräftigem Klopfen. Und der Hühnerhof stimmte zum Chor an, wenn ein Huhn nach Legen eines Eis nicht mehr aus dem Nest kam, den Podex vom Gas-Ei angewärmt bekommen hatte, gefangen, weil es mit dem Rücken die Klappe entriegelt hatte, die dann erst von Mutter hoch gehoben werden mußte. Doch ehe das Huhn die Freiheit erlangte, mußte es erst seinen Paß vorzeigen, der Hängemarke am Flügel mit einer Nummer, das Ei wurde in einem Büchlein registriert. Eine Leghorn-Henne hat es auf dreihundertsechzig Eier das Jahr über gebracht – da war kein einziges Fettauge auf der Suppe. Neben den Leghorn waren da noch Rodeländer, Italiener und Zwerg-Wyandotten im wegen der Italiener sehr hoch eingezäunten Hühnerhof.
Es wurden standardisierte Kaninchen-Ställe gebaut. Drei Boxen nebeneinander, an den Stirnseiten schon Transportgriffe, zwei Einheiten übereinander, eine dritte stand über dem ersten Prototyp, der nur zwei Buchten mit Futterraufen in der Mitte und verschließbarer Verbindung untereinander.
Für das Frischfutter der Ziege und die Karnickel wurde hinter Schulzendorf eine Wiese angemietet. Da ging’s mit Vater per Rad zum Futter schneiden und in Säcken heim zu holen. Schön war’s da am Flutgraben den Wasserläufern zuzusehen, solange Vater mit dem Mähen mit der Sense beschäftigt war. Das heimgebrachte Futter wurde ausgebreitet, damit es sich nicht erwärmte.
Da kam dann mal ein Mann, steckte einige Hasen nach und nach in einen Sack, fuchtelte da was rum, der Hase schrie und schon saß der wieder in seiner Bucht.
Auf dem Plumsklo-Brett saß eine Glucke und brütete, das war nur ein einziges Mal. Die Eltern hatten im Schlafzimmer auf dem Nachttischchen eine zylindrische Schachtel, aus der ein Thermometer ragte, und Strom war auch angeschlossen: ein Brutapparat. Die Eltern kontrollierten ständig Temperatur und Wasserstand in dem Apparat. Da kamen die ersten Küken geschlüpft. Vater hatte im Garten ein Kükenhaus gebaut, das mit einer Rotlichtlampe geheizt wurde. Da hinein kamen die kleinen Wattebüschel die Zeit vor Ostern, eigentlich bis zu den Eisheiligen. Für die Küken wurde ein eigenes Gatter im Garten aufgestellt, wo sie sich noch getrennt vom Hühnervolk tummeln konnten. Hund Pucki legte sich außen am Zaun daneben und döste in der Frühlingssonne. Ein naseweißes Küken pickte ihm durch die Zaunmaschen in die Nase, Pucki wollte das Viecherl mit seiner Pfote vertreiben, was aber leider dem Küken nicht bekommen war; Pucki zog das tote Tier vorsichtig heraus und hielt Totenwache; Als Mutter das sah, ließ sich Puckis Blick nur so deuten: das wollte ich doch nicht!
Hühnereier wurden so rechtzeitig ausgebrütet, daß damit die im August beginnende Mauserzeit durch die Jungvögel überbrückt werden konnte. Und zum Herbst, wenn die Geflügelausstellung in Schulzendorf statfand, wurden die schönsten Wyandotten gewaschen und in einzelne Käfige gesetzt. Na, und wenn schon einmal große Wäsche, dann mußte Pucki auch dran glauben – nur: der kratzte sich danach wegen der Milben. Mit dem Handwagen ging’s dann ab nach Schulzendorf.
Die Hühnereier wurden durchleuchtet und gestempelt, der Erlös vom Verkauf der Eier war immer gut für den Kauf von Futter bei Stümer & Wimmer. Die Eierschalen und auch die getrockneten Knochen wurden gemahlen, waren auch Futter für Hühner und Enten. Das war ein Geschmadder im Entenhof, schlimm, wenn ich da durch die kleine Klappe im Zaun hineinkriechen mußte, um das Planchbecken wieder zu säubern.
Mit den Rädern ging es hinaus in die Märkische Heide zum Pilzesammeln. So bin ich sonntags mit Vater weit raus gefahren, sah weniger die Pilze, die Vater immer fand, als das, was zu Fragen führte „Was ist ein Trigonometrischer Punkt, Ort ?“ Wir sahen die Männer vom Reichsarbeitsdienst beim Bau der Autobahn. Wir konnten in der Ferne die Funktürme von Königs Wusterhausen und Zeesen sehen. Heimgekehrt machten wir uns über die mitgebrachten Pilze her, sie wurden gepuzt, gewaschen, teils getrocknet, teils eingeweckt, eine gute Mahlzeit gab’s zu Mittag. „Und den kleinen Pfifferling habe ich da an dem Baum – weißt du noch – gefunden!“ Typisch unser Vater.
Die Eichkamper haben eine Garage mit Wintergarten angebaut. Dabei fielen Fenster ab. Gut für die Eltern: es wurden Mistbeete gebaut. Vater beschaffte eine Erdpresse, mit der man kleine Töpfchen für die zu pikierenden Pflanzen pressen konnte. Mit einer kegeligen Glocke wurden über die gesteckten Bohnen Wachspapierhauben gestülpt, der Rand mit Erdreich angehäufelt. So konnten die Bohnen schon vor den Eisheiligen wachsen. Wenn die Pflanzen an die Haube anstießen, wurden sie nach und nach aufgerissen.
Womit wurde eigentlich in „Mutters Garten“ gedüngt ? Zunächst mußten wir die Sickergrube im Garten regelmäßig entleeren. Viel von der Jauche kam über den Kompost, bei Kohlpflanzen aber wurde es so gemacht, wie in den Rieselfelder rund um Berlin, einfach in kleinen Gräben ausgeschüttet – darum konnte man das beim Kohlkochen riechen. Mit verschiedenen Düngemitteln versuchte Vater das Wachstum in Mutters Garten zu verbessern. So hatte er für den Schlauch einen Vorsatz beschafft, in dem zum Beispiel das lilafarbene Übermangansaure Kali aufgelöst versprengt wurde.
Um nicht nur immer Hähnchen bei der Brüterei zu bekommen, hat sich Vater hingesetzt und seinen Ehering an einem Faden über dem befruchteten Ei pendeln lassen, wonach er dann die Eier trennen konnte nach Hahn oder Henne. Das hat gewirkt, nur es waren nur Hähnchen, die da schlüpften und kein einziges Hühnchen – Falsch rum gedreht! Den Hähnchen wurde eine Galgenfrist gegönnt und eines Tagen hingen sie der Reihe nach – wie in Busch’s Max und Moritz Buch – an einer Stange, koppeister, haben kein Ei gelegt.
Grete bekam ein Junges. Nun gab sie Milch. Grete ließ sich am liebsten von Vater melken wegen seiner weichen Bürofinger, Mutter dagegen bekam einen Schubs wegen ihrer rauhen Gartenfinger. Eine Zentrifuge trennte den Rahm ab. Eine Buttermaschine sorgte für eine bernsteinfarbene Butter, darum kam etwas Kuhbutter dazu. Es gab Buttermilch und Quark. Gretes Junges wurde dann auch Mutter. Es mußte noch mehr Futter herangefahren werden. Im Garten wurde ein Heustapel plaziert, den ein Dach vor Regen schützte.
Vater und Mutter wollten sich in Berlin zu Wagners „Parzival“ treffen. Als Mutter zu den Ziegen kam, standen und lagen die jungen Lämmer mit aufgedunsenen Bäuchen im Stall. „Ilse“ rief sie der Haustochter zu „schmeiß ein Messer raus!“. Mutter tötete die kranken Viecher, hängte sie am Fahrradschuppen auf, brach sie noch auf. Dann fuhr sie nach kurzem Bad, aber immer noch mit dem Gefühl nach Ziege zu stinken, nach Berlin rein zu Vater zu Parzival. In der Nacht haben Beide dann die Fälle abgezogen.
Der Krieg kam. Es war niemand mehr da, der bei diesem Haushalt noch half. Futter konnte man auch immer weniger kaufen. Also wurde unsere Grete verkauft – ihre Tochter war gestorben. Auch die Nachzucht von Hühner und Enten ging zurück. Zwei Gänse sollten zu Weihnachten 1943 als Braten aushalten, sie ertranken in der Tier-Jauchetonne zwischen den Tuja-Bäumen – bis wir die gefunden hatten: nur weil ich auf den Deckel der eingegrabenen Tonne getreten hatte und mit dem Stiefel beim Eintauchen etwas spürte, entdeckten wir die beiden Leichen. Das letzte Kaninchen und die Jungen schlachtete meine Schwester nach Einmarsch der Russen, als unser jüngstes Schwesterchen die Ruhr bekommen hatte - Mutter war gerade in den Harz unterwegs - und die Große dem kleinen Patienten eine kräftige Brühe machte.

Im Herbst 1945 packten wir unsere Sachen und verließen unser Reich. Vater kam nicht mehr in die Zone, wir landeten bei ihm am Niederrhein. Danach lebten wir vier Jahre in Niedersachsen, bis es 1949 nach Bonn ging.

Wir haben »unser« Haus in den 1990er Jahren mal wieder gesehen, es war sehr viel verändert – nicht mehr das Haus in unserer Erinnerung, zu der auch die Bäume auf der Straße gehören, damals Rotdorn-Bäumchen, heute Linden-Bäume.

Was ist geblieben? In allen Stationen danach baute sich Mutter mit Vaters Unterstützung immer wieder ein neues kleines Gartenreich auf. Bei einem Reich am Verteilerkreis in Bonn steht heute die Fabrik von Verporten. Der letzte Garten war der oberste da unterm Kreuzberg in Bonn.
Geblieben ist Mutter dann und wann ein Ausflug zu meiner großen Schwester, die das Gartenfach erlernt hat, auch nicht vom Gärtnern lassen kann, sie pflegt Mutters Rosen- und Lilien-Züchtungen.


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