die unbegabte Lehrerin 1

Autor: ehemaliges Mitglied

1. Neue Wege

Kurz nachdem ich wieder mit einem Job in einem Labor angefangen hatte, lief etwas im Privatbereich schief. Jedenfalls hatte ich auf einmal sehr viel Zeit.
Und da ich mal nicht mehr Parties feiern oder ausgehen wollte, entschloss ich mich, die Abende sinnvoll zu verbringen.
Ich hatte das Gymnasium vorzeitig mit der Obertertia verlassen, danach erst eine Drogistenlehre gemacht, dann bei Bayer gearbeitet und anschließend ein Jahr in England verbracht. Nun störte bei Neubewerbungen immer noch das letzte Schulzeugnis, das erbärmlich war!
Daran ließ sich was ändern. Ich konnte die Abendschule besuchen und wenigstens die Mittlere Reife nachholen. Gesagt, getan! Und diesmal machte mir das Lernen Spaß! Diesmal war es freiwillig! Es war geradezu ein Vergnügen, mal aus eigenem Antrieb und in eigener Verantwortung zu lernen. Als ich dann endlich das Abschlusszeugnis in der Hand hielt, wurde mir erst richtig bewusst, dass ich den alten Wisch aus der Kinderzeit nie mehr würde vorzeigen müssen! Nichts wie weg damit!
Aber jetzt stellte sich wieder die große Leere ein. Warum nicht was Neues lernen? Das Land Nordrhein-Westfalen suchte damals dringend Lehrer und bot Erwachsenen mit Mittlerer Reife und abgeschlossener Berufsausbildung die Möglichkeit, die Studienreife per Begabtensonderprüfung zu bekommen. Und: eine Pädagogische Hochschule war in Duisburg, damals noch Nachbarort von Rheinhausen (heute sind wir eingemeindet).
Die Idee, als ehemalige schlechte und ziemlich dumme Schülerin zu STUDIEREN, hat mich überwältigt! An das, was später kommen würde, die Realität als Lehrerin, hab ich nicht viele Gedanken verschwendet.
In den Abendstunden wurde also erstmal weiterhin gebüffelt. Die Volkhochschule bot Abendkurse zur Vorbereitung auf die Begabtensonderprüfung. Und die bestand ich dann auch glatt.
Und dann ging es los mit dem Studium! Erst wurde das "Menue", der Stundenplan, aus dem Vorlesungsverzeichnis zusammengestellt. Das machen wohl alle Studenten mit Begeisterung; hinterher stellen sie fest, dass sie sich zuviel aufgeladen haben. Außerdem werden die Ankündigungen von den Dozenten meist wieder umgeschmissen. Man merkte auch schnell, dass man viele Veranstaltungen getrost sausenlassen konnte und ging nur noch dahin, wo es was brachte!
Wir vom Zweiten Bildungsweg waren aber auch besonders enthusiastisch! Die im Schnitt 10 Jahre jüngeren Studenten weniger; die hatten oft an allem und jedem was auszusetzen; verständlich, die kamen frisch von der Schule, wir aber hatten das Arbeitsleben hinter uns.
Es war die Zeit der "Nachwehen" der 68er; alle naselang wurde demonstriert und gestreikt, was wir, die älteren, als ziemlich störend empfanden. Da saß man etwa mit heißen Wangen in einem Seminar und diskutierte und polemisierte...und dann kamen langhaarige Jungs mit Seehundbärten und boykottierten die Arbeit. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mir nie gemerkt hab, worum es da eigentlich ging. Man hätte sich doch etwas darum kümmern müssen, statt dessen genossen wir unser "Studentsein", unser neu entdecktes "wissenschaftliches Denken", na ja, eben uns selbst!!!
Und wie überrascht waren wir von den verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen, den "Schulen", die gegeneinander polemisierten, indem sie die Aussagen der jeweils anderen "Schule" verkürzten und damit verfälschten! Das war der Fall in den Fächern Philosophie, Psychologie, Allgemeine Pädagogik und beeinflusste sogar die etwas praktischer orientierte Schulpädagogik! Selbst Fächer, wie Germanistik und Anglistik und sogar Biologie blieben vom wissenschaftstheoretischen Kampfgeist nicht verschont! Wenn man heutige Studenten danach fragt, schütteln sie nur die Köpfe!
Mir lag es damals schon mehr, Gemeinsamkeiten zwischen den Fronten zu suchen, bzw. scheinbare Unvereinbarkeiten zu entkräften. Aber auch das war letztlich nichts als ein "Kreisen um sich selbst", eine pseudointellektuelle Bastelei! Mit dem Studienziel hatte es herzlich wenig zu tun.
Dieses - also die pädagogische Zukunft - warf seine Schatten voraus in Form von Schulpraktiken.
Die fand ich entsetzlich. Gestern hat man noch eine von Idealen triefende Seminararbeit über "Antiautoritäre Erziehung" verzapft, und heute wird man mit einer Bande Jugendlicher konfrontiert, die man nur in Schach halten kann, wenn man sich wie das Alphatier einer Berggorilla-Gemeinschaft aufführt! Na, irgendwie würde man damit schon fertig werden, dachte ich, und stürzte mich wieder in mein heiß geliebtes Studium.
In den Semesterferien arbeitete ich noch in "meinem" alten Labor, schließlich brauchte ich ja etwas Geld, obwohl ich das Glück hatte, zu Hause wohnen zu können.
Dann kam das Examen, das ich mit 2 bestand! Oh, wie war ich stolz! Nur das bevorstehende
Referendarjahr lag mir im Magen!

wird fortgesetzt


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