Ein ungewöhnlicher und unbequemer Lehrer


Ein ungewöhnlicher und unbequemer Lehrer

1983 fand in Berlin eine Demonstration für einen Lehrer statt, der an einer Gesamtschule mit Jugendlichen zwischen 13 und16 Jahren arbeitete. Er war bei Kollegen, Eltern und Schülern sehr beliebt, weil er engagiert und mit etwas ungewöhnlichen Methoden die Lernmotivation der Kinder förderte und intensiven Kontakt zu den Eltern hielt. Dieser Lehrer wurde von seinem alten und konservativem Direktor an eine andere Schule versetzt, was eine enorme Protestwelle und einen Arbeitsprozess zur Folge hatte.
Der Lehrer ist mein Bruder, ein Kämpfer für die Sache und hochsensibel, wenn es um Gerechtigkeit geht, und mit einer großen Portion Humor ausgestattet. Was war geschehen? Es war der Tag der Zeugnisverteilung, die Schüler waren an diesem Tag besonders angespannt. Die Schule lag in einem sozialen Brennpunkt. Der Lehrer besorgte für jeden Schüler CocaCola, stellte Schüsseln mit Knabberzeug auf die Tische, hielt eine witzige Ansprache und das alles im Frack und Zylinder. Nun las er mit liebevoller Satire jedes Zeugnis vor, ließ aber darüber abstimmen, ob es auch allen recht wäre. Begeisterung bei den Jugendlichen, klatschen, lachen, also ein richtig lautes Zeugnisfest. Der Direktor hörte den Lärm, riss die Tür des Klassenzimmers auf, sah meinen Bruder im Frack, war fassungslos und brüllte laut: “Sie sind sofort entlassen!”
Was tat mein kreativer Bruder? Er ging auf die Knie im Frack und Zylinder, legte bittend die Hände zusammen und rutschte dem Direktor bis zu dessen Zimmer hinterher, immer mit dem lauten weinerlichem Ruf: “Bitte Herr Direktor, tun Sie‘s nicht! Tun Sie’s nicht!”Da war bei den Schülern kein Halten mehr, sie waren außer sich vor Begeisterung. Der Direktor war nicht mehr zu sehen. Der Lehrer beendete die Stunde, verabschiedete seine fröhlichen Schüler und fuhr grinsend nach Hause. Während der Ferien bekam er den Bescheid der Versetzung an eine andere Schule. Als die Kollegen, Eltern und Schüler davon erfuhren wurde besagte Demo organisiert, mein Bruder legte Klage beim Arbeitsgericht ein und wartete gelassen diesen Tag ab. Nie wieder wollte er sich einer Autorität beugen, die er nicht achtete
Beim Gerichtstermin schilderte der Schulleiter diese Zeugnisverleihung und meinte empört, dieser Lehrer hat sich wie ein Clown aufgeführt, verkleidet und den Ernst einer Zeugnisverleihung lächerlich gemacht. Der Richter vernahm einige Zeugen, Kollegen und Eltern. Er gab sich Mühe, sich das Grinsen zu verkneifen, dann nahm er die Schulordnung zur Hand. Laut las er einen Absatz vor: “Die Zeugnisse sollen vom Lehrer in angemessenem feierlichen Rahmen den Schülern übergeben werden"! Er machte eine Pause und sagte: " Was könnte feierlicher sein, als dies im Frack und Zylinder zu tun. Damit bekam mein Bruder sofort seine Stelle wieder und trat am nächsten Tag zur Freude aller Schüler und Lehrer seinen Dienst wieder an. Der Direktor ließ sich versetzen, weil er mit diesem Lehrer nicht mehr zusammenarbeiten konnte.


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Kommentare (4)

Ulrike Nikolai

Klasse, liebe Malina!!! Auch hier erzählst Du Geschichten, denen man nur Applaus schenken kann! 👏

Alles weitere auf anderem Wege ... man liest sich!

UN 💕

indeed

Liebe Malina,

Das liest sich ausgesprochen gut. Wenn ein Pädagoge die richtige Wellenlänge zu seinen Schülern gefunden hat, geht alles viel "geschmierter". Ich meine damit, dass die Schüler sich mitnehmen lassen und mitmachen. Was könnte besser sein?

Überhaupt: eine sehr große Rolle spielt auch das Lehrmaterial. Es gibt wunderbare, sehr interessant geschriebene Lehrbücher und leider eben auch staubtrockene. 

Ich hätte mir gewünscht, so einen Lehrer gehabt zu haben. Das war zu meiner Zeit aber total irreal (in den 50iger Jahren). Heute gibt es aber auch Lehrer, die sich eines Jargons bedienen, wo sich mir die Haare sträuben.

Immer wieder hört man gerne dann gute Beispiele. Ich habe mal eine Kollegin gefragt, die  auf Lehramt studierte, ob sie sich überhaupt bewusst darüber ist, welch eine große Verantwortung sie mit ihrem Amt auf sich zu nehmen hätte. Das ist aber schon lange her.

Wie in allen Berufen, gibt es gute und eben auch weniger gute Dienstleister.  

Danke für deine Geschichte. Ich habe sie gerne gelesen.

Liebe Grüße von indeed

Muscari


Liebe Malina,

immer wieder bin ich von Deinen interessanten Erzählungen überrascht.

Diese hier ist eine besonders tolle Geschichte, wie es sie mit Sicherheit nur einmal gegeben hat und geben wird.
Ich stelle mir die Aktion so lebhaft vor, dass ich laut lachen muss. Nicht zuletzt den Lehrer, der in Frack und Zylinder auf Knien hinter dem Direktor herrutscht.
Auch das wohl zum Spaß der Schüler.
Herrlich auch die Bemerkung des Richters in Bezug auf den "feierlichen Rahmen im Frack und Zylinder".
Danke für diese Geschichte.
Andrea

 

nnamttor44

Eine wunderschöne Geschichte hast Du uns erzählt, liebe Malina!

Das Gegenteil mussten wir gerade für unsere fünf Grundschüler zweieinhalb Jahre erleben.Es waren zwei Damen, die Klassenlehrerinnen ab I-Männchen-Zeiten, die mit falschen Behauptungen vier der betroffenen Zweitklässler - gegen gesetzliche Ordnung - zurück versetzten, weil diese - angeblich - lernunfähig wären! Dann verabschiedeten beide "Damen" sich in die Mutterschaft.

Meinen Enkel wagten sie nicht zurückzuversetzen, denn seine Mama hatte inzwischen ihr Diplom zur Legasthenie- und Dyskalkulie-Trainerin mit Auszeichnung bestanden und ihren Sohn diverse Fakten gelehrt, die seine Blockaden durch die legasthene andere Wahrnehmung ihm so weit begreiflich machten, dass er inzwischen sehr gut auch in der Schule mitarbeitet und gern dort hingeht!

Die neue Klassen- und Mathelehrerin der zurückversetzten Mitschülerin verstehen inzwischen auch nicht mehr die im Zeugnis des kleinen Mädchens geschriebenen Bemerkungen nachvollzhiehen! Sie stimmen einfach nicht!! Es war vor allem der vorherigen Mathelehrerin wichtig, sich selbst aus den üblichen Kollegenleistungen hervorzuheben - das ist jetzt die einhellige Meinung des Kollegiums! Inakzeptabel! Kam bei einigen Elterngesprächen zur Rede.

Es gibt aber auch neue Lehrer an dieser Schule, die nun verlauten lassen, wie gut - vor allem unser Junge und die ehemalige, zurückversetzte Mitschülerin - jetzt im Unterricht mitarbeiten. Das kleine Mädchen war zuvor oft mit Bauch- und Kopfschmerzen sowie Einnässen aus der Schule geflohen. Das ist durch das recht frühzeitige Training (nicht erst ab dem dritten oder fünften Schuljahr!) für die andere, legasthene Wahrnehmung und den Umgang damit für unsere Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen auch bei ihr verschwunden!!

Ehre, die jedem Lehrendem gebührt, wenn er/sie tatsächlich mit und zugunsten der ihm anvertrauten Kinder arbeitet. Aber manchmal müssen auch Lehrende Kindern gegenüber entfernt werden, wenn sie aus eigennützigen Gründen Kindern schaden, diese Meinung vertritt 

Uschi


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