Ein Maedchen namens Karin


Ein Maedchen namens KARIN
 
Es war vor langer Zeit in Heidelberg, wo ich mit meiner Frau lebte und ich studierte im Dolmetscher Institut. An einem bestimmten Tag traf meine Frau jemanden rein zufaellig, eine nicht ganz junge Frau, die in der lokalen  Rhein Neckar Zeitung eine Journalistin war. Spaeter haben wir erfahren, dass Karin, so hiess sie naemlich, war die Tochter eines deutschen Schauspielers, der schon vor dem Krieg einen gewissen Erfolg zu verzeichnen hatte. Im Laufe der Zeit waren wir beide mit Karin befreundet.
 
Man besuchte sich gegenseitig und ab und zu haben wir sie bei uns fuer ein indisches Essen eingeladen. Sie hat das namelich sehr genossen. Da wir damals kein eigenes Auto hatten, hat Karin uns gelegentlich mit ihrem Kaefer das Neckartal gezeigt. Wir haben uns oft gewundert, warum sie uns so gern hatte, bis sie eines Tages preisgab, dass als junges Maedchen sie einen verheirateten Inder als Freund hatte. Am Ende seines Aufenthalts in Europa sagte er, dass er dies nicht fortsetzen konnte.
 
An einem Wochenende besuchte sie uns und wir haben uns einen Film angesehen, weil sie kein Fernsehgeraet hatte. Spencer Tracey und Marlene Dietrich spielten die Hauptrollen in dem beruehmten ‘Urteil in  Nuernberg’.  Es ging irgendwie, bis einige Szenen von einem Konzentrationslager zu sehen waren. Und dann begann Karin zu weinen.
 
“Wir Deutschen waren sehr boese Leute, so etwas boeses zu tun. Und es tut mir wirklich leid, dass wir so etwas getan haben,” sagte Karin.
 
“Aber Karin,” sagte ich, indem ich versuchte sie zu troesten, “du warst kaum zehn oder elf Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging und du brauchst dich nicht fuer Dinge zu entschuldigen, fuer die Du ueberhaupt keine Verantwortung hast.”
 
Sie hat dann aufgehoert und sah den Film weiter. Und dann kam die Szene, in der   Marlene Dietrich Spencer Tracy, der einen amerikanischen Richter spielt, durch die Ruinen von Nuernberg fuehrt. Obwohl Spencer Tracy in dem Film die Ruinen von Nuernberg mit einem Pokergesicht betrachtete, es war Karin, die wieder zu weinen began.
 
“Ihr beide wisst gar nicht, was solche Ruinen eigentlich bedeuten. Ihr habt nie einen Krieg und die dadurch verursachte Zerstoerung erlebt. Ihr habt nicht den ganzen Tag und dann die ganze Nacht hunderte von Bomberflugzeuge gesehen, die dann eine schoene Stadt wie diese in Schutt verwandelt haben.”
 
Wir beide waren durch ihren Ausbruch erschroken. Sie sprach und weinte gleichzeitig, als meine Frau ihre Hand hielt und Karin hielt meine Hand.  Als wir dann den Fernsehschirm hinter uns hatten, erzaehlte Karin uns von der Bombardierung von Dresden an jenem schicksalschweren Tag in 1945.
 
Aber es gab auch schoene und angenehme Tage mit Karin. Waehrend Feiertage hat sie uns eingeladen, zusammen mit ihr ihre Mutter in Konstanz zu besuchen. Und am naechsten Tag sind wir in die Schweiz gefahren, Zuerich, Bern und Genf. Und da irgendwo hat sie uns ueber ‚ihren‘ Inder erzaehlt. Dann kam die Bemerkung ueber ihren Vater, der angeblich ein bekannter Filmschauspieler war. Sein Name war Albert Lieven. Spaeter las man, dass er viermal geheiratet haette und starb in London 1971.
Unser letzter Besuch bei Karin war in einem Heim fuer Nonnen, auch 1070, nicht weit von Konstanz. Sie hatte ihre journalistische Karriere aufgegeben und wollte vielleicht selber eine Nonne werden. Wir glauben, sie ist eine geworden. Denn wir haben spaeter nie etwas von ihr gehoert.

Neulich habe ich Albert Lieven gegooglt und habe festgestellt, dass er in einem meiner Favoritfilmen eine Rolle gespielt hat, naemlich in Guns of Navarone in 1961. Er war der Kommandant der beruechtigten Kanonen.  


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Kommentare (1)

Heidi Grünwedl

@Prakash  Es ist eine sehr berührende Geschichte und deine Karin gefällt mir außerordentlich gut. Ich finde sie sehr sympathisch. Hoffen wir mal, dass es ihr als Nonne dort im Kloster gut gegangen ist. Das wäre ihr zu wünschen.

Einen schönen Muttertag morgen wünsche ich dir!

Liebe Grüße von

Heidi


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