DSHnora-10: Preisträger in der Zeitschrift NEUES DEUTSCHLAND


„Der Tag, der alles veränderte ?“

Gestern war alles noch völlig in Ordnung!
Völlig?
Heute ist auf einmal alles ganz, ganz anders?
Oder umgedreht?

Ich komme nach vier Tagen Abstandsurlaub nach Hause und finde einen angepinnten Zettel im Korridor.
Im unteren Stockwerk stehen meine alten Möbel wahllos durcheinander, mitten im Raum.

Ich lese den Zettel und mir wird schlecht: “Ich muss mich verwirklichen und meinem Leben eine andere, ganz neue Richtung geben. Am besten geht das alleine. Du wirst bestimmt verstehen und Verständnis aufbringen, dass die Haushaltshilfe mit muss. Ich kann nicht kochen. ich friere alleine im Bett. Schmeiße die Schlüssel in den Briefkasten und ziehe zu Deiner Mutter! Das Haus ist verkauft und die neuen Möbel brauche ich selber. Am Nachmittag ziehen die neuen Besitzer ein.

Na, wunderbar: Job weg. Mann weg. Haus weg. Kohle weg. Arbeit weg. Konto gesperrt. Möbel weg. Hund weg, Vogel durchs Fenster raus. Kühlschrank leer.

Bums, ich lasse mich erst mal vor Schreck auf der Treppe nieder.
Meine Beine sind aus Pudding.
Was nun?
Ich war doch bloß kurz bei meiner Mutter. Also zurück nach Hintertupfingen am See und zurück zu meiner Mutter.

Der Freund meines Mannes kommt mit einem Kleintransporter und hält vor der Haustür.
Max hat keine Zeit, muss sich wohl die Füße wärmen lassen.
Ein paar seiner Kumpel steigen aus und stehen nun vor mir. Wir sollen Deinen Umzug machen.
Ich fange an zu heulen. Erst vor der Haustür meiner Mutter höre ich damit auf.
Im Nachbarhaus wohnen zwei ältere Leutchen. Sie vermieten mir zwei Zimmer in ihrem Haus. Tags über sind sie in ihrem kleinen Tante-Emma-Laden anzutreffen.
Nachdem ich meine Kisten aus und die Schränke eingeräumt habe, besuche ich meine Vermieter in ihrem kleinen Geschäft. Dort gibt es alles, was Familien weit ab von der Stadt und den großen Märkten im Haushalt brauchen.

„Na Mädel, alles klar bei Dir?“
„Ich will nur mal gucken und mir bissel was einkaufen. Die Äpfel sind lecker. Davon bitte auch fünf Stück. Etwas Käse und einen Becher Quark kann ich auch noch gebrauchen. Wo finde ich frisches Gemüse?“

Frau Groß hält mir eine Schürze hin.
Herr Groß meint: “Binde die Schürze um und hilf uns! Du suchst doch Arbeit?“

Ich bin nach der Trennung von Max in meinem Mitleid versunken und habe mit allem gerechnet. Nur nicht damit, dass ich hier in Hintertupfingen am See Arbeit finden würde. Ich dachte, nun ist alles vorbei. Die Familie Groß machte mal Andeutungen, dass ihnen langsam alles zu viel würde. In meinem grenzenlosen Selbstmitleid habe ich dieses Angebot von den beiden gar nicht wahrgenommen.

„Na was denn nun? Fasse zu und beginne mit der Arbeit. Wir brauchen dich dringend. Dann heulst du wenigstens nicht mehr stundenlang herum. Oder hast du was Besseres in Aussicht?“
„Nein, überhaupt nicht, es kommt alles zu plötzlich. Danke!“

Und so vergehen die Tage für mich völlig ungewohnt. Nicht mehr Hausfrau sein, sondern morgens zeitig aufstehen, bekommt mir gut.
Frau Groß, jetzt Hilde für mich, hat schon den Frühstückstisch gedeckt. Wir essen gemeinsam und besprechen den Tag miteinander.
Herr Groß, nun Otto für mich, fährt mit mir zum Großmarkt und zu den Fischern und Bauern frische Waren einkaufen. „Bald kannst Du das alleine machen“,
Lars, der Sohn des Hauses, blinzelt mir zu und sagt: „Morgen beginnt auf dem Campingplatz die Saison und dann öffnen wir dort unseren Kiosk morgens um sieben. Den kannst Du dann bestimmt übernehmen. Mutter hilft die am Anfang. Aber ich denke, Du wirst schnell alleine zurechtkommen.“
Ich schaue Lars groß an und sage einfach ja zu dieser neuen Aufgabe. „Ich wusste gar nicht, dass wir dort diesen Laden betreiben?“
„Nun weißt Du auch das. Ich brauche Dich dringend für dieses Geschäft.“

Die Saison ist gut gelaufen. Die Camper kaufen gern bei mir ein und mir kommt es vor, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Am Morgen werde ich freundlich von meinen Stammkunden begrüßt und am Abend mit einem Küsschen von meinem Lars nach Hause gebracht. Der Tag, der alles veränderte, war sehr gründlich. Mir geht es in meinem neuen Leben gut und Euch wünsche ich das Gleiche.

DSHnora-10: Preisträger in Zeitschrift Neues Deutschland

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