Ein erfrischendes / frisches Erlebnis?!


Gestern Abend hatten wir Weihnachtsfeier vom Kegelklub. Alles begann voller Harmonie, erst wurde gekegelt, wir erfuhren, welche besondere Speise, die nicht auf der Karte stand, abends serviert werden könnte. Und bis es dann so weit war, dass wir von der Kegelbahn ins weihnachtlichere Lokal wechseln konnten, wurden Advents- und Weihnachtslieder gesungen.

Dann las man etwas vor, jemand anderes hatte auch eine kleine Geschichte mitgebracht. Alle hörten aufmerksam zu. Kleine Geschenke wurden verlost. Aber dann erzählte eine Kegelschwester von ihrer „Guten Tat“, zu der sie sich einige Tage zuvor auf dem Weihnachtsmarkt aufgefordert sah.

Sie traf auf dem Weihnachtsmarkt auf eine Frau mittleren bis höheren Alters, die überhaupt nicht der kalten Temperatur angepasst gekleidet war. Sie trug weder einen Mantel noch eine Jacke, auch keinen Pullover. An den Füßen hatte sie lediglich Badelatschen. Sie stand neben einem der aufgestellte Weihnachtsbuden und zitterte am ganzen Körper.

Mitleid und Neugier überfluteten meine Kegelschwester. Sie sprach die Frau an und erfuhr, – ob es der Wahrheit entsprach? – dass die Frau keine wärmende Jacke oder festes Schuhwerk, gar Stiefel besitze.

Spontan nahm sie die Frau mit in das nahe Woolworth-Geschäft und versuchte, sie mit den notwendigen Kleidungsstücken zu versorgen. Doch da erklärte die Frau, sie könne dieses oder jenes Material nicht vertragen, reagiere darauf allergisch. Also brachte meine Kegelschwester die Frau zu einer angegebenen Adresse, wo sie derzeit wohne: eine AWO-Einrichtung für psychisch Kranke! Trotzdem ging meine Bekannte, nun allein, wieder in die Stadt und suchte, bis sie ein wärmendes Outfit für die Frau gefunden hatte: Jacke, lange Hose, Pullover und Stiefel!

Den dankbaren Ausdruck der kranken Frau konnte sie einfach nicht vergessen. Und sie fühlte sich sehr froh, einem Hilfe suchenden Menschen etwas Gutes getan zu haben.

Ich selber weiß allerdings, dass Menschen, die vielleicht bipolar oder dement sind, durchaus sich mit solch manipulativem Verhalten von ihren Mitmenschen Tröstendes er“arbeiten“! Meine Schwiegermutter lehrte mich das in fast 25 Jahren ihres bipolaren Lebens! Und wenn das nicht funktionierte – oh je, dann wurde sie unerbittlich böse, konnte ihre ganze Umgebung erbärmlich tyrannisieren! Das war dann meist der Zeitpunkt, zu dem wir sie wieder in die geschlossene Geriatrie bringen mussten.

Das soll nicht heißen, dass alle psychisch Kranken sich so verhalten. Aber es ist Vorsicht angebracht, sich von dem empfundenen Mitleid zu „großen“ Taten verleiten zu lassen.

Meiner Kegelschwester habe ich mein eigenes Erleben aus vielen Jahren zuvor nicht geschildert. Dazu war die Weihnachtsfeier nicht der geeignete Ort, nicht der richtige Zeitpunkt. Aber im Stillen war mir nicht – wie bei den anderen – wohl bei dem Gedanken, dieser Frau geholfen zu haben. Meine Vermutung geht nämlich dahin, dass die frierende Frau einfach auf den nahen Weihnachtsmarkt wollte, aber vergaß, sich entsprechend zu kleiden. Vermutlich hätte die Heimleitung sie auch gar nicht allein dort hin gelassen, also büxte sie wahrscheinlich, ohne entsprechendes Outfit, aus.

Es wäre richtiger gewesen, die Frau zuerst einmal nach ihrer Wohnung zu fragen. Es wäre auch möglich, dass sie bereits dement war, vielleicht schon gesucht wurde.

Vor einigen Wochen wanderte auch ein 84-jähriger dementer Verwandter nach dem recht frühen Abendbrot des Heimes einfach in Hausschuhen, Hosen und Oberhemd bis zum Bahnhof im Ort. Die Temperaturen waren nahe null Grad und man hätte ihn garantiert nicht so nach draußen gehen lassen, zumal er kaum ohne Rollator gehfähig war. Er wollte nach Hause – nach Polen!! Als er sich am Bahnhof zu einer Frau in eine windgeschützte Ecke setzte, kamen die Zwei miteinander ins Gespräch. Als der Ehemann der Frau von dem frierenden Mann erfuhr, dass er nach Hause wolle, nahm das Ehepaar unseren Verwandten mit und brachte ihn zu seinem hiesigen Zuhause, wo sein Sohn und dessen Frau ganz erstaunt waren, dass er nicht um fast 22 Uhr längst schlafend in seinem Pflegeheimbett läge. Dieses Zuhause aber, gab der alte Mann an, kenne er nicht, er sei in Polen zu Hause!

Das war ein Grund, ihn einem Heim zuzuführen, wo er nicht mehr „auf eigene Faust“ das Heim verlassen kann. Er hätte erfrieren, sich eine schlimme Erkrankung zuziehen können. Ihn in seinem hiesigen Zuhause zu lassen, würde bedeuten, dass es über kurz oder lang dazu käme, dass er von einem der viel zu schnell fahrenden Lkws oder Pkws vor dem Haus (es hält sich niemand an 70 kmh) überfahren würde. DAS wünscht man keinem, weder einem Betroffenen noch den Angehörigen.

Aber daran kann man sehen, dass es nicht richtig ist, einem scheinbar Bedürftigen gleich große Geschenke zu machen, nur weil Weihnachtszeit ist ...

 


Anzeige

Kommentare (8)

ehemaliges Mitglied

Liebe Uschi,
ich stimme Kristine und Syrdal zu.
So würde ich es auch sehen und so handeln, genau wie Du es auch erkannt hast.
Man muss - gerade in diesen Zeiten auch - vieles mehr hinterfragen.
Leider ist es so, dass viele ältere Menschen auch noch mit ganz anderen  Werten groß geworden sind, das wissen auch z.B. Trickdiebe.
Und das gleiche gilt für Spenden auf den Straßen, gerade vor Weihnachten, ich lese es beinahe tgl. in der Tageszeitung und die gutgemeinte Gutmütigkeit der Älteren tut mir oft in der Seele weh.
Meine Arbeit mit Drogenabhängigen -  die ich mit viel Idealismus begonnen habe - hat mich doch sehr geprägt, merke ich.
Dir einen schönen zweiten Advent und liebe Grüße
Elbstromerin

nnamttor44

Liebe Elbstromerin!
Man muss heutzutage schon sehr genau wissen, wo man helfen will oder kann und wie. Aber ich stelle auch fest, dass ich durch mein Leben doch etwas härter geworden bin.

Man muss halt wach bleiben für tatsächliche oder vorgespielte Nöte. Ob man da immer richtig entscheidet - manchmal merkt man es zu spät. Das ist mir noch nicht passiert und ich hoffe, das geschieht auch nie ...

Auch Dir einen schönen zweiten Advent mit lieben Grüßen

Uschi

Manfred36

Was ist im Endeffekt eine gute Tat? Meine Schwiegermutter war manisch deporessiv, manchmal aufgeschlossen, manchmal völlig unergründbar. Sie wohnte bei uns in eigener Suite und musste sich um nichts mehr kümmern. Vom Geburtstagstisch ihres jüngsten Enkels stand sie auf, um angeblich zum Friedhof zu gehen. Mitten in der Nacht fand ich sie mit polizeilicher Unterstützung auf einer Parkbank, wo sie versucht hatte, sich mit Gift das Leben zu nehmen, nicht zum erten Mal. Danach führte sie nur noch ein hilfloses Schattendasein außerhalb sich selbst, ein bejammernwerter Zustand.
Ich habe mich seither gefragt, ob meine "Lebensrettung" wirklich eine "gute Tat" war.

Gruß
Manfred

nnamttor44

So ist das, lieber Manfred, man fragt sich im Nachhinein oft, ob es eine gute Tat war, die man da hinter sich brachte.

Mit 17 Jahren schickte mich mein damaliger Freund hoch in die Wohnung seiner Eltern, nicht ahnend, dass seine Mutter im Koma nach einem Suizidversuch dort lag. Für mich war es ein Schock, sie so aufzufinden, ich wusste ja noch gar nichts von ihrer manisch-depressiven Erkrankung.

Zu der Zeit gab es noch keine Handys, ich musste erst im Haus verschiedene Bewohner heraus klingeln, bis ich jemanden fand, der Telefon hatte, um den Rettungswagen zu alarmieren. Es wäre der ganzen Familie und ihr vieles ersprart geblieben, wenn ihr der Abschied gelungen wäre. Über ein viertel Jahrhundert in der Geschlossenen zu leben, in einem Umfeld, das jeden vermutlich noch kränker macht, als er ohnehin schon ist, ist kein Zuckerschlecken. Aber in der für sie und ihren Mann mit eingeplanten Wohnung bei uns zu leben war ihr und ihm auch nicht möglich.

Ihr Sohn = mein Mann hat ebenfalls sehr darunter gelitten und konnte sie in ihren  letzten Lebensjahren nicht mehr besuchen, er ertrug es einfach nicht ... Diese Wochenendpflichten gehörte dann zu meinem Repertoir.

Solche Geschichten gehen mir durch den Kopf, wenn ich etwas höre, wie die geschilderte gute Tat vom Weihnachtsmarkt.

Dazu gehörte für mich auch, sich in der Öffentlichkeit wegen ihrer krusen Ansichten ohrfeigen zu lassen oder, ohne Empörung zu zeigen, hinzunehmen, dass sie an meinem Besuchstag bei ihr ihren Sohn erwarten würde, der an dem Tag heiraten wollte - nein nicht mich, eine neue Frau ... Wie kriegt man da ohne Handy so schnell den Betroffenen von zu Hause dort hin, wo man gerade spazieren geht? Da hilft nur geschickte Tarnung, die nächste Telefonzelle suchen, da das Zurückgehen zum Krankenhaus verweigert wurde und mitspielen ... Sie wäre mir sonst weggelaufen!

Vorbei und geschieht für mich nie wieder!!

Danke für Deine Offenheit

Uschi

 

 

werderanerin

Liebe Uschi, sicherlich war der Grundgedanke, zu helfen erstmal richtig und auch gut. Sie hatte es einfach nur gut gemeint..., wenn man bedenkt, dass heute kaum geholfen wird, ist das allein schon bemerkenswert. 
Natürlich hätte sie manches hinterfragen müssen, um herauszufinden, warum diese Frau dort war und noch dazu unzureichend gekleidet... 

Kristine

nnamttor44

Hallo Kristine,

Hilfe jederzeit anzubieten, wenn sie gebraucht wird, ist schon gut und richtig. Was mich allerdings auf der Weihnachtsfeier störte, war die Tatsache, dass sie sich wohl auch damit brüstete. Die Preise zu erwähnen, die sie für die Kleidung der frierenden Frau bezahlt hat, gehörte gerantiert nicht dort hin!

Für Deinen Kommentar, für Dein Lesen mit einem
herzlichen Danke
Uschi

Syrdal


Erste Hilfe ist immer angebracht... aber im zweiten Schritt muss die tatsächliche Sachlage unbedingt gründlich erforscht werden, damit die richtigen, der aktuellen Situation voll entsprechenden Maßnahmen vorgenommen werden können, denn nicht selten kommt es vor, dass Menschen, die – weshalb auch immer – nicht (mehr) in der Lage sind, ihr Tun selbst zu bestimmen  und deren Richtigkeit oder Notwendigkeit zu verantworten, dringend professionelle Hilfe benötigen. Außenstehende können da, angetrieben vom durchaus verstehbaren Mitleid, rasch das Falsche tun.
Bei aller Hilfsbereitschaft ist Besonnenheit der beste Ratgeber, meint
Syrdal

nnamttor44

Hallo Syrdal,
natürlich ist erste Hilfe immer angebracht. Aber wenn man Jahrzehnte mitbekommen hat, wie geschickt dieses Bedürfnis auch missbraucht wird, wird man real vorsichtiger.

Für mich war es in den ersten Ehejahren wichtig, zu verhindern, dass durch falsches Vertrauen meine Kinder nicht für Ausreden benutzt wurden, die ihnen eine Schuld in die Schuhe schoben, die die vermeintliche Vertrauensperson selbst hatte!

Es gab eine ganze Menge, die zur Vorsicht mahnten ...

Wenn bei uns in der Fußgängerzone ein Mann bettelt, der - bewusst - sich auf seinen zwei Beinen halten muss, dann frage ich mich, ob es richtig wäre, ihm eine Spende zu geben. Vermutlich wird sie ihm doch einfach weggenommen und am nächsten Tag steht er - unter Schmerzen - an anderer Stelle. ...

Da müssten eigentlich andere tätig werden!

Danke, dass Du meine Geschichte kommentieren mochtest.
Herzl. Gruß von Uschi


Anzeige