Ein Malheur kommt selten allein!


Eine Betrachtung zu dem Sprichwort „Ein Unglück kommt selten allein!“

Unter der Überschrift „Ein Malheur kommt selten allein!“ titelte die Radeberger Zeitung zu einem Geschehnis, das die Wachauer Milchhändlerin Amalie Lehmann betraf. Im Text ist zu lesen: „Dies musste leider die Milchhändlerin Amalie Lehmann aus Wachau erfahren. Nachdem dieselbe, wie wir in vorvergangener Nummer mitteilten, erst kürzlich durch Diebstahl um einen größeren Betrag gekommen war, passierte ihr am Sonnabendvormittag das Unglück, auf hiesiger (Radeberger, d. V.) Pillnitzer Straße infolge der herrschenden Glätte auszugleiten und den linken Arm zu brechen.“

Was der Redakteur verschwieg, es war auch noch der zweite Weihnachtsfeiertag. Und dabei hatte Amalie Lehmann schon am 10. Dezember 1891, einem Freitag (!), der örtlichen Polizei einen Diebstahl melden müssen. Nachdem sie vor ihren Besorgungen in Radeberg gegen 14 Uhr zurück gekehrt war, stellte sie eine nicht verschlossene Tür fest. Es war in das von den Eheleuten Lehmann als Schlafgelegenheit genutzte kleine Kämmerchen eingebrochen worden. Das unter dem Kopfkissen verwahrte Bargeld in Höhe von 60 Mark war weg, dazu fehlten noch mehrere Garderobestücke. Der Wachauer Gendarm informierte Radebergs Polizei. Zum Weihnachtsmarkt am 19. Dezember konnte die 21 jährige Magd Anna Georgi festgenommen werden. Den Ordnungshütern war aufgefallen, welche ungewöhnliche Summe an Geld die Georgi auf dem Markt ausgab. Wie sie nach der Verhaftung zugab, hatte sie die Kleidung in Lotzdorf und Liegau versetzt. Sie will dafür 26 Mark erhalten haben. Von dem Bargeld und dem zusätzlichen Geld hatte Anna Georgi auf dem Weihnachtsmarkt 61 Mark für neue modische Kleidung ausgegeben. Weitere 12 Mark „habe sie mit jungen Männern vertrunken“. Die Milchhändlerin hatte sie auf einem vorher stattgefundenen Wochenmarkt kennen gelernt. 13 Mark konnten Amalie Lehmann zurück gegeben werden.

Das Zusammentreffen „freitags, Weihnachten, 13 Mark“, dazu die zwei Vorfälle machten ihre Runde im Radeberger Land als das „Lehmannsche Unglück“. „Im Weibergetratsche“, wie der Chronist später schrieb, aber auch an den Männerstammtischen war die Sache bis Ende Januar Gesprächsstoff. Bibelkundige verwiesen auf das Alte Testament, wo unter Hesekiel 7, Vers 5, steht: „So spricht der Herr: Siehe, es kommt ein Unglück über das Andere!“ Erwähnt wurde so manche Episode. Schlitzohrige formulierten: „Erst hatte sie Pech und dann kam noch ein Unglück dazu!“.

Das heute vielleicht oftmals altmodisch wirkende deutsche Sprichwort hatte einst Herder so eingeordnet: „Sprichwörter sind der Spiegel der Denkart einer Nation“. Und so wollte schon mancher in der Angst vor dem Misserfolg eigentlich etwas besser machen. Doch gerade in der Ängstlichkeit liegt die Anfälligkeit für den nächsten Fehler, meinen zumindest die Optimisten. Hinzu kommt die geradezu manische Erwartungshaltung, die vollkommen alltägliche, oft zufällige Geschehnisse, als kleine Katastrophen erscheinen lassen. Dabei kannten unsere Vorfahren ursprünglich nur das „Glück“. Das Wort entstand schon im 12. Jahrhundert und wurde mit dem guten Ausgang eines Gerichtsurteils verbunden. „Da hast du aber Glück gehabt“, ist heute noch in der Alltagssprache bekannt. Das Sprichwort „Ein Unglück kommt selten allein“ kam mit Thomas Murners „Schelmenzunft“ als Satire 1512 in Umlauf. Als dann mit der Reformation der Bibeltext auch deutsch gesprochen wurde, war dies eine gute Ergänzung für alltägliche Prophezeiungen. Übrigens sollen die Amerikaner diesen Vorgang als „Flirt mit dem Desaster“ bezeichnen. Na, soviel Glück will ich aber im kommenden Jahr nicht haben.

haweger

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