Ein schräg gezeichnetes Pferdeohr


Ein schräg gezeichnetes Pferdeohr

Wie 1915 ein Bluff misslang

Zu den bis in die 1940er Jahre üblichen Obliegenheiten einer dörflichen Gemeinschaft gehörten die Pferdemusterungen. Entsprechend einer Verfügung des jeweiligen Kriegsministeriums mussten die Pferdebesitzer eines Ortes ihre Zug- und Reittiere am Tage der Musterung auf einem zentralen Platz, meistens vor dem Gasthof, vorführen. Militärexperten, von denen die meisten gute Pferdekenner waren, musterten die aufgestellten Tiere und stellten ihre Tauglichkeit für den Militärdienst fest. Dies geschah sowohl in Friedenszeiten als natürlich auch in denen des Krieges. Wobei für die gemusterten Pferde, im Falle ihrer sofortigen Verwendung, in der Regel ausgemusterte Pferde, Geld oder Bezugsscheine übergeben wurden.
Etwas anders war die Situation im Frühjahr 1915. Da die gemusterten Pferde bereits alle für den Militärdienst abgezogen worden waren, setzte man zentrale Vormusterungs- und Ankauftage an. Der Preis für ein Pferd konnte dabei durchaus mit 3 bis 4000 Mark ausfallen. In unserer Region gab es eine Reihe von Pferdekennern, manche wurden auch als Pferdenarren bezeichnet oder wie der Radeberger Volksmund sagte „Pferdejokel“. Zu ihnen gehörten Lotzdorfs Freigutbesitzer Maschke, Schönborns Gutsbesitzer Mäser und der Leppersdorfer Bauer Mager. „Die unheiligen Emms“ war ihr Spitzname, da sie auf Pferdemärkten durchaus im gegenseitigen Interesse agierten. Vor allem dann, wenn es galt den Preis zu drücken.
Im April 1915 hatte man vorm Gasthof „Anker“ in Wachau einen zweitägigen Musterungs- und Ankauftag angesetzt, zu dem alle umliegenden Ortschaften geladen waren. Nun besaß zu dieser Zeit der Leppersdorfer Mager zwei wunderschöne Pferde, die er gern für sich behalten wollte. „Ich bekomme doch längst nicht den Preis, den diese Tiere wert sind!“, soll Mager zu einigen Bauern gesagt haben. Dem Lomnitzer Bauern Leuthold bot er 800 Mark als Vermittlungsgeld, wenn er nach erfolgter Musterung, ihm beide Pferde zunächst überlasse, damit er diese der Kommission erneut vorführen konnte. Die Idee klappt, die vorgeführten Pferde werden für seine gehalten und werden für die Sommerreserve zurückgestellt. Mager ist sich seiner Sache sicher und gibt abends in Eisolds Restauration einen auf den Coup aus. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Leutholds Pferde waren als „sofort kriegstauglich“ gemustert worden.
Am Folgetag musste Leuthold die Pferde zur Stellfläche in Wachau bringen. Aufgefordert wurde auch erneut Mager, denn dieser hatte angeblich nicht nur die beiden, die er unbedingt für bessere Geschäfte aufheben wollte. Er kam ohne Pferde zur Kommission. „Herr Oberleutnant“, bat er den Kommissionschef, „es hat keinen Zweck die Pferde hier vorzuführen. Das eine ist dämpfig (Begriff für eine Art keuchende Atmung) und das andere hat einen Kropf“. Doch der Oberleutnant bestand auf Besichtigung und gab als Ersatz zu bedenken, man könne sich ja die Pferde auch im Stall ansehen. Ein zweites Mal wollte er den Schwindel nicht probieren, zumal Leutholds Pferde mittlerweile in einer bewachten Koppel waren. Als Mager am Nachmittag die Pferde vorführte, wurden sie sofort als „tauglich“ klassifiziert. Zudem entschied die Kommission auf „sofortigen Ankauf“. 1700 Mark lautete die Taxe für beide Pferde.
„Die sind aber deutlich mehr wert!“, gab Mager zu bedenken. „Wir hätten ihnen auch mindestens 3800 Mark gegeben“, so der Kommandierende der Musterungskommission. „ich möchte mich ausdrücklich bei ihnen bedanken, dass sie auf die Mängel hingewiesen haben. Ihre Aufrichtigkeit ist aller Ehren wert.“ Mager wollte noch protestieren, doch ein weiteres Mitglied der Kommission trat an ihn heran. „Wenn ich ihnen raten darf, bleiben sie ruhig. Ein Pferd der gestrigen Musterung hatte ein eigenartig, schräg gezeichnetes Ohr. Sie haben wohl gestern betrogen?“. Eine Antwort offen bleibend nahm der Überschlaue das gebotene Geld und war um mindestens eine Erfahrung reicher.

haweger

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