Die Levis  vom Pfarrer Brandt


Die Levis  vom Pfarrer Brandt

Die Levis  vom Pfarrer Brandt

Dieser Jeans-Store hat etwas Gleichmachendes. Uniform fällt mir ein. Ich mag nicht uniform sein. Die Farbe Indigo herrscht vor. Für mich ist und war das alles zu eintönig und ich kam mir irgendwie verloren vor. Es war nicht meine Idee, hierherzukommen.

„Ich begleitete nur meine Frau“, sagte ich zu einem eifrigen Verkäufer. Ich wimmelte ihn ab, weil ich nicht das geringste Interesse an abgewetzten und künstlich auf verwaschen getrimmte Jeans hatte. Ich habe sowieso nie verstanden, wie man für zerrissene Hosen Geld ausgeben kann.

Der nächste Verkäufer umkreist mich und fragt den obligaten Satz: „Kann ich etwas für Sie tun?“
Er konnte nicht, obwohl es mir immer langweiliger wurde, meine Angetraute war seit längerer Zeit nicht zu sehen. Wahrscheinlich zwängt sie sich hinter diesen Vorhängen, in diesen unglaublich engen Umkleidekabinen mit irgendwelchen Jeans herum. Auslöser für diese Einkaufstour war eine minimale Reduzierung des Bauchumfangs. Wir sind beide seit einiger Zeit Mitglied in einem Fitness-Studio. Die von mir lange nur als Mördergeräte bezeichneten Cardio-Ungetüme, hatten dank unseres vehementen Einsatzes, an unseren Körpern zwar nicht sichtbare, aber doch messbare Arbeit geleistet. So gesehen, wäre eine neue, etwas enger anliegende Jeans doch nicht so ganz verkehrt, dachte ich.

Ich stand vor einem Kleiderständer mit Jeans-Jacken, als mir Herr Brandt einfiel. Er war Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde in meiner Heimatstadt. In den Jahren nach dem Krieg wurden die heiß begehrten Care-Pakete aus Amerika von Pfarrer Brandt an bedürftige Familien verteilt. Meine Mutter hatte mich ins Pfarrhaus geschickt, um eines dieser „Uncle Sam Pakete”, wie sie es nannte, zu ergattern. Nach geduldigem Anstellen bekam ich endlich so ein Paket und eilte voller Erwartung nach Hause. Und wurde bitter enttäuscht. Der Inhalt war, neben des üblichen Trockenmilchpulvers und dem scheußlich schmeckenden, weil gesalzenen, Käse, eine Dose Sirup, aber leider keine Schokolade. Das Highlight sollte wohl die Levi’s, mit gleichfarbiger Jeans-Jacke sein. Indigo, bleich gewaschen und zerschlissen. Wie kann man nur so ein altes Zeug verschenken, dachte ich. Mein Glaube an das reiche Amerika war bedenklich ins Wanken geraten.
Jetzt, hier in diesem Jeans-Shop, dachte ich: Irgendwie hat sich in all den Jahren nicht viel geändert.


@story by ferdinand
@photo by roberto-sorin-unsplash


Anzeige

Kommentare (4)

Muscari

Tja, lieber Ferdinand,

diese Jeans waren noch nie mein Fall, schon garnicht die zerfetzten.
Ich erinnere mich an meinen Sohn in den siebziger Jahren. Auch da waren diese Löcher-Jeans schon mal modern. Dazu offen getragene Schnürschuhe, an denen die Schnüre links und rechts runter baumelten.
Ich konnte diese Idiotie nicht fassen.
Und heute auch nicht.
Was die Care-Pakete betrifft, fanden wir eines im Keller unseres verstorbenen Onkels und haben es bis vor einigen Jahren aufbewahrt.
Dann aber geöffnet. Geöffnet haben wir auch die Konservendose mit Butter. Und was passierte? Heraus kam eklige braune Brühe, die einst wohl Butter war. --- 😲
Mit Dank für Deine Story und herzlichem Gruß,
Andrea

 

Eisenwein

@Muscari  
Danke, liebe Andrea. Mein Missfallen für so manche Modeerscheinung ist also nicht mein alleiniges Kopfschütteln. Wir werden es aussitzen bis zur nächsten Mode-Wiederholung. Vielleicht ist ja mal etwas dabei, dass uns gefällt.
Liebe Grüße! Ferdinand😊

Federstrich

Hallo Eisenwein,

andere haben dich damals ganz sicher beneidet und hätten sie dir aus den Händen gerissen je weiter östlich sie gewohnt haben. "Uniformierte" Kleidung gab es je nach Ansicht zu allen  Zeiten. Das bringt die Mode nun mal mit sich. Mich haben meine Levi's damals viel Mühe und Geld gekostet, aber es war ein geiles Lebensgefühl der Jugend.
Grüße, Federstrich

Eisenwein

@Federstrich  - Da hat du sicher recht!😊
Die neuste Mode ist selten neu – ältere Semester kennen sie schon von früher.
Liebe Grüße! 


Anzeige