Elterngewalt in den Nachkriegsjahren...



Ich war noch keine 21 Jahre alt, als mein Vater glaubte, mich vorsichtshalber verheiraten zu müssen. Ich hatte einen Tanzpartner, mit dem ich jeden Abend nach der Arbeit zum Turniertanz-Training ging. Dieser Aussage traute mein Vater offensichtlich nicht. Doch weil er fürchtete, in Münster zu jener Zeit seinen guten Ruf verlieren zu können, wäre ich ihm mit einem „Chrisjöhnken“ nach Hause gekommen, mussten mein Tanzpartner und ich heiraten. Ich wurde erst gar nicht gefragt.

Als ich 13 war, lernte ich meine erste Liebe kennen. Der gerade 18-Jährige war der Sohn einer befreundeten Familie meines Onkels, dem Bruder meines Vaters. Bis ich 17 wurde, fuhr ich in den Schulferien jedes Jahr mehrfach zu meinen Verwandten im Sauerland, schon wegen Peter. In der Zwischenzeit gab es regen Briefwechsel. Vorsichtshalber schrieb ich stets meine langen Briefe auf Luftpostpapier, weil es so dünn und leicht wie Seide war und steckte diese Briefe in den Briefumschlag an meine Kusine. Peter machte es genauso. Und mein Onkel und seine Frau sowie Peters Eltern wussten davon, waren einverstanden!

War ich im Sauerland zu Besuch, sahen wir uns mit den Eltern recht oft, unternahmen sogar gemeinsame Ausflüge. Peter wusste, wie er sich zu benehmen hatte. Aber es war fast wie bei Jorinde und Joringel: sie konnten zusammen nicht kommen. Ich war ja auch noch sehr jung. Mein „Schatz“ war fünf Jahre älter und – wie ich nach meiner Hochzeit von meiner Kusine erfuhr – hoffte Peter nach acht Jahren immer noch darauf, mich zu seiner Frau nehmen zu können.

In den Jahren dazwischen fuhr er auch einmal nach Italien in den Urlaub. Als ich dann in den Herbstferien in A. wieder zu Besuch war, schenkte er mir einen silbernen Armreif voller Rosen statt eines Ringes, um mir zu zeigen, wie sehr er an mich gedacht hatte. Einen Ring, den ich an der Hand getragen hätte, wäre meinem Vater aufgefallen … Auch kam er im Sommer 1958 nach Münster, um mich mit seinem Besuch zu überraschen. Doch wir mussten die kurze Zeit, die zur Verfügung stand, sehr aufpassen, dass uns niemand sah. Schließlich war meine Verwandtschaft recht groß, ebenso kannten mich viele Kundinnen meines Vaters durch meine Aushilfsarbeit seit meinem 12. Lebensjahr im Salon an sehr arbeitsreichen Samstagen und hätten bei ihrem nächsten Friseurbesuch plaudern können??!!

Außerdem stand noch ein Wunsch – oder Befehl?? – des neuen, herrschsüchtigen Schwiegervaters meines Vaters im Raum: Mein Vater hatte seine zweite Frau, meine Stiefmutter, 1956 (da wurde ich 12) nur heiraten „dürfen“, weil er versprechen musste, dass ihr Sohn einmal mich zur Frau nehmen sollte, damit der Salon später als Erbe der Familie dem Adoptivsohn und mir, der Tochter des Salonbesitzers, gehören würde. Meine ältere Schwester sollte den Bruder unserer Stiefmutter zum Mann nehmen, damit möglichst viel vom Besitz unseres Vaters in die Familie der Stiefmutter fließen würde. Reine Geschäftemacherei, Besitzgier!!! Ziemlich böse!!! Doch davon wusste weder ich noch der Bruder meines Vaters etwas.

1959 starb meines Vaters Mutter, unsere Oma, die uns zuhause an Mutterstelle erzogen hatte. Eine Woche vor ihrem Tod hatte mein Onkel im Sauerland von dem nahen Sterben seiner todkranken Mutter erfahren und kam uns mit Frau und Tochter besuchen. Und er nutzte diesen Besuch, um bei seinem Bruder, meinem Vater, ein gutes Wort für den Sohn seines Freundes und mich – fast als Hochzeitsbitter – einzulegen. Dieses Gespräch läutete das Ende der noch gar nicht richtig begonnenen Beziehung zwischen Peter und mir ein. Meiner Stiefmutter und meinem Vater wurde klar, dass eine Heirat zwischen meinem Adoptivbruder und mir wohl nicht mehr zustande käme. Ihr Versuch, mich wieder „zurückzuerobern“ bestand darin, dass ich nie wieder ins Sauerland fahren durfte. Ich aber zeigte meinem Adoptivbruder ab dieser Zeit meine eiskalte Schulter!

Der Briefwechsel mit Peter bestand noch in meinem 20. Lebensjahr fast bis zur Hochzeit. Dann wollte ich nicht mehr so sehr unter den Fittichen meiner Eltern stehen, unternahm, ohne zu fragen, dies und das. Das führte dazu, dass mein Vater seine Befugnisse schwinden sah. Eine Fahrt mit meinem Tanzpartner über Nacht in den Harz zu seiner Mutter, die bei ihrem Bruder Ferien machte, ließ meinen Vater an schlimme Folgen für seinen guten Ruf als lange alleinerziehender Vater denken. Ich musste ihm meinen Tanzpartner vorstellen und nach einem Männergespräch unter vier Augen war die ungewollte Heirat beschlossen.

Die Verlobung fand noch am Heiligabend 1964 statt, die kirchliche Hochzeit wurde auf einen Friseur-freien Montag Mitte Mai 1965 festgelegt. Es war uninteressant, dass das für viele Hochzeitsgäste der Familie meines Zukünftigen ein Arbeitstag war. Wir – das Brautpaar – hatten uns zu fügen. Schließlich bezahlte mein Vater sowohl die ganze Wohnungseinrichtung, den relativ großen Rest meiner Aussteuer als auch die Hochzeit. Es folgte ein halbes Jahr mit vielen Vorbereitungen, die mein Vater mit mir – zum Aussuchen der Möbel für meine eigene Wohnung – unternahm. Es hat viel Aufmucken meinerseits gekostet, die Möbel zu bestellen, die mir besser gefielen als meinem Vater. Es gelang nicht immer.

Dieser andere Geschmack hat sich immer wieder bei mir gezeigt. Heute, wo ich in meine wohl letzte Wohnung vor vier Monaten eingezogen bin, zeigt es sich, dass ich keineswegs in einer Einrichtung lebe, die vor ca. 50 Jahren modern war. Endlich bin ich so eingerichtet, wie es mir gefällt – trotz Unterstützung meiner Tochter. Jahrzehnte gelang es mir nicht, meine Wohnung so zu renovieren, wie ich es schön gefunden hätte. Es war immer wieder ein Kampf, weil ER mir immer weismachen wollte, ich könne mir nicht vorstellen, wie diese oder jene Möbel zuhause aussähen. Das könne nur er sich vorstellen!! Mein Angetrauter war in diese alten Möbel der 1960er Jahre immer noch verliebt. Wenn unsere Kinder zu Besuch kamen, hieß es am Telefon mit meiner Tochter hinterher oft, sie sei froh, dieser dunklen „Gruft“ wieder entkommen zu sein. Auch unser Sohn hat sich total anders eingerichtet.

Peter einen Abschiedsbrief zu schreiben, gelang mir einfach nicht. Es tat zu weh! Den Rosen-Armreif weiter zu tragen wagte ich nicht. Auch ihn vor meinem Angetrauten zu verstecken, fand ich zu belastend. Vielleicht hätte er wissen wollen, was mir dieses Schmuckstück bedeutete, von wem ich ihn hätte? Ich schenkte den Reif seiner kleinen Schwester, die damals erst zwölf Jahre alt war.

Und wie erging es „meinem Peter“? Meine Kusine klärte ihn ein Jahr nach meiner Zwangsheirat auf. Ziemlich geknickt ließ er sich auf die Ehe mit einer überaus eifersüchtigen und herrischen Ferdinande ein. Woher ich das weiß? Natürlich von meiner Kusine. Ihre Freundin aus der Schulzeit berichtete ihr immer wieder, wie ihre Nachbarn – Peter mit seiner Ferdinande – lebten. Den Freundinnen tat der Peter immer wieder sehr leid. Aber er ließ sich gefallen, was Ferdinande wollte.

Ob ihre Vorstellungen zugetroffen wären? Sie behaupteten, wenn man meinen Göga und Ferdinande in eine Sack gesteckt hätte, den Sack verprügelt hätte – es hätte keinen Falschen getroffen!! Beide Freundinnen waren überzeugt, Peter und ich wären miteinander glücklicher geworden. Doch diese Annahme kann und will ich nicht überprüfen … Wir haben unser Leben gelebt. Dass ich über ihn so einiges erfuhr, erzählte ihm wohl niemand. Ob es ihn interessiert hätte, wie es mir erging? Der heute in seinen Achtzigern lebende Peter erfuhr nichts. Er ließ es zu, ihn mit Kameras im Garten und vor'm Haus zu überwachen, mit welchen Argumenten auch immer. Und Ferdinande überwachte jeden seiner Schritte – selbst im kirchlichen Männergesangsverein! Mit den Damen der Nachbarschaft oder meiner Kusine, die er ja aus Kinder- und Jugendtagen gut kannte, zu reden, wusste er zu vermeiden – Ferdinande saß ihm im Nacken!
 


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Kommentare (6)

ehemaliges Mitglied

Liebe Uschi,

Deine Geschichte hat mich sehr berührt.  Auch ich habe das "Eingreifen" der Eltern in die jugendlichen Beziehungen als sehr belastend empfunden, hatte aber das Glück, mich im jungen Erwachsenenalter so weit "freigeschwommen" zu haben, dass ich meine Partnerentscheidung ohne Rücksicht auf elterliche Widerstände traf. Es war die richtige Entscheidung. Wir sind fast 45 Jahre ein glückliches Paar, das viele Hochs und Tiefs gemeinsam bewältigt hat.
Dennoch trägt man ja das durch die Ahnen weitergegebene "Staffelholz" so lange als belastend mit sich herum, bis man die Zusammenhänge transparent bekommen hat. Und dann hat man die Wahl, es endlich fallen zu lassen und sich an den familiären Verstrickungen und überholten Mustern nicht weiter zu beteiligen. Ein oft schmerzhafter Prozess. Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede!
An Deinen Texten lese ich ab, dass auch Du schon manche schmerzhafte Entscheidung (darin steckt ja Scheidung, Trennung) treffen musstest. Gut so ... danach ist man sich selbst wieder ein Stück näher gekommen und hat sein Bewusstsein von Altlasten befreit,  stimmt's?

Einen herzlichen Gruß,
Puzzlerike

Seija

Liebe Uschi,
was Du erzählst ist unglaublich - Zwangsheirat in den 60er Jahren.
Mein Vater hätte mich totprügeln können, ich hätte mich nicht zu einer Heirat zwingen lassen. 
Bin zwar etwas jünger als Du - aber nein, das hätte ich mir nicht gefallen lassen.
Wenn ich finanziell abhängig gewesen wäre von meinem Elternhaus, hätte ich es so eingerichtet, dass ich schwanger geworden wäre.  Dann muss man damals den Vater des Kindes ganz schnell heiraten.......😉
Wie auch immer, ob Du mit "Deinem Peter" wirklich glücklich geworden wärst - wer weiß es.....
Ein Mann der sich so unterdrücken lässt ist auch nicht "das gelbe vom Ei"!
Wünsche Dir alles Gute
Seija
 

nnamttor44

@Seija 
Weißt Du Seija, ich bekam schon zuvor öfter mal mit, wie meine 4 Jahre ältere Schwester mit 16 im Treppenhaus den dicken Schlüsselbund sowie schwere Schläge unseres Vaters ins Kreuz bekam, als sie vor der Haustür einen Mitschüler der Berufsschule mit dem gleichen Nachnamen wie wir gesprochen hatte. Es ging um ein Berufsthema - sonst nichts! Ich hab noch im Ohr, als sie Vater frech ins Gesicht lachte und ihn fragte, ob ihm nun die Hand weh tät ...

Und wenn man wegen einer falsch gespielten Taste als 10-Jährige gleich einen Schlag mit dem Geigenstock auf den Handrücken bekommt - auch Heiligabend - dann muss man schon einen recht aufsässigen Charakter haben, will man sich gegen alle väterlichen Vorschriften wehren. Ich war sowieso schon diejenige, die statt blond und blauäugig wie unsere Mutter das Patchhworkkind in der Mitte mit Vaters schwarzen Augen und dunklen Haaren war.

Ob genannter Peter für mich besser gewesen wäre - ich weiß es natürlich nicht. Aber allemal besser als ein narzisstischer Psychopath!!! Es waren halt noch andere Zeiten. Es ist müßig, in meinem Alter noch darüber nachzudenken. Aber das alles gehört zu meinem Leben und wenn man gerade die Krebs-OP vor sich hatte, geht einem noch ein wenig mehr durch den Kopf.

Die OP ist Mittwoch gut verlaufen, bin seit Freitag wieder zu Hause und es geht mir gut.

Danke für Deinen (Protest-) Kommentar und lieben Gruß

Uschi

Seija

@nnamttor44  
Uschi, ich habe einfach "aus dem Bauch raus" geschrieben, was ich dachte.....
Ich freue mich sehr, dass Deine OP gut verlaufen ist.
Für uns alle ist es wichtig im "Hier und Jetzt" zu leben - keiner weiß, wieviel Zeit noch bleibt..... Machen wir das Beste draus.
Ich hoffe, dass es gesundheitlich bei Dir weiter aufwärts geht.
Liebe Grüße
Seija

 

nnamttor44

@Seija  
Ergänzend muss ich für mich als damals 19-Jährige hinzufügen, dass ich mir diesen Tanzpartner nicht von meinem Vater ebenso "vergraulen" lassen wollte, wie bereits den "Peter"! Das hab ich Vater sogar gesagt - und er hörte auf, mir den Tänzer als glubsch-äugigen Schilddrüsen-Kranken zu schildern. War er nämlich nicht.

Vater - und ich - hätten vielleicht eher mal die Familie des Tänzers durchleuchten sollen! Dann hätten wir vielleicht bemerkt, dass da eine heftige psychische Erkrankung der Mutter die Kinder - auch meinen späteren Mann - schwer belastete. Dass sich das dann so entwickelte, dass ich den heiraten musste, konnte ich als naive junge Frau nicht ahnen.

Ich vermute, dass mein Vater sich der großen Verwandtschaft seiner verstorbenen Ehefrau, meiner Mutter, verpflichtet fühlte. Und ich wollte nur noch aus meiner elterlichen Familie 'raus, weg von der Fuchtel unseres Vaters! 

Was mir heute absolut nicht gefällt, sind die durch die zuvor schon bestandenen Nervenstörungen in den Fußrändern und den Fingerspitzen der rechten Hand, die die Chemotherapie im vergangenen Halbjahr heftig ausgeweitet hat. Darauf könnte ich gut verzichten, dann ginge es mir  relativ gut ...! Wird sich herausstellen, ob diese Störungen sich irgendwann geben ...

💕liche Grüße

Uschi

chris33

😏 @Seija  


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